Geschichten:Unter einem Banner – Der Wald erwacht

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An verschiedenen Orten der Grafschaft Waldstein


Markt Weißenstein, Königlich Serrinmoor, Ingerimm 1043 BF:

Der Scheiterhaufen brannte lichterloh und ließ glühende Funken in den abendlichen Himmel aufsteigen, bis diese im scheinbaren Nichts verglühten. So wie die Schmerzensschreie der alten Kräuterfrau, deren Leben in den um sich schlagenden Flammen in Rauch aufgegangen war. Was übrig blieb war wie Asche eines Lebens. Der beißende Gestank von verbrannten Fleisch lag noch in der Luft.

Zufrieden standen Junker Arnulf von Weißenstein, der gräfliche Hofkaplan, Prätor Gutfried von Weißenstein und der Custos Lumini Lechmar von Weißenstein vom örtlichen Praios-Tempel vor Szenerie.

„Der Atem der Reinigung“, flötete der gräfliche Prätor und atmete tief ein – nur um dann gleich hustend auszuatmen. So reinigend war die Asche schwangere Luft wohl doch nicht.

„Diese Kreaturen werden immer dreister. Unverhohlen hat dieses Weib vor dem Tempel des Götterfürsten ihre blasphemischen Ausgüsse raus geschrien. Der Götterfürst habe keine Macht über den Forst, ha. Sehr wohl ist ihm auch der Forst untertan und das Leben dieses Weibes allemal.“ Die Gesichtszüge des Custos Lumini waren starr und kalt.

„Wehret den Anfangen, einen Abfall vom Glauben wie einst darf nicht geduldet werden!“ Die Stimme des Junkers schnitt durch den abklingenden Rauch. Er spielte wohlweislich auf die ketzerischen Umtriebe der Bekenner im hiesigen Tempel an.

„Die Bannstrahler werden sich ihrer annehmen! Praios vult!“ Der alternde Prätor hatte sich nun wieder gefangen.

„Wir müssen dafür Sorgen tragen, dass unsere Feinde in dieser reinigenden Feuerwelle vergehen!“ Nun hatten die Gesichtszüge des Junkers etwas wölfisches.

„Es hat bereits begonnen, mein lieber Neffe. Der Seneschall ist da ein williger Steigbügel.“ Der Prätor wandte sich gelangweilt vom nur noch schwach schwelenden Scheiterhaufen ab.

„Der Seneschall ist ein Narr. Das reinigende Feuer wird auch ihn hinwegfegen.“ Heilger Zorn blitzte in den Augen des Custos Lumini auf.

„Alles zu seiner Zeit!“ Mit diesen Worten wandte sich der Junker ab.


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Markt Hagenbronn, Baronie Ulmenhain, Ingerimm 1043 BF:

Zufrieden schritt Junker Bernfried von Hagenbronn mit seinem Bruder Falk über den Marktplatz.

„Die neue Markthalle ist ein wahres Schmuckstück, siehe nur die graziösen Schnitzereien mit all ihre Schnörkelchen … wahrhaft ein Meisterwerk unserer Handwerkskunst.“

„Da hast du dich nicht lumpen lassen, Bruder“, entgegnete der Junker von Hartenau eher ungerührt. Weltliche Reichtümer halten dem Tsa-Akoluthen nicht mehr viel. Sein Lehen, die Hartenau, musste er schon vor einigen Götterläufen aufgeben, da der Wald die gerodete Lichtung wieder zuwucherte. Die Siedler fanden bei seinem Bruder hier in der Hagenau eine neue Heimat – sehr zu Freude von diesem.

„Diese Markthalle wird viel gutes Gold in unser Säckel bringen, bei Phex, das schwöre ich dir. Denn auch im Winter und bei schlechtem Wetter können die Händler nun ungestört ihren Geschäften nachgehen und dem Elfenpfad sei Dank, die Händler werden kommen.“ Bernfried klang nahezu euphorisch. „Hier herrscht geradezu Aufbruchstimmung.“

„Wenn du das sagst, Bruder.“ Der in den Farben des tsagefälligen Regenbogen angetane Falk hatte keine Muse sich mit seinem Bruder zu streiten.

„Aber ja, auch die Palisade wurde letzten Götterlauf fertig gestellt“, frohlockte der Junker, „Hier in Hagenbronn können sich die Händler sicher fühlen.“

„Die Bewohner natürlich auch“, ergänzte Falk.

