Geschichten:Verschollene Eber: In den Kosch - Erlenschloss

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Tatsächlich wäre die weitere Fahrt unter anderen Umständen eine beschauliche Winterreise geworden. Herr Firun hatte für den Rest des Tages ein einsehen und ließ den Himmel immer wieder aufklaren. Der jungfräuliche Schnee glitzerte im Licht der langsam zu den Koschbergen wandernden Sonne. Doch der Prinz war still geworden. Je näher man dem Schloss seines Bruders kam, desto öfter schienen seine Gedanken zu ihm und dessen Gemahlin zu gleiten. Edelbrecht hatte erst vor wenigen Jahren seinen Zwillingsbruder Idamil verloren - gefallen bei der Zerstörung von Gareth. Dennoch hatte er nie einen Gedanken daran verschwendet, dass seinem anderen verbliebenen Bruder etwas zustoßen könnte. Zu sicher und behaglich schien das Leben des älteren Anshold, zu klar vorgezeichnet dessen Weg. Er sollte dem gemeinsamen Vater als Fürst nachfolgen, Erben zeugen und so die Tradition des Hauses Eberstamm im Kosch fortführen.

Erst langsam sickerte der dumpfe Gedanke in Edelbrechts Kopf, dass diese tausend Jahre ein Ende finden könnten. Anshold hat keinen Erben hinterlassen und er selbst würde nur schwerlich das koscher Erbe antreten können - sein Leben gehörte nun dem stolzen Greifenfurt. Er zwang sich die dunklen Gedanken beiseite zu schieben - noch hatte niemand den Tod seines Bruders vermeldet, und er würde alles tun, damit es so bliebe.

Ohne das hinderliche Gestöber kam man erfreulich schnell voran. Vorbei an in Zuckerguss gehüllten Dörfern und Städtchen mit Namen wie Bauersglück, Trallik oder Alt-Garnelen. An einer Stelle, an der nicht weniger als sechs Wege aufeinandertrafen, bog man scharf rechts ab, in einen dichten Wald. Das silberne Glitzern des Firns wich goldenem Staub, der hin uns wieder von den Ästen rieselte. Im Schatten des Waldes brach die Nacht schnell herein. Das Praiosmal versank schnell hinter den Gipfeln des Kosch und man war gezwungen eine kleine Weile in Dunkelheit zu reiten, ehe einige Lichter, die sich in einem See spiegelten, ein Gebäude ankündigten. Das Erlenschloss - der Wohnsitz des Koscher Erbprinzen war erreicht.

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Erschöpft glitt der Rittmeister aus dem Sattel. Als er die fernen Lichter zuallererst gesehen hatte, meinte er, sie seien noch Tagesreisen entfernt. Doch schließlich erreichte er das Schloss. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und auf dem Hof war keine Menschenseele zu sehen. In einem kleinen Wachhäuschen kauerte in der eisigen Kälte ein Soldat und wurde in diesem Moment auf ihn aufmerksam. „Halt, im Namen des Fürsten, wer da?“ rief er aus.

„Junker Urion von Reiffenberg, Vorhut des Prinzen Edelbrecht vom Eberstamm und von Wertlingen und Hochgeboren Nirwulf Cantzler des Kosch. Die hohen Herrschaften werden kurze Zeit nach Untergang des Praiosmals hier eintreffen. Eilt zu Eurem Herren und meldet die Ankunft des Prinzen und seines Gefolges und heizt die Küche und die Öfen an, auf dass wir ein warmes Bett bekommen und ein gar köstlich Mahl.“

Der Soldat stob davon und tat wie geheißen. Urion wies Timokles an, auf des Posten Stelle zu bleiben, und begann einen Rundgang um das Anwesen. Er würde sich die Umgebung genauer ansehen, weil hier der schändliche Überfall auf die fürstliche Familie stattgefunden hatte. Mit Spuren konnte er wohl kaum rechnen, zu verschneit waren die Wiesen und Felder ringsum, aber er wollte ein Gespür dafür bekommen, wie er selbst diese Tat ausgeführt hätte, zumal die fürstliche Kutsche dazu benutzt worden war. Und wenn er sich mit etwas auskannte, dann waren es Pferde und Kutschen.

