Geschichten:Waldfriede und der Inquisitor - Brand um Mitternacht

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Dorf Brückstetten, 1036 BF

Irgendwie hatte Waldfriede im Sturz doch noch das hölzerne Gitter zu fassen bekommen, an dem der Wein an der Gartenfassade des Gutshauses bis ans Dach emporrankte. Wie ein Wiesel turnte sie an dem Gerüst nach unten und suchte erst einmal Schutz unter einem nahen Stachelbeerstrauch. Aufgeregte Stimmen ertönten und hektische Rufe hallten über das Areal des Gutshofes; unablässig quietschte die Brunnenkurbel, begleitet vom wilden Gebell des vermaledeiten Köters in der grillenbesungenen Nacht. Dann wurde die Gartenpforte aufgestoßen und Leute mit einer Leiter und noch mehr mit schwappenden Eimern und Kübeln kamen heran gestürzt.

„Dort die Leiter anlegen! Sofort eine Kette bilden!“, hörte Waldfriede die Frau kommandieren, die auch tagsüber schon vorrangig Befehle gebellt hatte. Nur ihren glänzenden Helm hatte sie diesmal nicht auf. Begleitet von stetem Flackern kam dicker Qualm aus dem geöffneten Fenster im ersten Stock. Die Großen achteten nur auf den nächsten herangereichten Eimer und so gelangte Waldfriede unbehelligt durch das Gartentor zurück in den Hof. Sie musste das gegenwärtige Durcheinander ausnutzen und die verflixte Truhe aufbekommen!

Als sie die Stufen zur Eingangstüre erklimmen wollte, ließ sie ein schriller Pfiff aus nächster Nähe innehalten und im nächsten Moment quollen Ratten wie schwarzer Rauch durch das offenstehende Portal hinaus in den Hof Waldfriede entgegen. Doch ohne sie zu beachten, stürzten die Pelztiere an ihr vorbei und auf den neben dem Brunnen stehenden Inquisitor zu, der von dort, nur mit seinem Hemd bekleidet, die Löscharbeiten koordiniert hatte. Sofort geriet die Eimerkette ins Stocken, als die Leute an der Brunnenkurbel das Weite suchten, während sich Spangenberg der wie tollwütig anrennenden Tiere mithilfe eines wild geschwungenen Eimers zu erwehren suchte. Doch das kümmerte Waldfriede in diesem Augenblick nicht. Ihre Aufmerksamkeit war über den Strom der Nager hinweg ganz auf die mit schweren Eisenbändern umwundene klobige Reisetruhe gerichtet, die im rauchgeschwängerten Hausflur stand: Das Schloss war beseitigt, der Deckel stand offen und von ihren Kinderchen war weit und breit nichts zu sehen.

Im Nu stand sie auf der Kante des sperrigen Möbels und sah ihre ungute Vorahnung bestätigt: In der Kiste befand sich keines ihrer Kleinen, wenn auch deren Geruch noch leicht am Stroh auf dem Kistenboden haftete. Aber wo waren sie dann? Waldfriede konnte sie einfach nicht mehr erspüren wie sonst, wenn sie irgendwo in der Nähe herumstromerten. Warum waren sie nicht mehr hier? Hatte der Inquisitor ihre Kinderchen aus der Kiste herausgeholt und woanders hin gebracht? Und wohin? Doch mit dem Mann war zurzeit nur schwerlich zu reden, denn noch immer ergoss sich der Rattenschwarm unablässig über den Flur hinaus in den Hof und fiel über den Inquisitor und die Bannstrahler her, auch wenn diese schon etliche der Nager in leblose Kadaver verwandelt hatten. Die schwarzpelzigen Biester hielten alles auf! Wild entschlossen sprang Waldfriede von dem Kistenrand herunter und flitzte in Richtung Zwinger. Endlich würde der Kläffer zu etwas wirklich nützlich sein! Den Riegel zurückzuschieben war in dem Lärm und Durcheinander zwar nicht so einfach wie gedacht, aber es gelang ihr schließlich und die Zwingertür sprang auf. Wie ein Pfeil sauste der Hund, der bisher vergeblich hinter den Gitterstäben auf und ab gesprungen war, ohne auch nur eine der Ratten erwischen zu können, mit gefletschten Zähnen durch die sich unerwartet auftuende Öffnung und warf sich mittenhinein in das blutige Kampfeschaos zwischen Mensch und Nager. Immer heller wurde die groteske Szenerie von den mittlerweile durch das Dach des Herrenhauses schlagenden Flammen und durch die umherfliegenden Funken beleuchtet. Über dem Schreien, Zischen, Krachen und Kreischen läutete die Glocke des Perainetempels im nahen Dorf Sturm.