„Äh, ja“, erwiderte Bernfried etwas irritiert.

Einer der Bewohner kam schnurstracks auf die beiden Adligen zugelaufen. „Herr, kommt schnell, es ist was mit der Palisade.“

„Na, was soll mit der schon sein“, antwortete der Junker etwas unwirsch.

„Die lebt, oder so.“

„Wie, die lebt?“ Bernfried riss seine Augen groß auf

„Na, die lebt wieder … überall sprießt es aus den Palisadenstämmen … .“

„Das darf doch wohl nicht … .“ Noch bevor Bernfried hektisch loslaufen konnte, fasste ihn sein Bruder am Arm.

„Ich sagte dir doch, mit dem Wald stimmt was nicht. Erinnere dich daran, was mit der Hartenau passiert ist.“

„DAS wird hier nicht passieren!“ Bernfried riss sich von seinem Bruder los.


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Gut Birkenbruch, Baronie Tannwirk, Ingerimm 1043 BF:

Unterschiedlicher könnten die beiden Personen nicht sein, die zusammen bei einem Humpen Bier saßen. Die eine, junge Herrin der Stammlande der Familie und Familienoberhaupt, die Waldstein selten verlassen hatte. Der andere, alternder, weitgereister Mann, der die meiste Zeit seines Lebens außerhalb der Grafschaft verbracht hatte und erst vor wenigen Götterläufen zurück in seine Heimat gekommen ist, um sein Erbe anzutreten.

„Wie geht es dem kleinen Ulfwin?“, wollte Arva wissen.

„Ach, dieser Bengel“, Howarth schüttelte seine ergrautes Haupt, „immer kränklich, immer am quengeln. Kürzlich hat er sich gar von Krähen fast das Auge ausstechen lassen. Die Diener können ihn einfach nicht alleine lassen.“

„Howarth, ich glaube nicht, dies hier ist der richtige Ort für einen kleinen Jungen. Er hat hier doch gar keine Spielkameraden. Bei mir auf Birkenkopf wäre er von Gleichaltrigen umgeben. Aber darüber sprechen wir später. Erzähl mir erstmal von den diesem merkwürdigen Krähenangriff.“

„Ach, angeblich sollen das besonders große Exemplare gewesen sein … ein ganzer Schwarm riesenhafter Krähen. Meine Bauern trauen sich kaum noch auf die Felder. Du weißt doch wie abergläubisch die hier sind. Da sind die Praioten aus Tannewacht mit ihre wirren Predigten auch nicht gerade hilfreich.“

„Hm, bevor ich zu dir kam, war ich bei der Zweifelfels in Seligenfeld. Sie erzählte mir ähnliche Vorkommnisse.“ Arva stutze.

„Also, was hier im Forst wieder los ist“, Howarth nahm einen großen Schluck von seinem Bier. „Ich bin meiner Heimat fremd geworden … ich gehöre an den Grafenhof.“

„Lamentieren hilft nicht!“ Der Blick der jungen Frau wirkte vorwurfsvoll. „Ich werde nach Tannwirk reisen um mit der Marktvögtin über diese mysteriösen Krähen zu sprechen – und Ulfwin nehme ich mit!“

„Meinethalben, nimm den Jungen mit.“ Der alternde Junker wirkte fast schon erleichtert. „Aber warum die Marktvögtin und nicht den Landvogt?“

„Ach, der ist ein sturer Bock! Mit dem kann man nicht reden.“


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Schlossgut Bergensteen, Baronie Falkenwind, Ingerimm 1043 BF:

„Sind meine Sachen gepackt“, keifte Junkerin Cassia von Bergensteen ihre Zofe Rahjane an.

„Jawohl, Herrin.“ Die junge Frau biss sich auf die Zunge. Sie könnte diese geifernde Zicke einfach nicht ausstehen, wie sie so von oben herab auf ihre Familie blickte.

„Immerhin das kannst du!“. Cassia wandte sich wieder von ihrer Zofe und diese verschwand für sie aus ihrer Wahrnehmungswelt. In diese trat ihr treuer Haushofmeister Jargolan Vernsen.

„Herrin, ich muss Euch vor Eurer Abreise noch mit einer kleine Unannehmlichkeit belästigen.“ Der alte Mann lächelte gequält.

„Jargolan, was ist denn nun schon wieder?“ Die Junkerin mit den verspielten blonden Locken wirkte leicht gereizt.

