Geschichten:Verschollene Eber: In den Kosch - Bergauf, bergab

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Die Weggemeinschaft drängte sich auf dem Weg zusammen. Weiße Fahnen vom Atem von Ross und Reiter verwoben sich in der Morgenluft, während man den Davonreitenden hinterherblickte.

Sie folgten dem gewundenen Pfad, der sie zum Fürsten dieses Landstriches bringen würde, während Edelbrecht und seine Getreuen tiefer in Berge und Wälder des Kosch eindringen und sehr wahrscheinlich schon bald auf die gebahnten Wege würden verzichten müssen. Aber zwei Menschen waren in Not und der Kosch selbst benötigte ihre Hilfe.

Ein kurzer Blick hin zum geliebten Vater, dann gab sich der Prinz einen Ruck und wendete sein Pferd. „Auf, meine Streiter. Mein Bruder wartet auf uns!“

„Und wir werden ihn finden, mit der Zwölfe Hilfe!“, rief Anselm, der Junker zu Pechackern aus. Während der recht klein gewachsene Mann am Abend zuvor sehr ruhig gewesen war und allem Anschein die Prophezeiung im Geiste hin und her gewälzt hat, war er nun voller Tatendrang. Ein echter Greifenfurter eben - zupackend und ehrenvoll.

Der Reiffenberger hatte seinem Pferd die weiß-braun gefleckte Decke übergeworfen und trug selbst einen Überwurf, der ihn in der mit Schnee bedeckten Landschaft hervorragend tarnen würde. Sein Lasttier würde er bei den Begleitern des Prinzen lassen. Derart gewappnet lenkte er Antlitz zum Prinzen und neigte kurz das Haupt: „Wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich wieder die Vorhut übernehmen. Solltet Ihr und Lyreia nichts dagegen haben, würde ich den Knappen Timokles und noch einen anderen Streiter mitnehmen?“ Er deutete auf seine Satteltaschen: „Ich habe in Greifenfurt für drei Berittene diese Tarnanzüge besorgt.“

***

Die Prophezeiung beschäftigte Thorben immer noch, als seine Reiter mit dem Knappen zum Fürsten aufbrachen. Er schüttelte den Kopf. Konnte es wirklich sein, dass die Prophezeiung ihnen das Ende des Erbprinzenpaares ankündigen wollte? Das durfte nicht sein. Sein Blick wurde kalt; grimmig bestieg er sein Pferd. Die Prophezeiung würde sich nicht in dieser Weise erfüllen, er war hier, um das zu verhindern. Mit Kordan und dem Prinzen würde ihm das schon gelingen. Er schaute noch mal seinen Reitern nach - wie viel wohler wäre es ihm, wenn diese sie begleiten würden, jetzt musste er mit einem Trupp Adeliger vorlieb nehmen, von denen er kaum einen kannte.

Er ließ seinen Blick über die Greifenfurter und Koscher schweifen, die den Prinzen nun begleiten würden. Die Koscher kannten sich hier zumindest ein wenig aus, die Greifenfurter indes nicht. Aber sicher würden sie dem Prinzen eine Stütze sein, erinnerten sie ihn doch an seine neue Heimat.

Sein Blick blieb an der Knappin Golgaris hängen. Es wäre ihm lieber gewesen, auch sie wäre zurückgesandt worden. Er hatte den einen oder anderen Blick bemerkt, der ihr von einigen zugeworfen wurde. Er hoffte, die Edlen wüssten im Moment der Entscheidung, welches Leben hier Priorität besaß. Indes war er sich nicht sicher, ob die Golgaritin nicht durch ihre pure Anwesenheit die eine Ablenkung im Kampf darstellen würde, weil sich der eine oder andere ‚tapfere’ Recke zu ihrem Schutz berufen fühlen würde.

Der Befehl des Prinzen riss ihn aus seinen Gedanken und er drückte dem Pferd seine Stiefel in die Flanken, um noch vor dem Prinzen den Weg zu erreichen, damit er im Zweifelsfall sein Schild sein könne.

