Geschichten:Wut und Wehleid

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Wasserburgenau, 17. Praios 1042 BF

„Für was hält mich Vigo eigentlich, einen dahergelaufenen Streuner? Ich werde mich ganz bestimmt nicht nach Aranien begeben, um mein Leben für ein paar wertlose Artefakte aufs Spiel zu setzen.” Andor zerriss den Brief und setzte sich zurück auf den Sessel am Turmfenster. Er nahm einen tiefen Schluck Wein und starrte mit bitterem Blick in die Ferne.

Es war wieder einer dieser Abende. Yosmine war es bereits gewohnt. Sie selbst hatte gehofft, dass Andor das Angebot annehmen würde. Er hatte die Burg, geschweige denn Wasserau, seit dem Tod seiner Halbschwester kaum verlassen. Mehr Kontakt zur Außenwelt, und sei es auf einer von Ludovigs unsinnigen Questen, täte ihm gut, ebenso wie die Bezahlung. Doch Andor zu widersprechen hatte keinen Sinn, er würde nur wieder in ein Wechselspiel von Wut und Selbstmitleid verfallen. Zudem lag ihr eine andere Sache auf dem Herzen.

„Dein Sohn feiert bald seinen zehnten Tsatag. Er hat bei einem Hufschmied in Drosselau angeheuert. Wenn du ihn sehen könntest, er würde dich stolz machen.” Andor entgegnete ihr wirsch: „Bastardsohn, vergiss das nicht. Und nicht mein einziger. Hoffst du etwa immer noch auf einen Traviabund? Eine einfältige Dirne wie du...” Seine Worte wurden durch Yosmines Ohrfeige unterbrochen. Andor stand auf, hob ebenfalls die Hand, doch sein Schlag traf ins Leere. Er fiel zurück in den Sessel. Der Wein hatte ihm deutlich zugesetzt.

Nachdem sie einige Momente darauf sein Wimmern vernahm, sprach Yosmine weiter. „Er ist dein Sohn, verdammt noch mal. Nicht ich war es, der ihm den Namen Gneiserich gegeben hat. Und ist ist zwar ein Bastard, doch er ist der einzige, der überhaupt noch von dir spricht.” Sie sah zu, wie Andors Wimmern in ein lautes Schluchzen überging. Seine Stimme war darunter kaum zu vernehmen. „Gneiserich, Radulf… und nun ich. Was soll das alles, womit haben wir das verdient?”

Yosmine trat zu ihm und strich ihre Hand über seine Wangen. „Es ist nicht deine Schuld. Das Schicksal hat dir vieles genommen. Ein bitteres Spiel, das die Götter mit uns treiben.” Seine Tränen berührten ihre Haut. „Ich fühle mich so allein, seit sie mir genommen wurde. Was soll ich nur tun?” Wehklagend ergab sich Andor ihrer Umarmung.

„Genau das, was Aldara von dir gewollt hätte. Nicht aufgeben, trotz all der Götter Hohn. Gneiserich ein Bastard, sagst du? Das muss er nicht bleiben.” Andors Atem wurde ruhiger. „Vielleicht… nein, nach Drosselau werde ich mich nicht begeben. Aber richte Gneiserich aus, dass ich ihn nach Wasserau beordere. Ob Bastard oder nicht, er ist seinen Ahnen Respekt schuldig.” Kurz nachdem er diese Worte gesprochen hatte, war Andor auch schon im Schlaf versunken.