Heroldartikel:Begegnung zu Höllenwall

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Zwei Wochen vor dem Fest zu Cumrat traf Ihro Edelhochgeboren Ginaya von Luring-Gareth mit kleinem Gefolge auf Burg Nymphenhall ein. Das Klappern der Hufe und das Knarren der Räder ihrer Reisekutsche auf dem altem Kopfsteinpflaster des Innenhofes ließen die Bediensteten heraneilen. Einer alten Leidenschaft folgend war die Burggräfin der Alriksmark wie immer selbst geritten und hatte die Bequemlichkeit der Reisekutsche ihrem Hofmagus Asbord Walkirthor und seinem Lehrling überlassen. Und kaum dass sie von ihrem Ross abgestiegen war und es in gute Obhut übergab, wurde sie auch schon von dem Hausherrn begrüßt: „Willkommen auf Burg Nymphenhall; ich freue mich, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid, werte Ginaya!“

Ein freudestrahlender Malepartus von Helburg trat ihr aus dem dunklen Torbogen des Palas entgegen, begleitet von seiner Schwester Magnata und seinem jüngsten Bruder Martus-Melcher. Nach einer herzlichen Begrüßung führte der Baron zu Höllenwall seinen Gast in den großen Saal des Palas, wo schon bereits die Vorbereitungen für ein Mahl aufgetragen wurden. Missmutig schaute sich Asbord Walkirthor um, denn überall befanden sich kleine Schnitzereien und Abbildungen von Feenwesen, geschickt versteckt in den Kapitellen der Säulen, fein geschnitzt in den Balken, oder baumelnd an einem der Kandelaber. Martus, der seine Blicke bemerkte, wies ihn daraufhin, dass Höllenwall ein Flecken voll Sagen und Legenden sei, und Kobolde und Feen am Fuße des Raschtulswalls heimisch seien; eine Tatsache, welche den Hofmagier noch betrübter dreinblicken ließen, traute er den Wesen der Feenvölker nicht. Und auch der Becher mit Höllenwaller Wein vermochte seine Laune kaum zu heben. Hingegen zeigten sich die Burggräfin und besonders der Eleve des Magiers sehr interessiert an den vielen Erzählungen des Landes, besonders an denen, worin Einhörner, Wassermänner und Elfen vorkamen.

Ihro Edelhochgeboren schenkte dem Baron ein Fässchen Alrikshainer Walnusströpfchen, welcher es erfreut annahm und sofort Becher bringen ließ, sodass man umgehend davon probieren konnte. Und so wurde es bei Speis und Trank ein unterhaltsamer Abend, wenn auch nicht für jeden. Am nächsten Tag ließ es sich der Baron nicht nehmen, die Burggräfin auf einen Ausritt in seine Lande zu bitten, und wie der war es Asbord Walkirthor, der wenig begeistert schien, gehörte doch das Reiten nicht zu seinen Stärken. Grüne Hügel und blühende Täler, kristallblaue Seen und sprudelnde Bäche, terrassenartige Wein berge und wogende Kornfelder, die stattlichen Dörfer und gepflegte Städte, alles erbot sich im warmen Schein von Praios‘ Gestirn wohlwollend dem Betrachter.

Unwirklich und Märchenhaft lag inmitten der fruchtbaren Hügel und Täler der Silva Vetusta, von dem die Legenden sagen, in seinem Inneren würde sogar noch heute ein Einhorn leben. Doch besonders die Weinberge, wo die prachtvollen rotblauen Trauben der Eslamsrebe gediehen, hatten es der Burggräfin angetan, und bei manch einem Winzer kehrte man ein um sich ein Schlückchen zu genehmigen und auf den zurückgefallenen Magier zu warten, der ab und an auch mal mit einem Bäuerlein sprach. Sowohl der Burggräfin als auch ihrem Magier viel auf, mit wie viel Respekt, oder soll man gar sagen Vorsicht, das Volk ihrem Lehnsherrngegenübertrat. Die strenge Hand der Helburger war weit hin gerühmt und gefürchtet, und der Biss ihrer Bluthunde um ein vielfaches mehr.