Als die Mauern des Schlosses dem Trupp immer näher gekommen waren, war die Freude auf einen beheizten Raum und eine warme Speise bei Timokles immer weiter gewachsen. Hoffnungen, die nur allzu schnell durch den Befehl des Rittmeisters zunichte gemacht worden waren. So bezog der Knappe den Posten und fror und dachte nach, doch vor allem fror er…

Die Kälte war wie ein unbezwingbarer Feind, gegen den keine Rüstung und kein Mantel Schutz boten. Sie zog vom Boden nahezu ungehindert durch die Stiefelsohlen in seine Zehen und in seinen ganzen Leib, sodass er zitternd wie Espenlaub wenigstens versuchte, durch Stampfen und Schütteln seiner Arme Leben in seine Extremitäten zu bekommen. So wartete er allein mitten in der Nacht am Tor, während aus dem Haupttrakt Licht wilde Schatten auf das verschneite Pflaster des Hofes warf und eine Illusion von gebratenem Wild und warmem Met verhieß. Doch er wartete. Es war zwar unwahrscheinlich, dass man eines Wächters bedurfte, jetzt, da Phexens Sternenhimmel schon irgendwo hinter den Wolken verborgen sein musste, aber er durfte sich nicht schon wieder einen solchen Schnitzer erlauben. Noch vor wenigen Stunden hatte ihn seine Mentorin Lyeria beiseite genommen und ihn besserer Manieren verwiesen und dass sie seine Dummheiten und sein Ungeschick bald werde maßregeln müssen, es jedoch nun noch bei einer Verwarnung bliebe. Wenigstens blieb sein stürmischer Ritt ohne Konsequenzen. So wartete er, als er in der Dunkelheit sah, wie sich etwas bewegte.

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Urion schlenderte wachsam im Dämmerlicht um das Schloss. Es war nicht sonderlich groß und wirkte weder protzig noch wehrhaft. Es hatte einen einzelnen Turm, eher ein Treppenturm denn ein Bergfried, der am Rand eines kleinen Sees stand. Die Ränder des Teiches waren mit Eisschollen überzogen, doch in der Mitte spiegelte sich der rasch dunkler werdende Himmel. Rings um das Gewässer und das Schloss ragten alte Erlen, Buchen und Eichen ihre kahlen Äste empor. Ein ruhiger und entlegener Ort – doch bot er auch ideale Möglichkeiten für Gesindel sich zu verstecken, wenn es das Eingangstor zum Grundstück erst mal überwunden hatte.

Der Rittmeister ging weiter und kam schließlich zu einigen Anbauten mit drei großen Toren - seine Vermutung, dass es sich dabei um die Stallungen handeln musste, bestätigte sich. Alle Tore waren verschlossen, Urion sah, dass sie unversehrt waren - doch durch ein vergittertes Fenster konnte er gut einige Rösser sehen, vier Plätze dazwischen waren leer. Dahinter zeichnete sich der Umriss einer offenen Kutsche ab, auch neben ihr gähnte eine größere Lücke.

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Derweil kam am anderen Ende des Schlossgeländes, unweit des Torhäuschens, an dem das Betreten des Grundstückes überwacht wurde, der Schatten auf Timokles zu. Er kam vom Tor selbst, in seiner Hand zeichneten sich die Umrisse einer Hellebarde ab. Der dickliche Mann mit Zwirbelbart näherte sich dem Knappen - offenbar handelte es sich um eine zweite diensthabende Schlosswache: „Was stehst du hier herum, Junge?“

Timokles, der lange versuchte, etwas Genaueres auszumachen, zuckte kurz zusammen, bis ihn irgendetwas in der Stimme reflexartig dazu brachte, Haltung anzunehmen. „Ich bin Timokles und bin die Vorhut des Prinzen, ich meine, ich bin Teil der Vorhut und sollte hier Stellung beziehen, während Euer Comes die Ankunft des Prinzen und des Cantzlers anmeldet. Ich meine den Zwergen, Nirwulf, und Seine Hochwohlgeboren, den Prinzen vom Eberstamm“, stammelte der Knappe hervor, ohne auch nur zu wagen, sein Strammstehen aufzugeben.

Die Stirn des Hellebardenträgers legte sich in Falten, Misstrauen spiegelte sich in seinen Augen, als er seine Faust fester an seine Waffe klammerte: „Des Cantzlers Nirwulf und Prinzen vom Eberstamm? Was redest Du da, Junge? Der Prinz, genauer der Erbprinz, ist seit Wochen verschwunden und der Cantzler ist erst heute Morgen aufgebrochen, um nach Spuren zu suchen. Also…“, die Stimme der Wache wurde lauter, „...was willst du wirklich hier?“

Urion hatte seinen Rundgang beendet und befand sich auf direktem Wege zurück zum Posten des Knappen, als er aus einiger Entfernung eine zweite Person mit einer Hellebarde bei dem Knappen stehen sah. Es handelte sich dabei vermutlich um eine weitere Wache, die auf ihrem Rundgang den Knappen entdeckt hatte und nun auf ihn einredete. Er erkannte eine gewisse körperliche Anspannung in der Haltung des Soldaten. Urion näherte sich der Gruppe langsam und im Schutze einiger mannshoher Sträucher, die von der auf ihnen ruhenden Schneelast ihre Zweige beugen mussten. Mit seiner weiß-braunen Tarnkleidung hob er sich kaum vom Hintergrund ab. Als er bis auf 15 Schritt herangekommen war, blieb er stehen und lauschte dem Gespräch.

