Geschichten:Zwei Häuser, eine Familie - Ruhmreiche Heimkehr

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Dramatis Personae:

+++

Baronie Eslamsroden, Gut Weidensee

Mühsam stapfte Greifwin neben seinem Pferd den Hügel zum Gut Weidensee hinauf. Der Regen hatte zwei Stunden zuvor aufgehört, aber die Sonne hatte weder Zeit noch Kraft gehabt, den Schlamm auf der Straße zu trocknen. Und auch der frischgebackene Baron war von dem erfrischenden Schauer gut durchweicht und bot keinesfalls den edlen Anblick, den man bei einem Mann seines Standes erwarten sollte. Nichtsdestotrotz war er recht guter Dinge, denn die Reise war lang gewesen, was ihm genug Zeit gegeben hatte, sich auf die Reaktionen seiner Familie vorzubereiten.

Am Eingang des Gutes traf er auf drei junge Männer, die gerade dabei waren, Teile eines Zaunes zu erneuern und dazu Pfähle in den Boden trieben. Als sie Greifwins gewahr wurden, stellten sie die Arbeit ein und beäugten ihn neugierig. Der jüngste von ihnen, wohl noch keine zwanzig Götterläufe alt, trat zwei Schritte vor und rief: „Heda, Bruder! Schon zurück von Deiner Reise? Was gibt es Neues aus der weiten Welt?“

Müde hob Greifwin den Blick. Mit einem Nicken nahm er die beiden Knechte war, dann wandte er sich an seinen Bruder: „Mehr, als Du denkst, Firngrimm. Weißt Du wo Ifirnia und Oma stecken? Wir haben eine Menge zu besprechen.“

„Oma ist wie üblich im Lager“, antwortete der Angesprochene, „und Ifirnia hängt über den Büchern.“

Greifwin stutzte: „Die kann sie doch mir überlassen!“

Mit einem Schnauben winkte Firngrimm ab: „Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Bruderherz: Du bist in letzter Zeit etwas selten zu Hause!“

Wie von einer unsichtbaren Ohrfeige getroffen zuckte Greifwin zusammen. Dann zuckte er resigniert mit den Schultern. „Du hast ja recht. Aber das soll uns jetzt nicht kümmern. Sammel bitte die Familie in der Halle, ich will mich nur rasch umziehen. Oh“, er wandte sich an den ältesten der Männer, „wenn Du nach Hause gehst, gib doch bitte im Dorf Bescheid, Olgerd, dass ich die Großbauern morgen zur Praiosstunde in derGastwirtschaft sprechen möchte.“

Der Angesprochene blickte ihn verwundert an. „Ja, Euer Wohlgeboren! Ist was besonderes?“

Greifwin schnaubte: „Kann man sagen. Aber das besprechen wir morgen!“ Damit trat er durch das Hoftor und ging nachdenklich in Richtung Haupthaus. Wehmütig streifte sein Blick die Wehrmauern. An vielen Stellen konnte man erkennen, wo altes Mauerwerk mit neuem ausgebessert worden war. „Gerade, wo wir fast fertig waren!“, entfuhr es ihm, bevor er die beginnende Schwermut mit einem Kopfschütteln beiseite wischte. „Klagen bringt nichts, und vielleicht lässt sich ja noch was richten. Aber das ist ein Problem für einen anderen Tag...“

Eine knappe halbe Stunde später kam Greifwin in frischer, trockener Kleidung die Treppe hinunter. An deren Fuß zögerte er einen Augenblick. Dann betrat er die Wohnstube, wo sich der Rest der Familie bereits versammelt hatte. Ohne ein Wort trat er zu einem kleinen Beistelltischchen, wo er eine irdene Flasche entkorkte und deren klaren Inhalt großzügig auf vier Becher verteilte. Er wandte sich seiner Familie zu und stellte vor jedem einen der Becher ab, wobei er jeden musterte. Firngrimm, blickte ihn neugierig an, aber Firngrimm würde so oder so einfach sein. Er blickte weiter zu seiner Schwester, Ifirnia, deren Gesicht von deutlicher Missbilligung gekennzeichnet war. Das war kaum überraschend aber dennoch schmerzlich. Rasch wandte er sich in Richtung seiner Großmutter Ingrimma.

Für einen Moment hielt er ihren durchdringenden Blick, dann wandte er sich an eine Stelle über dem glimmenden Kamin und begann unvermittelt zu sprechen, den vierten Becher nachdenklich zwischen den Fingern drehend: „Es gibt eine Reihe von Neuigkeiten, die ich mit Euch besprechen muss. Zunächst eine sehr unerfreuliche Nachricht: Wir verlieren Weidensee.“ Er hielt einen Moment inne, und beobachtete die Reaktionen, die sich auf den Gesichtern seiner Familie zeigten. Firngrimm schien es die Sprache verschlagen zu haben, er schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Der Blick seiner Schwester durchbohrte ihn wie ein Eiszapfen, während das Gesicht seiner Großmutter so unbewegt und undeutbar wie meist blieb.

„Was???“, entrang es sich der Kehle seiner Schwester, „aber wieso?“

Greifwin schnaubte: „Ich wurde vom Meister der Mark entlehnt, darum. Mit Willen und Wissen der Greifin um das gleich vorwegzunehmen.“ Das brachte seine Schwester zum Schweigen, deren Gesicht die gleiche fahlweise Farbe annahm, welche Firngrimm schon nach dem Auftakt zeigte. Und selbst seine Großmutter schien erschüttert.

