Geschichten:Waldsteiner Totenbuch - Leydane von Storchenhain

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Stadthaus der Familie Storchenhain, Reichsstadt Hirschfurt, 4. Rondra 1043 BF:

Das kleine, aber adrette Stadthaus der Familie Storchenhain lag im vornehmen Grafenviertel der Reichsstadt Hirschfurt – unweit des Firun-Tempels. Seit fast zwei Jahrzehnten lebte Leydane nun schon in der Reichsstadt, nachdem sie fast auf den Tag genau 40 Götterläufe das Stammgut ihrer Familie für ihren Vater Lubomir verwaltet hatte. Dieser war von Gräfin Naheniel Quellentanz zum Grafschaftsrat von Waldstein ernannt worden und residierte fortan fern des heimatlichen Gutes im Grafenpalas von Hirschfurt. Nicht zuletzt die verworrenen Umstände des Todes ihres Vaters bewegten Leydane dazu in die Reichsstadt überzusiedeln. Denn sie glaubte nicht an ein von ihrem Vater geplanten Mordkomplott gegen Gräfin Allechandriel und schon gar nicht an seinen vermeintlichen Selbstmord nach der Aufdeckung des Komplotts. Ihr Vater wurde ermordet, da war sich Leydane sicher. Viele Götterläufe hatte sie versucht, Beweise zusammenzutragen, doch leider ohne nennenswerten Erfolg. So sollte ihre größte und wichtigste Lebensaufgabe unerfüllt bleiben. Ein Hustenanfall riss sie aus ihren Gedanken. Sie musste sich ausruhen, ihre letzten Kräfte sammeln.

Erschöpft und vor sich hin dämmernd lag sie in ihrem Bett. Die wachen und lichten Momente wurden immer weniger, was sie grämte, doch hatte sie den Kampf dagegen aufgegeben. Sie wusste, ihre Zeit war gekommen. In der Ferne vernahm sie das Rauschen der Flügel des Windvogels. Ihr würde nicht mehr viel Zeit bleiben.


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Ihre ganze Familie hatte sich nunmehr im Stadthaus versammelt um Abschied von ihrem Familienoberhaupt zu nehmen. Als erstes traten ihren drei jüngeren Geschwister an Leydanes Bettstatt. Die sonst so flippige und zerstreute Antimagierin Balphenie Ventamatrix wirkte überraschend gesetzt und unaufgeregt. Vielmehr waren es die Augen des Zweiflinger Marktvogtes Howarth die im Kerzenschein glänzten. Trotz aller Unterschiede was Charakter und Lebensweg betraf, hatten sich Howarth und Leydane doch stets respektiert und über die Jahre eine intensive Korrespondenz geführt. Die jüngste Schwester Raulgard hielt stumm Leydanes Hand. Güte sprach aus den Augen der Verwalterin vom Gut Zweifelsfelden. Nach einem halben Stundenglas verließen die Drei die Schlafkammer, wohl wissend, dass es in der diesseitigen Welt kein Wiedersehen mehr geben würde.


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Als nächstes erschienen Leydanes drei erwachsene Kinder. Odumir, Herr der Stammlande und Hausritter der Gräfin machte einen ganz und gar aufgelösten Eindruck. Schluchzend glitt er auf die Knie und küsste die Hand seiner Mutter, bis er weinend sein Gesicht in der Bettdecke vergrub. Ihr Ältester war schon immer besonders, ein ganz und gar herzensguter und ehrlicher Mensch, der niemanden etwas Böses wollte. Sein eigenwilliger Humor war berühmt wie gefürchtet. Nach dem Tod ihres Vaters hatte Leydane ihrem Sohn den Vortritt gelassen und so wurde Odumir zum Ritter von Storchenhain. Die Führung der Familien blieb freilich in ihren Händen, denn dafür war ihr Sohn gänzlich ungeeignet. Ein Dilemma, das Leydane in den letzten Augenblicken ihres Lebens sehr beschäftigte, aber sie glaubte eine Lösung dafür gefunden zu haben.