„Ich, ich, ich“, der Knappe schluckte; auf eine solche Auseinandersetzung war er nicht vorbereitet. Er merkte, wie trotz der erbarmungslosen Kälte Schweiß seinen Rücken hinablief und seine Knie etwas zitterten, sodass sich seine einwandfreie Haltung langsam auflöste. Dann erinnerte er sich seiner Queste, der Begleitung solch hochgestellter Persönlichkeiten, und in ihm wuchs der Wunsch, nicht schon wieder zu versagen. Als nun der Wächter abermals auf ihn eindrang, seine Hellebarde bedrohlich vor sich platziert, schien sich in ihm ein Knoten zu lösen: „Na wird’s bald, was machst du hier, Bursche!“, schnauzte Timokles zurück, der seine Fassung und auch die Kraft seiner Stimme wiedergefunden hatte: „Ich bin hier in einer wichtigen Queste unterwegs, deren Bedeutung und Inhalt Ihr weder zu kennen würdig, noch zu verstehen in der Lage seid, Wächter. Doch nehme ich zur Kenntnis, dass Ihr Eure Aufgabe mit Bedenken und Verantwortungsbewusstsein wahrnehmt. Euch sei nur mitgeteilt, dass wir uns eben dieses Verbrechens, das den Prinzen vom Eberstamm ereilte, eingedenk sind und so zusammen mit den edelsten Recken der Mark Greifenfurt und des Kosch hier erschienen sind, um die Übeltäter, die diese Tat begangen haben, Ihrer zwölfgöttlichen Strafe zu überanworten.“ Seine Stimme hatte sich zu einer nicht gekannten Festigkeit erhoben und er machte einen Schritt vorwärts, wobei zu seinem Erstaunen auch der Wächter etwas zurückwich. „Geht also wieder auf Euren Posten, Mann, und empfangt den Markgräflichen Gemahl von Greifenfurt, Prinz von Kosch, Land-Edler von Greifenfurt und Ritter des Reiches, Edelbrecht vom Eberstamm!“

Die rundliche Wache war sichtlich erstaunt. Seine Augen waren einen Moment groß wie Pflaumen, ehe er laut und herzhaft zu lachen begann: „Ach du gehörst zum Prinzen Edelbrecht! ... hahaha... Na du bist mir ein komischer Bursche. Will einem fürstlichen Hellebardier Befehle erteilen… na an dir wird der gute Prinz sicher seiner Freude haben.“

Urion trat aus seiner Deckung – in 15 Schritt Entfernung, nicht dass der Hellebardier auf krumme Gedanken käme - und sprach laut zum Soldaten. „Da hat er ganz recht, Soldat. Seine Hochwohlgeboren der Prinz Edelbrecht hat seine wahre Freude an diesem jungen, mutigen Knappen des Golgaritenorden. Und ein komischer Bursche ist unser Timokles nun wahrlich nicht, zumindest hat er in den letzten Tagen soviel durchgemacht, dass er bestimmt nicht zu Scherzen aufgelegt ist. Er sollte sich vor dem Verstand des jungen Recken in Acht nehmen; der ist manchmal schärfer als sein Schwert. Nebenbei vergaß ich mich vorzustellen, Rittmeister Urion von Reiffenberg, Edler zu Rosskuppe und Verwalter des Markgräflichen Gestüts zu Hexenhain und heuer Anführer der Vorhut des Prinzen Edelbrecht vom Eberstamm-Wertlingen.“

Zum Knappen gewandt sprach er: „Lauf jetzt zum Stall und sieh nach, ob du unsere Pferde den Stallknechten überlassen kannst. Danach gehst du sofort ins Schloss und kommst mit dem alten Posten hierher, um den Prinzen zu begrüßen und deiner Herrin zur Hand zu gehen. Sie wird sicherlich genauso durchgefroren sein wie wir. Ich bin sehr zufrieden mit dir und du wirst mir heute Abend beim Essen berichten, was du auf diesem Ritt alles für dich gelernt hast. Aber jetzt troll dich.“ Die dickliche Wache hatte bei Urions Auftritt Haltung angenommen und stand nun regungslos da.

