Geschichten:Von Pagen und Knappen 2

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Raslan von Boronshof

Boronshof, im frühen Phex 1031


Es war früh am Morgen. Draußen dämmerte es gerade erst, als Raslan leise die Treppe hinunterschlich. Am unteren Ende spähte er vorsichtig um die Ecke. Gut, sein Vater war nicht zu sehen, vielleicht schlief er sogar noch. Sein Vater hatte immer gleich irgendetwas zu tun für ihn. 'Disziplin ist eine der wichtigsten Tugenden eines Mannes. Das kann man nicht früh genug lernen.', hatte er ihm oft genug gesagt und Geschichten von seiner Zeit auf der Offiziersschule erzählt. Nein, da wollte Raslan wirklich nicht hin. Und mußte er ja auch nicht, er würde als Knappe zu einem echten Ritter gehen. Nicht stramm stehen und marschieren und Stiefel putzen den ganzen Tag, sondern Abenteuer, Drachen besiegen und entführte Prinzessinnen retten, was Ritter halt so tun.

Raslan eilte weiter in den Teil des Gutshauses, wo schon lange geschäftiges Treiben herrschte. Der Geruch frischgebackenen Brotes ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er öffnete die Tür zur Küche und huschte hinein. Wohlige Wärme umfing ihn, über einem Feuer brutzelte bereits der Braten für das Mittagessen, Folke, der Küchenjunge, eilte hin und her und in der Mitte des Raumes stand eine wohlbeleibte Frau an einem Tisch und gab Anweisungen in alle Richtungen, während sie kunstvolle Gebäckstücke bereitete.

„Guten Morgen, liebe Sanna“, grüßte Raslan sie, „ich habe solchen Hunger, daß ich einen ganzen Bären verschlingen könnte.“

„Ha, nun, Bär ist aus heute, nimm dir ein Stück vom frischen Brot dort drüben.“ Raslan brach sich ein großes Stück Brot ab und biß hinein.

„Dasch ischt dasch ...“, er kaute und schluckte, “das beste Brot im ganzen Mittelreich. Auf Burg Pechackern gibt es bestimmt nicht so gutes Essen wie hier, schließlich bist du ja nicht da.“

„Du wirst mir auch fehlen, Junge. Ich packe dir deinen Lieblingskuchen ein für die Reise morgen.“ Auf dem Weg aus der Küche griff sich Raslan noch etwas kalten Braten vom Vortag und lief weiter nach draußen.

Eisiger Wind wehte ihm ins Gesicht, er packte das Essen in seinen Beutel und zog den Umhang enger um sich. Er lief über den verlassenen Hof am Stall vorbei über die verschneite Wiese. Geschickt zog er sich auf die Mauer hinauf, sprang auf der anderen Seite wieder herab und huschte weiter in Richtung Dorf. Er lief zum Haus des Steinmetzes, bei dem sein bester Freund Maro vor einem halben Jahr seine Lehre begonnen hatte. Davor hatte Maro auf dem Gutshof gelebt, er war eines der sieben Kinder des Stallmeisters, und sie hatten fast jede freie Minute zusammen verbracht.

Raslan schlich um das Haus und klopfte leise an den Fensterladen vor Maros Kammer. „Maro, bist du wach?“

Der Fensterladen öffnete sich ein Stück. „He, Raslan, ... du hast es doch geschafft zu kommen.“

„Hatte ich doch versprochen. Gestern konnte ich überhaupt nicht weg, soviel zu tun vor der Abreise. Los komm, wir hauen ab in den Wald. Ich hab was zu essen.“

Sie stapften gemeinsam durch den Schnee. Maro war zwar auch ein halbes Jahr älter als der fast vierzehnjährige Raslan, aber im letzen Jahr war er so gewachsen, daß Raslan sich fast klein vorkam. Na gut, er war auch nicht besonders groß und eher schlacksig und besonders kräftig sahen seine Arme auch nicht aus, wenn er sie so betrachtete.

„Maro, glaubst du, ich tauge zum Ritter? Ich bin nicht so stark, und das Schwert von meinem Vater ist echt schwer.“

Maro betrachtete seine eigenen Hände und lachte. „Du solltest nur mal ordentlich arbeiten. Ich schleppe den ganzen Tag Steine hin und her.“ Er fügte ernsthaft hinzu: „Bestimmt taugst du zum Ritter. Stark wirst du schon noch. Und das wichtigste für einen Ritter ist, daß er mutig ist und allen Menschen in Not hilft, ...“

„Und ehrenhaft ist“, fuhr Raslan fort, „und die Menschen beschützt vor den Orks und anderem Bösen...“

„Wie in all den Geschichten, die der Lehrer uns im Winter am Feuer immer erzählt hat“, endete Maro. In den Jahren zuvor hatte oft ein reisender Schreiber aus Thorwal den Winter auf dem Gutshof verbracht, abends Geschichten erzählt und am Tag die Kinder im Lesen und Schreiben und Rechnen unterrichtet. Raslan liebte die Geschichten von Helden und Abenteuern.

„Wann kommst du wieder zurück?“, fragte Maro. Sie waren bei ihrem Lieblingsbaum angekommen.

„Weiß ich nicht, vielleicht erst wenn ich selber Ritter bin.“ Sie machten es sich hoch oben im Baum gemütlich, beobachteten den Sonnenaufgang, verspeisten das mitgebrachte Essen und träumten von Abenteuern, die sie später gemeinsam erleben würden.