Ihre Töchter Jendwina und Imina waren allesamt wohl geraten und versorgt. Beide heirateten die Erben von Junkergütern in Serrinmoor und Linara und Imina verwaltete obendrein noch die gräfliche Feste Rallerwacht. Beide waren auf ihre Weise resolut und durchsetzungsstark – wobei Jendwina voll und ganz in ihrer Rolle als Mutter aufging, während Imina stets nach mehr strebte und nun mir Stolz die gräfliche Feste am Laufen hielt.

Ihren Bruder stützend, verließen schließlich auch Odumir, Jendwina und Imina die Schlafkammer ihrer Mutter.


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Zu guter Letzt, der Abend war bereits weit fortgeschritten, traten Leydanes drei Enkel Albin, Albur und Arn an ihre Bettstatt heran. Die sterbende Ritterin lächelte liebevoll, denn sie liebte ihre Enkel über alles. Sie waren die Zukunft ihres Blutes. Albin, der Älteste, war erst kürzlich zum gräflichen Kämmerer aufgestiegen und das in so jungen Jahren. Es war keine drei Götterläufe her, dass er seinen Ritterschlag erhielt. Der strebsame Bürokrat war auch schon vermählt und hatte Leydane zwei Urenkel geschenkt. Der Fortbestand der Familie war gesichert. Doch auch die anderen beiden ließen das alte und immer langsamer schlagende Herz der Ritterin erfreuen. Albur diente als Sekretär dem Seneschall der Gerbaldsmark und Arn als Knappe dem Erbvogt der Stadt Osenbrück. Beide waren also versorgt und würden ihre Wege gehen.

Als sich die drei anschickten zu gehen, griff Leydanes Hand die von Albin. Für ihn war es noch nicht an der Zeit seine Großmutter zu verlassen.

„Mein lieber Albin, du bist ganz und gar so geraten wie ich es mir erträumt habe.“ Die Stimme der Alten war kaum hörbar.

„Danke Großmutter, du warst immer mein großes Vorbild“, sprach der Jüngling mit Tränen erstickter Stimme. „Es bedarf keiner Worte mehr, ruhe dich aus.“

„Doch Albin, du wirst mir als Familienoberhaupt nachfolgen, so ist es mein Wille. Jeder in unserer Familie weiß, dass dein Vater dafür denkbar ungeeignet ist.“ Albin wollte etwas erwidern, doch ließ ihn ein leichtes Anheben von Leydanes Zeigefinger verstummen. „Mit dir wird die Familie in eine glorreiche Zukunft blicken. Doch du musst mir eins versprechen!“

„Alles was du willst, Großmutter!“ Albin klammerte sich an der rechten Hand der Sterbenden fest.

„Räche deinen Urgroßvater … decke die Umstände, die zu seinem Ende führten auf … bringe die Verantwortlichen zu Fall! Dir wird gelingen … was mir versagt geblieben ist.“

„Das schwöre ich dir, bei allem was mir heilig ist!“ Abin schluchzte. „Doch, hast du nicht schon alles versucht?“

„Dein neues Amt gewährt dir Zugang zum Grafenpalas … ich habe hier Briefe deines Urgroßvaters … sie werden dich führen. Komm etwas naher zu mir, mein Enkel!“

Albin tat wie ihm geheißen und mit brüchiger Stimme flüsterte die Alte dem Jüngling etwas ins Ohr.

„Ich werde dich nicht enttäuschen, Großmutter!“ Die Stimme Albin hatte wieder an Festigkeit gewonnen.

„So und nun lass mich gehen … ich höre bereits den Windvogel.“

„Den Windvogel?“, fragte Albin flüsternd. Doch dann besann er sich. Heute jährte sich zum dritten Mal der Tag des Windvogels aus der Offenbarung Korgonds.

Als Albin zu seiner Großmutter blickte, war diese friedlich entschlafen. So schließt sich wieder ein Kapitel im ewigen Buch der Toten, dachte sich der junge Ritter voller Trauer, aber auch Zuversicht auf das was kommen mochte.