Geschichten:Verborgene Macht - Frühlingswind

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Irgendwo tief im Feidewald, Frühjahr 1037 BF

Ein leichter Frühlingswind ließ die Sonnenstrahlen durch die knospenden Zweige einer uralten Eiche tanzen, zu deren Füßen es sich ein paar raue Gesellen gemütlich gemacht hatten. Sie feierten den jüngsten erfolgreichen Überfall mit dem Fässchen ‚Wiesenschlösschen’, das sich auf dem Fuhrwerk des fahrenden Händlers befunden hatte. Sogar ein Feuer hatten sie entzündet und der Duft eines – ziemlich mageren – Bratens am Spieß zog, begleitet von Scherzen und Gelächter, über die Lichtung. An deren anderem Ende stand ein gutes Dutzend Pferde angebunden. Zwei Männer waren damit beschäftigt, sie zu striegeln und Steine und Dreck von den Hufen zu kratzen.

„Ist ja richtig ausgelassen heute, die Bande“, Melcher von Eichenblatt hielt inne und sah zu seinem Bruder hinüber, „Dabei war’s nur ein kleiner Krämer.“

„Es ist mehr als das “, bemerkte dieser ohne aufzublicken, „Sie feiern das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings; dass sie die Kälte überstanden haben und bisher dem Strick entkommen sind. Wer soll es ihnen verdenken?“

„Ich sicher nicht“, Melcher rieb sich den Bauch, „Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen und auch mein Magen sagt mir, dass er einem frischen Braten durchaus etwas abgewinnen kann. Aber was ist mit dir?“

„Mit mir?“, Geron von Eichenblatt hob den Kopf.

„Ich seh’s dir an. Über irgendetwas zermarterst du dir das Hirn. Und das schon längere Zeit.“

Der hagere Ritter richtete sich auf und musterte sein Gegenüber für einen Moment mit dem ihm eigenen stechenden Blick, bevor er schließlich ansetzte: „Seit fünf Jahren leben wir nun schon wieder im Wald, ziehen von Versteck zu Versteck, unseren Häschern immer einen Schritt voraus – bis jetzt. Ich habe den Göttern getrotzt, um mein Recht zu bekommen und eine Zeit lang hat es tatsächlich so ausgesehen, als würde sich das Geschick zum Guten wenden“, Geron seufzte, „Und dann kommt dieser verfluchte Bernhelm mit seiner Schar an hochnäsigen und aufgeblasenen Stiefelleckern und hat mich wieder aus Zwingzahn vertrieben. Mit Wichtigtuern, die zu dumm sind zu erkennen, dass sie nur missbraucht und nichts von ihrer Treue zu diesem feinen Pfalzgrafen haben werden! Fünf Jahre, in denen ich nach einem Weg gesucht habe, mein Ziel doch noch zu erreichen, verdammt. Fünf Jahre, Melcher! In dieser Zeit hat der Kerl sogar seine Knappin geehelicht und mit ihr ein Kind gemacht, und mir werden die Haare grau!“, der Ritter hatte sich in Rage geredet.

„Du regst dich wegen ein paar grauer Haare auf und weil der Wetterfelser seine Manneskraft noch einmal unter Beweis gestellt hat?“

„Quatsch! Ich sage nur, dass ich nicht jünger werde: Das Ziehen in den Gelenken, der Husten... Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt, Melcher.“

„Aber was willst du denn sonst noch tun? Denn aufgeben wirst du doch wohl nicht.“

„Oh nein!“, antwortete Geron bestimmt, „Ich werde weiter machen trotz dieses Fehlschlags, bis ich ihn in den Staub getreten habe oder er bekennt, dass er sich geirrt hat und meinen gerechten Anspruch anerkennt. Und das hier wird mir dabei helfen!“, Geron hielt seinem Bruder ein zerknautschtes und angerissenes Flugblatt unter die Nase.

Der hatte sichtlich Mühe, das Schreiben zu entziffern. Verständnislos sah er danach den Älteren an: „Und wozu soll das gut sein?“

„Pass auf: Der Verlust des geheimen Wissens der Schamanen löste das Band der Herrschaft der Trolle mit dem Land und erlaubte so erst den Menschen auch über diesen Landstrich zu herrschen. Unzählige Burgen wurden auf den Fundamenten von uralten Trollfestungen errichtet, von deren Existenz manchmal nur noch die gigantischen Steinbrocken der Fundamente Aufschluss geben. Die Bindung des Adels an das von ihnen beherrschte Land entstammt nicht einem von den Zwölfen gegebenen Anspruch, sondern einfach daher, weil sie die Plätze ihrer Vorgänger eingenommen haben, von denen sie nichts wissen...“

„Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht.“

„Nein? Überleg doch mal: Was dieser Gelehrte sagt, ist, dass die alten Orte ein Geheimnis bergen, durch das sich Macht und Herrschaft erringen lassen. Wir müssten es nur finden und für uns nutzbar machen.“

„Aber wie willst du das anstellen? Wir können doch nicht einfach nach Hutt oder in die Festung Feidewald hineinspazieren und nachfragen. Davon abgesehen wird es ohnehin kaum einer sagen können, weil ja eben kaum einer etwas davon weiß.“

„Das mag sein. Doch es gibt noch andere Wege: unter der Erde. Und andere Orte: verlassene und vergessene Orte.“

Zweifelnd schaute Melcher seinen Bruder an: „Die Tiefe birgt noch andere Geheimnisse. Du weißt was die Leute erzählen... Und wonach müssten wir eigentlich suchen? Was genau soll dieses Trollgeheimnis sein? Und wie sollten wir es entdecken, wenn wir nicht wissen, was es ist?“

„Pfff. Ich habe schon zu viel erlebt, um mich noch vor der Dunkelheit zu fürchten. Aber es ist wahr: Wir brauchen jemanden, der sich in diesen Troll-Dingen auskennt...“, Geron schien weiter überlegen zu wollen, doch flink wandte Melcher ein: „Apropos auskennen. Ich kenne unsere Leute gut genug, um zu wissen, dass nichts von dem Braten für uns übrig bleibt, wenn wir uns nicht beeilen.“

Sein Magen knurrte laut, während Johlen der räuberischen Spießgesellen über die Lichtung hallte. Die Trollgeheimnisse würden bis nach dem Mittagsmahl warten müssen.



17. Phe 1037 BF zur mittäglichen Praiosstunde
Frühlingswind
Prolog


Kapitel 2

Auf den Spuren eines Zauberers
Autor: Steinfelde