Geschichten:Vertraute der Krone - Nur noch 39 Tage

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Tal der Kaiser, im Efferd 1038

Müde zog Corva ihre schwarze Lederrüstung über den Kopf und fing an, die einzelnen Schnallen festzuzurren. Mit dem heutigen sind es nur noch 39 Tage dachte sie bei sich selbst und der Gedanke nahm ihr bereits ein großes Stück ihrer Müdigkeit, während ihre Gedanken an die spätherbstliche Vollmondnacht vor einigen Jahren zurückkehrten.

"Willst also Du, Zerline von Schwarzenfels, Wacht halten über der Kaiser heilig Blut und ihre letzte Ruh'?"

Fertig mit der Lederrüstung streckte die auch nach Jahren in Waffen immer noch zierliche Schlunderin noch einmal die Arme in beide Richtungen, so dass der Rücken knackte. Danach warf sie den schlichten schwarzen Mantel der Wächter über die Schultern und verließ das Ordenshaus in gemächlichem und leisem Schritt, damit Bruder Bertram sie bei seiner letzten Runde einholen konnte. Bertram diente jetzt nun auch schon fast drei Jahre nach seinem Schwur.

"Fürderhin wirst Du Schwester Corva heißen, bis dass der Rabengott Deinen Namen aus dem Vergessen holt."

Noch 39 Tage, dann würde sie den schlichten schwarzen Mantel an ein neues Küken übergeben, so wie Halbrecht Corva den seinigen gegeben hatte. Und dann würden die Hohen Wächter sie der Tradition folgend zur Wächterin ernennen, eine weitaus weniger anstrengende Tätigkeit, die Ihr weitreichende Kontakte in den Kreis des Hochadels geben könnte.

Corva nickte Bruder Bertram zu, der seine Erleichterung noch immer nicht verbergen konnte, dann begann sie ihren Ehrenmarsch an den Grabbauten der Kaiser entlang. Der erst kalte Herbstwind zog bereits von Norden heran, rang aber noch mit dem warmen Wind Caldaia. Die Nacht würde lang und kalt werden.

"Und Du sollst Wacht halten fünf Jahre!"

Corva schritt Ihre Runde ab, vor jedem Kaisergrab zum kurzen Gebet verharrend. Vor Bardurons finsterer Gruft verstummte der letzte der allgegenwärtigen Raben für die Nacht und wie jedes Mal schlug Corva die Stille mit einer Wucht entgegen, auf die man sich - zumal an so einem Ort - auch nach Jahren nicht einstellen kann.

"Und Du sollst Schweigen fünf Jahre!"

Sie atmete kurz durch und schritt auf die Gruft Eslams des V. zu, die fast verspielt lebendig wirkte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Corva wusste, dass etwas nicht stimmte, konnte es aber nicht ausmachen. Die Stille war weiterhin, bis auf das gelegentliche Rauschen des Windes, nahezu perfekt. Und sie hatte auch nichts bemerkt, als sie von Bardurons zu des fünften Eslams Grablege geschritten war.

"Und Du sollst den Toten dienen, mit Augen und Ohren, mit Speer und Schild, mit Herz und Verstand."

Corvas Herz klopfte bis zum Hals. Plötzlich schlug sie die Erkenntnis wie eine Fausthieb: Zwischen den Grablegen Bardurons und Eslams des V. lagen noch die von Hal und Eslam des II. So tief in Gedanken, das zu übersehen konnte sie nicht gewesen sein. Corva dreht sich um und lief zurück zu der zweitgenannten.

Ihre plötzliche Eile scheuchte Vögel auf, doch es waren keine Raben, schwarz schon, aber viel zu klein. "Amseln!", warf ihr Verstand ein, während ihr Körper ob der schieren Anzahl erstarrte. "Greif Deinen Speer, hebe den Schild!", versuchte es erneut der Verstand als eine kleine Gestalt aus dem Tor herauskam, anscheinend ebenso überrascht wie Corva.

Corvas Gegenüber fasste sich schneller, mit einer einfachen Geste hüllte er beide in Dunkelheit. Unter dem Lärm der auffliegenden Amseln verschwand er aus dem Tal der Kaiser und aus Corvas Erinnerung.

"Schwester Corva, auch wenn wir noch nicht wissen, was im Grab Eslams des II. gestohlen wurde, hast Du Deine Wacht und Deinen Schwur vernachlässigt. Die Hohen Wächter haben deshalb entschieden, dass eben jene Wacht um weitere fünf Jahre verlängert wird."