Neben all den alten Ortschaften kamen sie auch an einer neuen Siedlung vorbei, die wohl erst wenige Jahre stand. Umgeben war das Dorf von großen Schafherden, welche die saftigen grünen Hänge am Rand des Vallis Viridi Draconis abfraßen. Nun, auch Malepartus hatte tobrische Flüchtlinge in seinem Lehen aufgenommen, welche von dem ansässigen Orden der lnnocensier in das sicherere Höllen wall geführt worden waren. Als die Burggräfin mehr über das Kloster des Traviaordens wissen wollte, wiegelte der Höllenwaller mit der Begründung ab, dass es sich beim Kloster nur um eine paar Felsen höhlen am Ende des Vallis Viridi Draconi handelte und dass es Zeit wäre nach Nymphenhall zurückkehren. Und da lhro Edelhochgeboren die Engstirnigkeit ihres Gastgebers kannte, beschloss sie, zumindest für heute nicht weiter nachzufragen. Auf dem Ritt nach Nymphenhall erstreckte sich das ganze Panorama des Raschtulswalls vor der kleinen Reisegruppe, welcher fast die Hälfte der Baronie einnahm. Schroff und steil erhoben sich alsbald hohe Berge mit dicht bewachsenen Hangwäldem., die wiederum von noch höheren überragt wurden; getaucht in das rote Licht der untergehenden Sonne ein wahrhaft majestätischer Anblick. In diesem Moment wurde der Zauber des Landes der Burggräfin bewusst, ihr Blick verklärte sich und ihre Gedanken schienen woanders zu wei en. So erging es jedem in der Gruppe, bis das harsche Bellen der Helburger Bluthunde, die angekettet ein Burgtor lauerten, die Reisenden zurück in die Wirklichkeit holte. An diesem Abend saßen alle gemütlich im Saal, ein weiterer Bruder des Barons, Moutarde Mort, der Burggräfin vom Kampf um die Greifenfeder bestens bekannt, war inzwischen angereist und verstand es, die Laute zu spielen.

Malepartus und Ginaya unterhielten sich derweil angeregt über Politik und über die Situation des Reiches, seiner Provinzen und Garetiens. Insbesondere plauderte man über die bevorstehenden Tage in Cumrat. Aber auch andere Themen boten viel Stoff für lange Diskussionen, wie z.B. den Umstand, dass es Barone innerhalb Garetiens gibt, die große Söldnerheerscharen unterhielten und somit für ihre Nachbarn bedrohlich wirkten. An diesem Punkt mischte sich der Hofmagier ein und erwähnte, dass es doch sehr seltsam sei, dass der Baron von Gallstein sich einen Schwarzmagier der beherrschenden Künste am Hofe hielt. Der Höllenwaller wischte diesen Einwand unwirsch zur Seite mit dem Hinweis, dass innerhalb Eslamsgrunds schon die Praioskirche dafür sorge, dass alles rechtens ist!

Man kam auf das Projekt des Syrrenholters zu sprechen, welcher den Bau des Kaiser-Hal-Kanals anpries; ein löbliches Vorhaben, doch erschien es sowohl der Burggräfin als auch dem Baron eine ungünstige Zeit zu sein, jetzt, da die Garetier ihre Kräfte für Wichtigeres sammeln müssten. Auch auf das unrühmliche Verhalten des Nettersquellers in den Tagen auf der Burg Grünwarte sowie der seltsamen Geschehnisse wurde eingegangen. Doch ergreifen der wurde es, als man von den gemeinsamen Erlebnissen des Greifenzuges plauderte; derweil die Wacht inzwischen ein garetischer Wehrvogt innehat und dafür Sorge trägt, dass der Arvepass gehalten wird. Denn wer wollte sich schon auf die sich selbst meuchelnden Darpatier verlassen? Erhitzt wurde das Gespräch, als es auf die Turnei von Weiden zu sprechen kam und dem dreisten Verhalten infiltrierter Truppen anderer Provinzen. Garetien muss seinen weidenschen Freunden beistehen, wie diese einst dem Königreich zur Zeit der vergangenen Krisen, ob Answin oder Ork. Auch sie würden sich dem Ruf anschließen, in Weiden als geballte Kraft aufzutreten, wie er zur Zeit durch die königlichen Provinzen hallte. Endlos dauerte die Unterhaltung der Lehensträger, einer nach dem anderen der sonstigen An wesenden ging zu Bett und selbst Asbord Walkirthor fielen vor Müdigkeit die Augen zu, so dass Ihro Edelhochgeboren ihn ins Bett sandte. Am Schluss waren nur noch der Baron zu Höllenwall und die Burggräfin der Alriksmark übrig, und es heißt, sie hätten sich noch bis zum Sormenaufgang unterhalten.

Am letzten Tag vor dem gemeinsamen Aufbruch nach Cumrat veranstaltete seine Hochgeboren Malepartus von Helburg eine Jagd. Ginaya von Luring-Gareth zeigte sich anfänglich skeptisch, doch erlag auch sie alsbald dem Jagdfieber. Der arme Asbord Walkirthor quälte sich ziemlich mit seinem Pferd ab; dass Reiten am Gebirgsrand überstieg sein Können, und nach dem viertem Sturz hatte Ihro Edelhochgeboren ein Einsehen und sandte ihn zurück nach Nymphenhall, wo er in der kleinen Bibliothek sich mit seinen Bücher beschäftigen sollte. Mit Hunden und Armbrust wurden Fasanen, Auerhähne und Trappen an den Hangwäldern des Raschtulswalle gejagt. Die Krönung der Jagd war ein kapitaler Zehnender, den die Burggräfin zielsicher erlegte.

