Geschichten:Zunge wie ein Säbel – Die Akte

Aus GaretienWiki
Version vom 21. Mai 2023, 16:49 Uhr von Jan (D | B)
(U) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (U) | Nächstjüngere Version → (U)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Schloss Perringrund, Frühling 1045 BF

Berge von Fällen, Bewertungen, Alt-Urteilen und markgräflichen Anordnungen türmten sich in ihrer Amtsstube und gefühlt wurde alle zwei Tage ein weiteres Wägelchen herangekarrt. Perrica liebte ihre Arbeit, wenn sie dies nicht tun würde, hätte sie das hier keine drei Götterläufe durchgehalten. Doch zum Glück hatte ihr Praios einen Sinn für Gerechtigkeit, die lieblichen Schwestern einen Sinn Moral und Anstand und Hesinde einen Sinn für das Formelle gegeben. Die anderen Götter standen hinten an, vorallem die Greinende, an Familie war nicht zu denken, was auch die junge Göttin sicherlich bedauerte und ja, Rahja kam auch zu kurz in dieser Hinsicht. Wobei der Listige auch immer wieder ein Wörtchen mitredete. So verbrachte sie quasi Tag und auch häufig Nacht hier in der Stube und leistete ihren Beitrag, einen guten die sie fand. Natürlich, ihre Arbeit brachte es mit sich, dass das nicht alle so sahen, aber sie war eine gerechte und gute Beraterin des Markgrafen. Und dabei bedeutend weniger eigenmächtig oder selbstherrlich als manch andere. *Hust* Rabicum *Hust* Sie hielt sich an die Fakten, die Gesetze, Anordnungen und Geschichte.

Naja, zumindest meistens...etwas Unbehagen kam auf in ihr, weshalb sie eine bestimmte Akte nochmal bei Seite legte. Stattdessen lenkte sie sich ab mit einigen nachwehen zur Einigung von Morganabad. Auch Jahre nach dem Vertragsschluß zwischen dem Mittelreich und Aranien gingen immer wieder Klagen und Untersuchungsgesuche ein. Vorallem die Aranier, die nun entgültig Perricumer waren klagten, auch weil die Grenze nun teilweise ihre Gehöfte schnitt. Doch die Klagen waren nur die harmlose Seite des Konflikts, entlang der Grenze mehrten sich die Fälle von Beleidigungs- und Gewaltdelikten, die zwar zumeist in der Juristei der Barone lagen, von denen sie aber wusste. Das würde sich eher noch steigern, als abebben.

Und weil das sobald kein Ende nehmen würde, nahm sie sich doch nochmal die Gorbingen-Akten. Wo waren die noch gleich? Die verschwanden immer wieder, als würde es sie gar nicht geben. Deshalb zog sich der ganze Prozess wohl auch so lange hin. Gorbingen würde noch warten können. So suchte sie gar nicht weiter, sondern widmete sich Fällen in der Nachbarschaft. Erneut ein Ersuch der Baronin von Hengefeldt, darum die markgräflichen Güter in ihrem Lehen ihr zu überantworten. Doch der Fall war juristisch gar nicht so einfach, bei der Übernahme der Ländereien, war ganz klar geregelt worden, dass die alten fürstlich-darpatischen Güter in den Besitz des Markgrafen gingen, auf den ersten Blick eine klare Sache, zumal der Seneschall und dessen Administration seine Finger da immer noch mit im Spiel hatte. Doch die Hengefeldter Baronin argumentierte, dass die besagten Ländereien zu Unrecht in den fürstlich-darpatischen Besitz übergingen und es somit auch keine Rechtsgrundlage gab, sie unter märkgräflicher Verwaltung zu belassen. Dabei handelte es sich bei den Gütern nur um Lapidarien, wie Perrica empfand. Es ging hier wohl mehr ums Prinzip und vor allem zwei Fraktionen, die immer weiter auf Augenhöhe rückten - Fraktionen, die sich auch auf juristischer Grundlage immer klarer positionierten. Juristisch war das ganze aus ihrer Sicht vertrakt, aber regelbar, politisch brauchte das ganze Fingerspitzengefühl und die lange Bank, befand Perrica aufs Neue. "Auf Wiedervorlage" notierte sie. Die Zeit für solche Dinge war noch nicht gekommen, predigte ihr auch wohlgeschätztes Oberhaupt, "das könnte einmal gute Verhandlungsmaße sein".