„Aber um Eure Sorgen gleich zu zerstreuen: Offenbar ist Euer Bruder respektive Enkel nicht vollkommen unfähig, denn im gleichen Rahmen wurde mir“, er legte eine leichte, aber unüberhörbare Betonung auf das letzte Wort, „das Lehen Eslamsroden übergeben. Die Familie Keilholtz ist damit zurück auf dem Weg zu alter Größe.“ Ein weiterer Blick in die Runde. Farbe schien in die Gesichter seiner Verwandten zurückzukehren, aber noch brachte niemand ein Wort heraus. „Das Ganze hat eine Reihe von Implikationen, über die wir noch diskutieren müssen, aber das hat Zeit. Ich denke, darauf sollten wir anstossen.“ Er hob den Becher, und stellte befriedigt fest, dass seine Familie es ihm gleich tat. „Auf uns! Auf die Familie Keilholtz!“

Damit nahm er, unter dem Ausruf „Auf den neuen Baron von Eslamsroden“ seines Bruders, einen tiefen Zug.

„Gratulation, Bruder!“ Wie nicht anders zu erwarten, hatte Ifirnia ihre Fassung rasch wiedergewonnen. „Aber du hast recht, ich habe eine Menge Fragen. Warum verlieren wir Weidensee? Und was ist mit dem Sohn des Breitenquellers, wieso ist er entlehnt worden?“

Greifwin zuckte mit den Schultern. „Das erstere ist mir auch schleierhaft, aber ich habe auch Hoffnung, in dieser Richtung noch etwas unternehmen zu können. Das letztere ist auch nicht gerade klar, aber wenn die Gerüchte stimmen, die ich gehört habe, muss Seguld wohl das Treiben der Wildermärker in Eslamsroden wohl etwas zu sehr ignoriert haben. An die Stadt kommt der Meister der Mark nicht heran, also will er sie wohl isolieren.“

„Scharfsichtig, Junge“, meldete sich seine Großmutter zu Wort.

„Danke. Ich wüsste zu gerne, was da genau abgelaufen ist, denn wenn es für eine Entlehnung reicht, muss es fast bis zur Anklage wegen Reichsverrat reichen. Die Familie Breitenquell hat hier natürlich praktisch keinen Rückhalt, das dürfte die Sache erleichtert haben. Aber trotzdem...“ Greifwin nahm einen weiteren Zug besten Birnenbrandes. „Aber bevor wir das vertiefen: Ich habe ein paar Aufträge für Euch“, er nickte seinen Geschwistern zu. „Firngrimm, du musst nach Eslamsroden, und dort alles organisieren.“

„Sollte das nicht besser ich machen?“ meldete sich Ifirnia spitz zu Wort.

„Eigentlich schon, Schwesterherz. Aber ich brauche Dich an anderer Stelle.“

„Und wo wäre die?“

„An meiner Seite, wenn wir dem neuen Baron von Kressenburg unsere Aufwartung machen. Und bevor Du fragst: Das wäre dann Ardo von Keilholtz.“ Ein süffisantes Lächeln umspielte Greifwins Lippen.

„Ardo von Keilholtz?“, erklang schneidend die Stimme Oma Ingrimmas. „Sie haben einen von diesem auf Burg Keilholtz dahinrottenden Haufen von degenerierten Schwachköpfen zum Baron gemacht?“ So wenig sie seine Neuigkeiten bisher beeindruckt zu haben schienen, so sehr erregte sie sich über die letzte.

„Ardo von Keilholtz ist keineswegs ein degenerierter Schwachkopf, Oma. Ganz im Gegenteil, er scheint durchaus fähig und tüchtig!“, hob Greifwin an, nur um sofort unterbrochen zu werden.

„Papperlapapp! Diese ganze Bande taugt zusammen genommen nicht für einen! Allein damals, als...“

„...sie unserer großen Vorfahrin alles Böse Deres angetan haben“, fuhr Greifwin seinerseits seiner Großmutter ins Wort. „Ja, ja, ich kenne die ganze, alte Leier, verdammt noch eins! Und sie interessiert mich nicht im Mindesten! Ich weiß nicht, was der Rest der Familie treibt, aber ich bin mit Ardo geritten, und ich kann keinen Makel finden, der über ein gewisses Maß an… Selbstüberschätzung hinausgeht. Ja, die Alt-Höltzer haben ganz sicher einen Haufen schräges Gelichter in ihren Reihen, aber es gibt auch Ausnahmen. Und daher“, wandte er sich an seine Schwester, „wirst Du, als meine derzeit nächste Verwandte und Erbin, mich zu Ardo begleiten. Ende der Diskussion.“

Mit Erleichterung und zunehmender Zufriedenheit stellte er fest, dass er sich mit seinem, von ihm für seine Familie ungewohnt harten, Tonfall offenbar tatsächlich durchgesetzt hatte.

Der Bericht der anderen Neuigkeiten und die Diskussionen zogen sich bis spät in die Nacht, aber als sich Greifwin schließlich in Borons Arme begab, war eine schwere Last von ihm gefallen...


 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Greifenfurt.svg  
 Wappen Baronie Eslamsroden.svg
  Wappen Gut Weidensee.svg  
 Gutshof.svg
 
18. Per 1032 BF
Ruhmreiche Heimkehr


Kapitel 1

Ein neuer Aufbruch
Autor: Greifwin