Geschichten:Vom Ende einer Vorstellung

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Dumpf vor sich hinbrütend saß Odoardo von Quintian-Hohenfels im prächtig ausgestatteten Arbeitszimmer seiner Residenz, mit sich und der Welt hadernd. Die Zerstörungen, Todesschreie, Plünderungen wie auch das schrankenlose Wüten von Dämonen in der Straßen der Reichsstadt schien der alte Lebemann nicht wahrzunehmen. Sie interessierten ihn auch nicht mehr.
Die letzten Tage waren für ihn ein einziger Alptraum gewesen; dass es sich dabei teilweise auch um die namenlosen Tage handelte, passte hierzu perfekt. Odoardo füllte seinen Becher erneut mit Wein, stand abrupt auf und prostete sich vor einem Spiegel selbst zu: "Auf den Totengräber Perricums! Möge sein Name noch von vielen Generationen verflucht werden!" Sprach´s und stürzte den Wein hinunter.
Schwerfällig setzte sich der Ratsherr auf seinen Schreibtisch, nicht darauf achtend, dass er dabei einige Pergamente, Schreibutensilien und ein volles Tintenfässchen zu Boden warf. Nachdenklich betrachtete er den größer werdenden Tintenfleck auf dem Boden. Wenn man ihn demnächst den Kopf abschlüge, gäbe es wohl einen noch viel größeren Fleck. Und doch konnte er gar nicht genug bluten, um all das heute und in den vergangenen Tagen vergossene Blut zu überdecken.
Ein tiefer Seufzer entrang sich Odoardos Kehle, gefolgt von einem bitteren Lächeln. Die Götter schätzten offenbar Ironie. Da hatte der Stadtvogt einmal in seiner politischen Karriere versucht, selbstlos zu handeln und als Konsequenz ging nun die ganze Stadt in Flammen auf, während ihre Bewohner von dies- und jenseitigen Schrecken niedergemetzelt wurden. Dabei hatten er und seine Mitstreiter im Rat genau dies verhindern wollen, als sie sich mit Haffax einließen. Wie - und vor allem: womit? - hätte der Magistrat denn auch Perricum verteidigen sollen? Das Gros der Truppen war entweder mit der Kaiserin gen Mendena gezogen oder quer über das Land verteilt. Haffax Unterhändler hatte damals recht gehabt, als er sagte, dass die Stadt so oder so an seinen Herrn fallen werde, es aber am Stadtrat sei zu entscheiden, mit wieviel Tod und Zerstörung dies einhergehen solle.
Odoardo griff erneut zur Karaffe. Er betrachtete das fast leere Gefäß einen Moment lang, bevor er es zum Mund führte, um den letzten Rest Wein auszutrinken. Mit dem Ärmel seines kostbaren Gewandes wischte er sich den Mund ab und ließ dabei die Karaffe achtlos zu Boden fallen, wo sie ein Stück über den Teppich rollte. Früher hätten ihn solch vulgäre Umgangsformen regelrecht abgestoßen, aber heute war es ihm egal. Heute war ihm alles egal. Heute war der letzte Tag, an dem ihm etwas egal sein konnte.

Seine letzte Anweisung als Stadtvogt hatte Odoardo schon gegen Mittag erteilt, als ihm von einem Gardisten die Sichtung der kaiserlichen Entsatzflotte gemeldet worden war. Mit einer Ruhe und Gelassenheit, die man sonst nicht an ihm kannte, hatte er die bereits vor einiger Zeit vorbereitete Zerstörung des ersten Bogens der Sankta-Reshmina-Brücke angeordnet. Wenn er schon die Stadt nicht schützen konnte, dann wollte der Stadvogt zumindest dafür sorgen, dass den Angreifern der Rückzug über den Darpat versperrt wurde. Zugleich hatte er dem verdatterten Gardisten seine Amtskette, verbunden mit der Bitte, sie baldmöglichst einem Vertreter des Reiches zu übergeben, in die Hand gedrückt. Danach hatte er alle Bediensteten weggeschickt und sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen.

"Zeit für den letzten Akt, den letzten Auftritt, Odoardo, bevor der Vorhang für immer fällt!" sprach der Liebhaber der schönen Künste mit theatralischer Stimme, als er sich mit einem Ruck vom Tisch erhob. Aus dem ganzen Haus holte er mit stoischer Ruhe und ohne jede Hast seine dort befindlichen Kunstschätze zusammen und türmte sie in seinem Arbeitszimmer zu einem stattlichen Haufen auf: Kostbare Gemälde, filigrane Porzellan- und Glasfiguren, seltene Stoffdrucke, wertvolle Erstausgaben und vieles mehr lag nun achtlos zusammengewürfelt vor seinem Schreibtisch. Ein fröhliches Kinderlied pfeifend brachte er wenig später aus der Küche zwei Krüge Öl und verteilte den Inhalt sorgsam in seiner Kammer. Dann nahm der Reichsvogt wieder vor seinem wuchtigen Schreibtisch Platz. Odoardo richtete seine Kleidung, entzündete eine Öllampe und nahm aus einer Schublade einen kostbar verzierten Dolch. Alles war bereit. Jetzt galt es nur noch, auf angemessene Art und Weise die Bühne zu verlassen.
Der Ratsherr warf die Laterne vor sich auf den ölgetränkten Teppich, der sofort Feuer fing, welches sich wiederum rasend schnell im Raum ausbreitete.
"Der Rest ist Schweigen." Sprach´s und rammte sich den Dolch in den Bauch.
Der Vorhang war gefallen.