Nach der Jagd wurde auf Burg Nymphenhall ein Fest abgehalten, fast die gesamte und sehr große Familie Malepartus' war anwesend. Man gedachte an Firun, und das erlegte Wild wurde vom Gesinde des Barons als Festmahl zubereitet. Es herrschte eine fröhliche und ausgelassene Stimmung, Tanz und Musik, ein Gaukler sorgte fiir die Unterhaltung der Gäste. Die Burggräfin ließ es sich nicht nehmen, eine kleine Bootsfahrt auf den Silvandornsee abzuhalten, der die Wasserburg umgab. Den alten Legenden zufolge lebte ein griesgrämiger Wassermann am Grund, den die Fischer immer zum ersten Efferd mit einem Weingeschenk milde stimmten.

Auch Ginaya opferte eine Amphore Wein, doch der Seenwächter zeigte sich nicht. Im Laufe des Abends sprach Ihro Edelhochgeboren dem Höllenwaller ihren Dank aus und lud ihn ein, im nächsten Jahr doch einmal bei ihr einzukehren. Malepartus war darüber hoch erfreut und nahm die Einladung dankend an. Allen Gerüchten zum Trotz hatte es der Höllenwaller aufgegeben, der Burggräfin den Hof zu machen, doch die Freundschaft zwischen den Häusern wuchs mit jedem Zusammentreffen mehr.

Und so versprach es ein gemütlicher Abend zu werden, wenn nicht mit der Dämmerung ein Bote erschienen wäre, der dem Baron einen versiegelten Brief überreichte. Der Höllenwaller in bester Laune öffnete umgehend den Brief ohne das Siegel genauer zu betrachten und wurde von Zeile zu Zeile blasser. Martus Melcher, dem dies sofort auffiel, eilte ihm zur Seite und führte seinen noch unter Schock stehenden Bruder in einen Nebenraum. Erst jetzt bemerkten auch die Burggräfin und ihr Hofmagier die Veränderung, die Musik hörte auf zu spielen und hinter der schweren Eichentür waren die wütenden Schreie des Höllenwallers und die beschwichtigenden Worte Martus‘ nur undeutlich zu verstehen. Sätze wie: „Dieser Dieb ... dem Schneid ich die Gurgel durch ... Natter, elende ... weißt du, was mich die Pfaffen mit ihrem Reichsfrieden mal könn... Magnus, ich brauche Magnus!“ „Contenance, Malepartus, bitte!“, doch vergeblich waren die Mahnungen des jüngeren Bruders. Türen wurden zugeschlagen und bald darauf erklang der schnelle Galopp eines Pferdes im Innenhof. Als Martus in den Saal zurückkehrte wurde er sofort von seinen anderen Geschwistern umzingelt. Er wehrte die Fragen jedoch ab, entschuldigte sich vielmals bei der Burggräfin und versuchte das Fest wieder zu entfachen. Ginaya von Luring-Gareth war anfänglich ziemlich überrascht, doch ließ sie sich ihre gute Laune davon nicht verderben. Sie würde schon noch erfahren, was es mit dem Brief auf sich hatte und sah vor ihrem inneren Auge bereits einen händeringenden Höllenwaller, der sich für sein unziemliches Benehmen bei ihr entschuldigte.

Erst kurz bevor der Morgen dämmerte, kehrte der Baron von Höllenwall zurück nach einem Ritt, der Reiter und Pferd das Letzte abverlangt hatten. Die wenigen, die ihm begegneten sahen, das zufriedene Glühen in seinen Augen und das abschätzende Grinsen in seinem Gesicht. Er ließ seinen Bruder Martus wecken und alles für den Aufbruch nach Cumrat vorbereiten. Den Schlaf würde er in der Reisekutsche nachholen.

Und schon bald war wieder das Klappern der Hufe und Knarren der Räder auf dem Pflaster der alten Wasserburg zu hören. Diesmal jedoch musste zu seinem Unwillen Asbord Walkirthor reiten, denn in der Reisekutsche saßen die Burggräfin und der Höllenwaller, der neben seiner Entschuldigung noch manch anderes besprechen wollte.

Getreulich wiedergegeben von jemandem, der während dieser Tage anwesend war und lieber ungenannt bleiben möchte.



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