Geschichten:Wolfaran und Leonora - Freidenker, Rebellen und Traditionalisten

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Villa Ox, Kaiserstadt Gareth, Ende Peraine 1042 BF

Leobrecht ging nach dem Gespräch mit seinem Ältesten in sein Schlafgemach. Über eine Zwischentür erreichte er das Schlafgemach seines jüngsten Sohnes. Der kleine Etilian, das Nesthäkchen, welches ihm durch Tsas wundersame Schenkung noch zu Teil wurde.

Die Amme blickte kurz auf, verließ dann das Zimmer und ließ den Reichsvogt mit dem Kleinkind alleine. Leobrecht stand an der Wiege und sein Herz erwärmte sich, als er dem seelenruhig schlafenden Knaben zuschaute.

Etilian erinnerte ihn an Wolfaran, auch wenn sie sich nicht ähnlich sahen. Damals 1014 BF, als er in diesem Zimmer das Licht Deres erblickte. Seine geliebte Hilda, sie war selbst noch ein Kind, als sie die Früchte Tsas zum ersten Mal in sich trug. Er dachte an den ersten Anblick, das erste Mal, als er Wolfaran auf dem Arm hielt. Die kleinen Hände und Füße.

Er war so groß geworden, ein erwachsener Mann. Hatte er ihm als Kind zu viel durchgehen lassen? Hätte er strenger sein müssen? Fragen, die ihn seit jeher begleiteten. Dann dachte er an seinen Vater, den Tyrannen. Nein, so wollte er nicht sein. Er wollte seinen Kindern ein liebevoller Vater sein.

Liebevoll, schön und gut. War er zu weich?

Leobrecht wurmte es ungemein, dass seine beiden Ältesten ohne seine Zustimmung eigene Entscheidungen getroffen haben. Und dann noch so weitreichende.

Der Reichsvogt haderte mit sich selbst. Hätte er, als Wolfaran geboren wurde, besser seine Entscheidung getroffen und hätte Hilda geehelicht, dann wäre sein Sohn nicht fast zwanzig Jahre ein Bastard gewesen. Es war sicher viel, was auf seinen Ältesten im letzten Jahrzehnt eingeprasselt ist. Vom unbedeutenden Bastard zum Baronsgatten und weiter zum Erben einer Baronie.

Vielleicht konnte er ihm gar nicht verdenken, dass er selbstbewusst seine eigenen Entscheidungen traf.

Ein Haus zu führen, war nicht immer einfach. Anaxios ein Freigeist, ebenso Iralda. Beide intelligent und Freidenker. Wolfaran war ebenfalls zu einem selbstsicheren Mann herangewachsen und hatte eigne Ideen und Ansichten. Leo, die kleine Leonora, sie war so groß geworden und schien auch ihre eigenen Wege zu gehen. Die Herde trieb auseinander. Welche Kniffe sollte er anwenden, um sie zusammen zu halten?

Hatte er Leonora zu viel zugemutet, als er sie mit dem Pferdeflüsterer aus Weißbarûn verheiratete. Oh, er hatte gehofft, dass die beiden zueinander finden. Aber nein, sie konnten sich nicht ausstehen. Es freute ihn, dass sie einen Mann gefunden hatte, den sie liebte. Wäre es ihr Gatte, wäre es noch besser.

Sein Blick schweifte zu Etilian. Wenn Wolfaran in schon als antiquiert bezeichnete, was sollte dann Etilian mal von ihm denken, wenn er größer würde? Als sein Ältester das Licht Deres erblickte war er Ende dreißig, jetzt war er Mitte sechzig, als seine Hilda ihm noch das späte Vaterglück zu Teil kommen ließ.

Er könnte vom Alter sein Enkel sein. Würde er noch mehr rebellieren?

Mit der Hand streichelte er den kleinen Knaben. Oh ja, er hoffte er würde rebellieren, denn das würde bedeuten, dass Leobrecht noch am Leben sein würde und er sehen konnte, wie Etilian zu einem Mann wurde.

Er freute sich ungemein über seinen jüngsten Spross, doch auch Wehmut begleitete ihn bei dem Gedanken, dass er es vielleicht nicht mehr erleben würde, ihn aufwachsen zu sehen.