Timokles war ebenso erstaunt wie erfreut, dass der Rittmeister sich plötzlich aus der Dunkelheit geschält hatte. Er nickte dem Wächter zu und deutete eine knappe Verbeugung gegenüber dem Rittmeister an: „Ja Herr, ich bin schon auf dem Weg.“ Während sein Herz ihm immer noch bis zum Halse schlug und sein Blut in den Ohren rauschte, nahm er Urion die Zügel seines Pferdes ab, wandte sich von den beiden Männern ab, wobei er den Hellebardier mit keinem weiteren Blick beachtete, und ging in Richtung eines Stallgebäudes. Dort angekommen erblickte er in einer der Boxen ein sonderbares, höckriges Wesen, das so ähnlich wie ein Pferd aussah, nur größer. Er versank in ein angestrengtes Nachdenken und kam zu dem Schluss, dass es sich wohl um einen sogenannten Bidehöcker handeln müsste. Ein Wesen, das aus den Weiten der südlichen Wüste stammen musste. Von einem verwunderten Knecht, der gerade auf einem Rundgang durch die Ställe war, wurde er aus seinen Grübeleien gerissen, drückte diesem die Zügel der Pferde in die Hand und bemerkte, dass man mehrere Boxen freimachen solle, da eine berittene Delegation des Prinzen Edelbrecht von Eberstamm-Wertlingen erwartet werde. Den Knecht zurücklassend, der in eine geschäftige Hektik verfiel, durchquerte Timokles den Schlosshof, klopfte sich vor dem Tor zum Hauptgebäude rasch den ärgsten Schmutz von der Kleidung und betrat das Gebäude. Als er gerade durch den getäfelten Flur schritt, auf eine zweiflüglige Tür zu, stieß er fast mit dem Wächter zusammen, den er holen sollte: „Kommt, wir wollen den Prinzen begrüßen, folgt mir!“

Timokles schritt hinter dem Wächter her, nickte Urion zu und sprach: „Rittmeister, ich habe alles erledigt, wie Ihr befahlt.“ Dann bezog er ebenso Stellung, während die Kälte wieder in seine Glieder zu dringen begann und er regelmäßig auf den gefrorenen Boden stampfte, um das Leben in seinen Zehen zu erhalten. ‚Hoffentlich ist im Schloss der Empfang schon bereitet, mit einem warmen Ofen, einer dampfenden Suppe und Wildbret’, schwärmte er in Gedanken.

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Anselm Hilberan ritt inmitten der Delegation des Prinzen, als auch für ihn so langsam das Erlenschloss in Sichtweite kam. Wieder einmal freute sich der Junker und Ritter aus Pechackern über das baldige Feuer, welches seine Glieder wärmen würde. Viel stärker als früher merkte er nun die Strapazen der Reise. Nicht etwa, dass seine Fähigkeiten zu Ross erbärmlich waren oder aber dass er seine Leibes- und Kampfesübungen vernachlässigte, doch so ein Ritt, so eine Queste, war wahrhaftig von besonderer Qualität, welche er schon länger nicht mehr verspürt hatte. Wieder einmal kamen ihm die Gedanken, dass er vielleicht doch einmal die Bereitschaft signalisieren sollte, einen Knappen auszubilden - eine Verantwortung, die er bislang erst einmal übernommen hatte.

Ruhig überblickte er wieder einmal die Reisegruppe des Prinzen. Aus allen Teilen der Mark waren sie gekommen; die Edlen unterstützt durch die Streiter des Raben und auch der Geweihtenschaft der Peraine. Die Geweihte Alaria ritt nur wenig hinter dem Junker, der diese, wie so viele in dieser Gesandtschaft, von früheren Begegnungen kannte, und so nickte er dieser aufmunternd zu.

Müde musterte Antara das Schloss, das ihr Zug erreicht hatte. Auch wenn der Baustil eher trutzig wirke und ihm die verschnörkelte Leichtigkeit eines almadanischen Palazzos abging, so versprachen die Mauern doch eine Nacht in Wärme und einem Bett. Leise seufzte sie vor sich hin. Die verführerischen Annehmlichkeiten der Nacht würde sie nicht genießen können. Sie hatte sich mit Ritterin Lyeria besprochen: da dies der Ort war, an dem die Entführung des Prinzenpaares ihren Anfang genommen hatte, wollte sie in dieser Nacht die Nähe zum Herrn Boron suchen, in der vagen Hoffnung, dass Bishdariel eine weitere Botschaft für sie hätte. Erschöpft ließ sie sich von Pferd fallen und nahm auch die Tiere der beiden Ordensritter am Zügel, um sie in den Stall zu bringen. Wo war nur dieser Nichtsnutz Timokles, wenn man ihn mal brauchte?

Der Wächter nahm Haltung an, als all die hohen Herren müde und ausgezehrt herangeritten kamen. Zwischen all den Reitern auf ihren stolzen Pferden fiel der Schlitten des Cantzlers natürlich umso mehr auf.