Heute Abend musste er mit Kordan reden, der seit der Begrüßung an der Furt seltsam zurückgezogen wirkte. Noch mehr als man es von ihm gewohnt war.

Der Knappe Golgaris war indes mit dem Pferd seiner Mentorin und seinem eigenen beschäftigt. Er hatte schlecht geschlafen und er mochte die Augen nur mit Mühe offen halten. Obwohl er noch einige Stunden des theologischen Gesprächs mit seiner Mentorin gehabt hatte, bevor er einschlief, träumte er doch nicht von dem Raben, sondern in seinen Träumen trat immer wieder eine Frau auf, die ihn umgarnte, meist die gleiche Frau.

Umso erstaunter war Timokles, dass der Rittmeister sein Versprechen nicht über die Tage hinweg vergessen hatte, sondern immer noch mit ihm zusammen eine Spähritt durchführen wollte. Sogleich war die Müdigkeit verflogen und Timokles trat vor sein Pferd und gab Urion, dem Prinzen und seiner Mentorin zu erkennen, dass er bereit sei. Nun wartete er nur noch auf die Entscheidungen.

In Gedanken versunken sattelte die junge Golgaritin ihren Rappen. Den restlichen Abend hatte sie im stummen Gebet verbracht und die Nähe ihres Gottes gesucht. Aber Bishdariel war in dieser Nacht nicht zu ihr gekommen. Sie würden ihre Mission ohne einen weiteren Hinweis fortsetzen müssen. Antara hoffte, dass der Prinz und seine Begleiter einen Plan hatten, sie jedenfalls kam sich in den fremden Landen verloren vor.

Nachdem sie in den Sattel gestiegen war, versuchte sie sich so gut es eben ging in ihren Umhang zu wickeln. Die ungewohnte Kälte setzte der Puniner Knappin doch mehr zu, als sie zugeben mochte. Trotz aller borongefällig zur Schau gestellter Selbstbeherrschung wirkte Antara nicht glücklich an diesem eisigen Morgen.

Trotz der inzwischen allgegenwärtigen Kälte hatte Ardo tief und fest geschlafen. Die Scheune war zwar kein Palast, aber viel besser waren die Betten in der Kaserne zuletzt auch nicht gewesen. Sicherlich hatten auch die erschöpfende Vorhut des Vortages und das gute Koscher Bier ihren Anteil daran gehabt. Vielleicht war aber auch nur die zahlreiche Anwesenheit der Diener Borons Grund für den guten Schlaf gewesen. Ardo wusste es nicht.

Sein Pferd war schnell gesattelt und, während es noch die Schnauze im Hafersack hatte, nutzte Ardo die letzten Minuten vor dem Aufbruch dazu, sein ohnehin makelloses Schwert mit Öl und Wetzstein zu bearbeiten. Den Aufruf des Reiffenbergers nach einer weiteren Person für die heutige Vorhut nahm er trotz seiner Beschäftigung zur Kenntnis. Da sich augenscheinlich niemand weiter berufen fühlte, nutzte Ardo die Gelegenheit, um sich zu melden.

„Es ist mir eine Ehre, euch zu begleiten. Je aufmerksamer man ein Land betrachtet, desto schneller lernt man es kennen, und eine Vorhut muss schließlich immer besonders aufmerksam sein. Auf denn.“

Lyeria war soeben damit beschäftigt ihr spärliches Gepäck in ihren Satteltaschen zu verstauen und reagierte auf die Frage des Rittmeisters erst gar nicht und verharrte nur in ihrer Tätigkeit. Dann blickte sie mit festem und gefühllosem Gesichtsausdruck zuerst auf Urion und dann fest in die Augen ihres Knappen Timokles. Nur einige Falten an ihrer Stirn ließen erkennen, dass sie intensiv nachdachte. Dann nickte sie und sprach in dem gewohnt herrischen, wie auch belehrenden Ton: „Es sei ihm gestattet, Euch zu begleiten, Rittmeister, damit sein Drang, das Land zu erkunden, endlich gestillt werden möge und er erkenne, dass reisen vor allem Mühsal und Anstrengung bedeutet.“