Aber ohnehin stellte die Häufung von markgräflichen und Landjunkergütern in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen juristischen und administrativen Ballast dar, da diese "Freizeitbeschäftigung" des Markgrafen, treue Vasallen mit solchen zu belohnen oder als Aufpasser einzusetzen, nicht selten zu Unnmut führte, ganz ab davon, dass diese Neuschaffungen dann auf einmal ihrer Juristiktion unterlagen, was die ohnehin mageren Kapazitäten sprengte. Zum Glück hatte die Baronin von Haselhainihr zwei tatkräftige Zuarbeiterinnen anempfohlen, die diese Kapazitäten erweiterten, wenn auch meist nur auf postalischem Weg. Wobei die treue Erena gerade in der Stube nebenan zu Gast war und nebenan die Akten und Fälle rund um das nunmehr etliche Jahre geteilte Brendiltal bearbeitete. Da klagten die Vertreterinnen des Sonnenbarons immer noch gegen den Kettenhund von Sebarin, dessen Leute immerwieder das Säbelrasseln übten und Grenzübertretungen wagten. Und es klagte der Kettenhund als Nebenkläger in einer Klage Irian II. von Brendiltal gegen eben den Sonnenbaron und vorallem seine Vertreterinnen, die ihm sein Land genommen hätten und die "Verblendung" Martoks ausnutzten. Perrica wusste, das diese Klagen nur Formalie waren und die beiden alttreuen Nebachoten ganz andere Mittel bevorzugten, die man ihnen aber nicht eindeutig nachweisen und somit auch nicht zu Last legen konnte. Auch damit beschäftigten sich die Fälle, die Erena drüben bearbeitete.

Perrica schmunzelte, wenn der ge/verblendete Martok oder die blutigen Irian und Al'Arik wüssten, dass eine nebachotische Frau gerade über einige ihrer Streitigkeiten entschied, sie würden vmtl. toben. Ganz zu schweigen von den in Sebarin amnestierten Verbrechern aus Weißbarûn. Noch so eine juristische Spitzfindigkeit. Aber das müsste hinten anstehen. Jedenfalls war es gut das Erena hier war, doch musste man sie und Salia immer gut trennen, die beiden Familien aus Haselhain standen nicht gerade gut miteinander. Auch, weil sie verschiedenen Lagern angehörten.

Das brachte Perrica wieder auf die Akte, die sie vorhin bei Seite gelegt hatte. Aber bevor sie, diese zur Hand nahm, musste sie die um sie herum wuselnde Salia beschäftigen und übergab ihr den Fall zur juristischen Zuständigkeit des Hesinde-Kollegs zu Sichlingen - Baronin oder Junkerin. Brisant, dies ausgerechnet ihr zu geben, doch damit sollte sie tatsächlich abgelenkt sein, von der viel wichtigeren Sache - die Akte, die sie nun wieder aufnahm.

Sie wusste wie wichtig die Überprüfung dieses Gesuchs, ihrem Familienoberhaupt war. Es musste juristisch lupenrein sein bzw. gemacht werden, sodass der Markgraf es ohne weiteres zeichnen und siegeln würde, ohne dass der Seneschall oder andere hier noch administrativ oder anderweitig einwirken können. Und es musste am besten schnell und vor allem ungesehen passieren. Wieder kam in Perrica dieses Unbehagen auf - doch sie sah auch die Wichtigkeit. Die jetzige Baroness von Haselhain, eine Verbündete ihrer Familie, war nach der Bannung ihres Gatten auf 12 Jahre nur noch die Gattin und Vögtin eines Verurteilten und (zeitweise) Verbannten, um sich dauerhaft gegen ihre Kritiker und Gegnerinnen durchsetzen zu können, müsste man sie auf feste Beine stellen, sie sollte die Baronswürde offiziell übertragen bekommen. Das war auch wichtig für Perricas Familie. Der Fall war verzwickt, doch Perrica war nicht umsonst die Landrichterin Perricums geworden, sie kannte die Feinheiten des hiesigen und des Reichsrechts und vor allem die Gepflogenheiten des Markgrafen und seines Seneschalls. Sie würde diese Sache wasserdicht machen, schnell und von ungewollten Augen fern. Sie vergewisserte sich, dass Salia sich an ihren Platz gesetzt hatte. Dann nahm sie sich der Akte an.