Doch was auch immer es war, das die Ratten zu ihrem wahnwitzigen Tun angestachelt hatte, mit einem Mal war es verschwunden. Waldfriede, die sich auf das Zwingerdach geschwungen und aus einigermaßen sicherer Entfernung das Treiben um sich her verfolgt hatte, erkannte dies, als etliche der Tiere plötzlich wie orientierungslos verharrten, in die Luft schnupperten und, ihren natürlichen Ratteninstinkten folgend, zurück in die Schatten zu gelangen suchten. Doch auch dabei wurden noch einmal viele von ihnen durch die Bannstrahlkämpfer und die mit Knüppeln, Äxten und Flegeln herbeigeeilten Dörfler erschlagen. Der gräuliche Tanz der Schatten an den getünchten Wänden der Hofgebäude hatte schließlich ein Ende. Nur das Herrenhaus stand nun unrettbar im hochauflodernden Feuer. Alles, was die Brandhelfer noch tun konnten, war, ein Übergreifen des Feuers zu verhindern, und damit hatten sie mehr als genug zu tun. Immer wieder schlich Waldfriede währenddessen um das gleißende Hitzemeer herum auf der Suche nach einer Spur, einem Hilferuf, oder irgendetwas anderem, dass ihr half, ihre Kinderchen zu finden – aber ohne Ergebnis.

Wie ihre erste Begegnung am Abend gezeigt hatte, war der Inquisitormensch doch gefährlicher, als sie angenommen hatte, und der Gedanke, ihm womöglich erneut offen gegenüber treten zu müssen, gefiel Waldfriede kein bisschen. Sie sah, wie er sich in Begleitung eines Bannstrahlers ins Dorf aufmachte. Der Mann hatte ihm zuvor frische Kleider gebracht – nicht, dass Spangenberg in dieser Nacht hätte frieren müssen. Vorsichtig verfolgte Waldfriede die beiden im Schatten einer moosbewachsenen Bruchsteinmauer. Ihr Weg endete am hell erleuchteten Perainetempel, wo die Praiosdiener von der fülligen Dorfgeweihten, hereingebeten wurden. Durch einen Fensterspalt sah Waldfriede zu, wie sich der Inquisitor die zahlreichen von den Ratten beigebrachten Bisswunden von der Hüterin der Saat verarzten ließ.

Ein Rascheln und Röcheln in den Gartensträuchern hinter sich ließ sie herumfahren. Beißend-feuriger Geruch von verkokelten Fleisch stieg ihr in die Nase, als ein riesiger Schatten ihr die Sicht nahm. Ein vom Entsetzen gespeistes Quieken entrang sich Waldfriedes Kehle. Unterhalb der sie anstarrenden rotgeäderten Augen glänzte kurz ein goldenes Pfeifchen auf. Eben gerade so entwich sie der hervorschnellenden von Brandblasen übersäten Hand. Im Wegducken streiften die Finger über ihre Haare hinweg und in dem Moment wusste Waldfriede: Der Schatten hatte ihre Kinderchen gehabt! Ein Blick und sie landete auf dem kerzenbeschienen Tisch neben der Flasche mit Pflaumenschnaps, den die Geweihte zum Auswaschen der Verletzungen benutzt hatte.

„SchnellschnelleristdadraußenderSchattenlebterhatdiePfeifediedieRattengerufenhatunderhatmeineKinderchenhilfeHILFE!“, sprudelte es aus ihr heraus und gestikulierte wild in Richtung Fenster. Die Perainepriesterin ließ vor Schreck die als Verband gedachten Leinentücher fallen und dem Bannstrahlmann fiel nichts Besseres ein, als wegen Waldfriedes urplötzlichem Erscheinen nach seinem Schwert zu langen. Einzig der Inquisitor hatte offenbar ihre Worte tatsächlich verstanden, griff nach der Schnapsflasche und warf, als er die vom Feuer entstellte Fratze mit der Pfeife zwischen den Zähnen vor dem Fenster gewahrte. Statt eines schrillen Pfiffs ertönte nunmehr ein niederhöllisches Schmerzensgebrüll, als sich der Inhalt des am Rahmen zersplitternden tönernen Gefäßes über die schwärenden Wunden ergoss. Dann war die Schreckgestalt vom Fenster verschwunden, ihr sich entfernendes Geheul schallte durch die Nacht.

„Los, hinterher! Wir müssen ihn verfolgen!“ Spangenberg war aufgesprungen.

„Aber…“, stammelte die erbleichte Dorfgeweihte.

„Du wirst sofort Hauptfrau von Zackenberg aufsuchen und ihr Bescheid geben! Sie soll ihre Leute ausschwärmen lassen“, befahl der Inquisitor scharf und an den Bannstrahler gewandt: „Komm, Roderik!“ Dann fiel sein stechender Blick auf Waldfriede, die langsam zur Tischkante zurückgewichen war.



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1036 BF
Brand um Mitternacht
Pilz am Abend


Kapitel 4

Autor: Steinfelde