Mit den Worten wandte sie sich ab und wieder ihrem Ross zu, an dem auch der freudige Timokles stand. Lyeria murmelte zu diesem gewandt: „Sei vorsichtig und verliere nicht den Rittmeister! Ich weiß, wie hilflos du in der Natur bist. Boron behüte dich, mein Schüler.“

Timokles nickte nur und prägte sich die Warnung seiner Mentorin fest ein. Nachdem er die Pferde fertig gesattelt hatte, ging er mit seinem Ross am Zügel zu Urion und fragte diesen: „Es ist mir eine Ehre, Euch begleiten zu dürfen. Worauf muss ich achten und wohin soll es gehen?“

***

Der Vormittag war einem eiskalten aber sonnigen Mittag gewichen und hatte seinerseits einem giftig kalten Nachmittag Platz gemacht. Die Vorhut ritt nun schon seit Stunden durch den hohen Schnee, wobei Ardo darauf achtete, in regelmäßigen Abständen Hufe und die bandagengeschützten Fesseln der Tiere zu begutachten, um Verletzungen durch den gefrorenen Schnee zu vermeiden oder zumindest direkt zu behandeln.

Vor einer halben Sanduhr war man wieder auf einen Weg getroffen, dem man nun, da er in die richtige Richtung führte, erleichtert folgte.

Da vernahm das scharfe Gehör des Knappen plötzlich Hufschlag. Der sofort benachrichtigte Ardo nickte und hob zwei Finger zur Praiosscheibe. Zwei Pferde oder ähnliche Vierhufer näherten sich vom bergwärts gelegenen Wegabschnitt in gemütlichem Tempo.

Hinter den herabfallenden Schneeflocken zeichneten sich nur langsam die Umrisse eines ungewöhnlichen Gefährtes ab, der von zwei kräftigen Kaltblütern gezogen wurde. Eine Art Kutsche, die, wie es schien, kurzerhand zu einer Art Schlitten umgebaut worden war, indem man unter die Räder Kufen gebunden hatte. Unter einer Plane saß ein Angroscho auf dem Kutschbock, sein Gesicht kaum erkennbar unter einem dicken Wollschal verborgen, auf seinem Kopf etwas, das wie ein mit Fell gefütterter Helm aussah. Nicht lange und sein Weg würde den der Gruppe kreuzen.

Timokles zügelte sein Pferd und blickte zu seinen beiden Reisegefährten, was zu tun sei. Der Zwerg sah nicht gerade feindselig aus und erinnerte mehr an einen Händler. Der Knappe wandte sich also an den Rittmeister: „Verzeiht, wenn ich mich einmische, aber dieser Zwerg könnte uns vielleicht Informationen geben. Schließlich kommt er von dort, wohin unser Weg uns führen wird! Es wird uns gewiss keine Gefahr von ihm dräuen, denn ich habe gelesen, dass die letzten großen Konflikte zwischen dem Volk der Angroschim und der Menschen schon…“, da wurde der Knappe bereits in seinen Ausführungen unterbrochen.

Urion trieb sein Schlachtross von der Seite durch den tiefen Schnee auf das Gefährt zu. Er hatte sich gut getarnt abseits der beiden Gefährten gehalten, seinen Reiterbogen schussbereit. Die Waffe am langen Arm nach unten gerichtet wandte er sich mit einem rauen, nicht ganz flüssigen Rogolan an den Angroschim: „Angrosch mit Euch, Väterchen! Mein Name ist Urion von Reiffenberg, wie ist Euer werter Name? Wohin führt Euch Euer Weg in diesen unwirtlichen Tagen?“

Der Reiffenberger hatte die Frage so allgemein wie möglich formuliert und bewusst die Queste des Prinzen herausgehalten. Noch musste dieser Angroschim nicht erfahren, dass er die Vorhut des Prinzen vor sich hatte.

In Erwartung einer Antwort, verharrte er im Sattel.

