Geschichten:Zwei Aufbrüche

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Aus dem Tagebuch des Junkers Raulfried Rondrago von Schartenstein

1. Rah 43

Ich greife schon jetzt zur Feder anstatt nach erfolgreichem Tagewerk, denn das Traumgesicht der Nacht erschüttert mich. Das muss frisch sein, wenn ich es aufschreibe. Meine Schreibhand zittert, aber meine Sinne sind fest, so klar wie seit langem nicht mehr. Die Schreibfeder kommt fast nicht hinterher alles aufzuschreiben, so schnell droht die Vision zu verschwimmen und sich zu trüben.

Den Raschtulswall habe ich gesehen, dunkel und drohend. Ein dunkler Schatten thront über den zackigen Gebirgsgipfeln und aus zahlreichen Wunden fließt stinkender fauliger Eiter hinunter in die Täler, vermischt sich mit den Bergquellen und vergiftet das Land. Kriegsheere ziehen plündernd und mordend durch die Hänge, niemand kümmert sich um die Regeln des ehrenvollen Krieges. List, Heimtücke und Verrat sind allgegenwärtig, und wie eine giftige Schlange windet sich die Pestilenz hinab bis in die Goldene Stadt auf dem Hügel. Dann tritt Viburn an meine Seite, jung und kräftig sieht er aus, so wie ich ihn damals sah durch die Augen des bewundernden und ehrfurchtsvollen Augen des Knappen, der ich ihm war. Er sieht meine Tränen und fasst mich an meine Schulter. Mit ruhiger und fester Stimme sagt er zu mir: „Geh an die Quelle und beende das Unheil.“ Dann erwache ich. Ich muss mir darüber klar werden, was das zu bedeuten hat und dann entsprechend handeln. Möge die Sturmherrin meinen Weg begleiten und mich zum Ruhm führen!

[…]

3. Rah 43

Der Traum hat meine Wahrnehmung verändert. Erst jetzt bemerke ich, wie sehr sich meine Nachbarn und Freunde in Dornensee verändert haben – ja, wie sehr ich mich wahrscheinlich selber verändert habe, ohne es zu bemerken. Diese Gereiztheit und Unrast, dieser Unwille auch nur die kleinsten Verfehlungen durchgehen zu lassen. Ich bin erschrocken über mich, als ich bemerkt habe, dass ich sogar absichtlich die Dinge so versuche zu lenken, dass meine Dienerschaft Fehler begeht, um sie umso härter bestrafen zu können. Das kenne ich nicht an mir, dieser Mensch bin ich nicht. Und mit meinen neuen offenen Augen sehe ich, dass es überall so geht. Ich scheine auch der einzige zu sein, dem das alles auffällt. Irgendetwas muss ich unternehmen! Ich werde also zur Krone nach Halhof reisen, um dort vorstellig zu werden.

[…]

10. Rah 43

Langes Gespräch mit Cletzau geführt, das mich in meinem Streben bestärkt! Er hat den Sinneswandel am Dornensee ebenfalls bemerkt und sorgt sich darüber. Werde dieser Sache weiter auf den Grund gehen.


Gebet des Firungeweihten Mol Grimmbart beim Sonnenaufgang am 1. Rahja 104 BF

Grimmiger Herr, ich danke Dir für die Stärkung in der Nacht und deinen Schutz für meinen Schlaf. In tiefer Demut versuche ich mich Deiner Weisung für würdig zu erweisen, die Du mir mit Deinen Traumbildern gesandt hast. Schaue auf mich, wie ich versuche die Bedeutung deiner Symbole zu erjagen. Schärfe meinen Sinne, den vor mir liegenden Weg zu erkennen. Erlaube mir die innere Ruhe, die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit mich die Angst vor dem grauenhaften Untier, das Du mich hast erblicken lassen, nicht im entscheidenen Moment lähmt. Dich bitte ich, führe mich zu geeigneten Gefährten für diese Jagd, denn als Einzelner bin ich dieser Aufgabe, die Du mir gestellt hast, nicht gewachsen.