„Der Auenpfad ist immer noch nicht passierbar … ich meine, der Winter ist doch schon lange vorbei … und die geschickten Holzfäller haben alle das Weite gesucht. Eine verwirrte Seele hat von Geistererscheinungen gefaselt … und von Bäumen, die am nächsten Tag wieder an ihrem Platz standen.“

„Jargolan, dann heuert neue Holzfäller an, oder was auch immer … dafür habe ich dich. ICH kann mich mit so was nicht beschäftigen. Ich reise an den Hof von Uslenried.“ Die Stimme Cassias wurde auf einmal wieder ruhig und lieblich. „Der junge Baron hat Gefallen an meiner Rowena gefunden, meinem Augenstern. Wenn alles gut geht, ist sie schon bald die neue Baronin von Uslenried. DAS sind die Probleme, mit den ich mich beschäftigen muss, dieser verfluchte Pfad ist dein Problem! Und jetzt husch, husch … meine Kutsche wartet.“

Fragt sich, wie lange es noch Wege für die Kutsche gibt, dachte sie der gutherzige Jargolan und schüttelte seinen Kopf.


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Dorf Altgob, Baronie Schwanenbruch, Ingerimm 1043 BF:

Es war schon tiefe Nacht, doch im Herrenhaus von Altgob brannte noch Licht. Herrenhaus war eigentlich zu viel gesagt, denn der einstöckige Holzbau, der auf einer der wenigen festen Anhöhen der Altgobsümpfe stand, war schlicht und einfach das größte Gebäude des kleinen Ortes, dessen Bewohner hauptsächlich vom Torfabbau lebten.

Die Bewohner der Sümpfe galten im restlichen Schwanenbruch schon immer als sonderbar – und das waren sie auch. Hier, wo die Gefahren der Moore und des Forstes allgegenwärtig war, hatten sich besondere Traditionen und Riten über die Jahrhunderte etabliert. War zum Beispiel ein Kind bei der Geburt zu schwach, wurde es den Moorgeistern geopfert, oder aber die nächtlichen Feuer um das Dorf, die die Kreaturen von Sumpf und Forst fernhalten sollten. Storko verstand viele der Eigenarten seiner Untertanen nicht, aber er ließ sie gewähren, den er war nur ein Zugezogener. Sein Vorgänger, Storkos Bruder Pagol, hatte es ebenso gehalten.

Nun aber hatten diese Sonderbarkeiten zugenommen. Immer wieder wurde von seltsamen Lichtern im Sumpf berichtet, Storko selber hatte schon welche mit eigenen Augen gesehen. Tiere verschwanden, einige tauchten wieder auf, starben dann aber nach kurzer Zeit. Die alte Brunhild meinte gar, ihren vor 12 Götterläufen verschollenen Sohn im Nebel wiedergesehen zu haben. War das nur das Wunschdenken einer verzweifelten Mutter? Hier im Sumpf regte sich war und Storko musste handeln, sonst würden die Dorfbewohner womöglich noch gesunde Kinder opfern.


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Gut Eynweiher, Kaiserlich Sertis, Ingerimm 1043 BF:

Erschöpft ließ sich Junker Ugdalf von Eynweiher auf seinen Stuhl fallen und auch sein Sohn Giselher wischte sich den Schweiß aus von der Stirn.

„So habe ich mir den Besuch auf der heimatlichen Scholle nicht vorgestellt“, stöhnte der junge Ritter. „Wann fing das an?“

Der alternde Junker kippte einen berühmt berüchtigten Eynweiher Brand runter. „Junge, das geht schon seit dem Winter so. Diese Biester trauen sich immer wieder in unsere Siedlungen, reißen Vieh. Die Jäger und Köhler trauen sich gar nicht mehr in den Forst. Viele wurden schon angegriffen, wurden schwer verletzt … einige kamen gar nicht mehr wieder.“

„Es ist wohl mal wieder an der Zeit für eine große Wolfsjagd, wie?“

„Spätestens beim Eynweiher Brandlöschen im Praios werden wir diesen Kreaturen den Garaus machen. Der tapfere Waldsteiner Niederadel kann dann wieder zeigen was er drauf hat.“

„Na, wen interessieren schon irgendwelche Wölfe, am Grafenhof gehen sie sich gegenseitig an die Gurgel.“ Auch der Sohn goss sich einen Brand ein.

„Das ist auch noch so ein Thema. Prost mein Sohn.“ Beide Ritter kippten den Eynweiher Brand runter.