Hinter dem Wollschal des Zwergen war bei diesen Worten ein Schmunzeln zu erkennen. Der Angroscho antwortete in klarem und akzentfreiem Garethi: „Von Reiffenberg, schau an … meinen Gruß auch Euch, werter Edelmann. Ihr seid doch nicht etwa mit dem Obersten Wächter Rohals verwandt? Diesem Kuniswart von Reiffenberg…“

„Vom Reifenwasser … nicht von Reiffenberg, mein lieber Watzen!“, eine Stimme drang aus dem Inneren des Gefährtes. Urion, der näher herangeritten war, konnte zu seinem Erstaunen erkennen, dass es mit allerlei Kissen ausgekleidet war, am Rand standen einige Truhen und zwei Armbrüste. Inmitten des Kissenberges saß ein weiterer Zwerg, der sich in ein dickes Bärenfell gewickelt hatte, genüsslich eine Pfeife schmauchte und vor sich einige Karten ausgebreitet hatte, in deren Studium er offenbar vertieft war. „Nun sei nicht so unhöflich und beantworte dem edlen Mann seine Fragen.“

Der Kutscher räusperte sich: „Ach richtig, vom Reifenwasser. Nun, mein Name ist Watzen Wackerstock - ich bin gemeinsam mit Herrn Nirwulf auf dem Weg in die Koschberge.“

Diese letzten Worte klangen fast entschuldigend - so als hätte er eben eine Dummheit gebeichtet. Er sah bei dem Gedanken, im Winter in die Gefahren der Koschberge zu fahren, nicht gerade glücklich aus.

„Nirwulf!“, entfuhr es Urion. Langsam nahm er den Pfeil von der Sehne des Bogens und verstaute diesen in seinem Köcher „Habe ich richtig gehört? Nirwulf, Sohn des Negromon, Baron von Birnbrosch und Cantzler des Kosch? Seid ihr es wirklich, Herr? Was in Travias und Firuns Namen treibt Euch hierher zu dieser Jahreszeit?“

Der angesprochene ältere Zwerg mit grauem Backenbart kam nun etwas umständlich aus seinem Kissenberg hervorgekrochen. Das Fell weiterhin fest um sich gewickelt und mit drei Gürteln um sich geschnallt, so dass er ein wenig wie ein kleiner Höhlenbär wirkte. Er ließ seinen erstaunten Blick über die umherstehenden Ritter schweifen, lächelte, nahm noch einmal einen langen Zug aus seiner Pfeife und hob dann an zu sprechen: „Ganz recht, Wohlgeboren! Ich gebe zu, dass ich gerne auf Erlenschloss geblieben wäre. Für gewöhnlich versuche in dieser unwirtlichen Jahreszeit möglichst selten zu reisen, doch manchmal treiben mich die Umstände dazu. Viel ungewöhnlicher erscheint mir hingegen Eure Anwesenheit hier im Koscherland … und noch dazu in Begleitung des Prinzen, den ich hiermit sehr herzlich in seiner alten Heimat willkommen heiße!“

Urion wandte sich um und sah in einiger Entfernung das Banner des Prinzen auf dem Pfad. Schon zeichneten sich die ersten Umrisse des Haupttrupps ab.

Der Reiffenberger wandte sich wieder dem Cantzler zu und deutete eine Verneigung an: „Euer Hochwohlgeboren, verzeiht mein schlechtes Rogolan, es ist in letzter Zeit etwas eingerostet. Artog, Sohn des Arom, der Schmied des Markgräflichen Marstalls, lehrte es mich in Kindertagen. Sollte ich Euch damit in irgendeiner Form beleidigt haben, bitte ich vielmals um Verzeihung. Euer Hochwohlgeboren, ich bin erfreut und überrascht Euch hier zu treffen. Ich denke, seine allerprinzlichste Durchlaucht wird sich ebenso über Eure Ankunft freuen. Lasst mich Euch angemessen beim Prinzen vermelden.“

Er wandte sich an den Knappen: „Timokles! Wärest du so gut und reitest dem Prinzen entgegen? Melde ihm die Ankunft seiner Hochwohlgeboren Nirwulf, Sohn des Negromon, Cantzlers des Kosch und Barons von Birnbrosch. Und, eile dich.“