Geschichten:Unschuld in Nöten - Ein Schwerttanz
4. Ingerimm 993 BF, im Palas Berg
"Jorana, meine liebe Freundin, was treibt Euch so weit von Eurem prächtigem Schlunder Bergdorf in unser bescheidenes Garether Palas?", Lutisana vom Berg, die Rote Löwin, schien den Empfang im Innenhof gut orchestriert zu haben. Sie selbst stand breitbeinig in ihrer Garether Platte auf dem Treppenabsatz, einen wuchtigen Zweihänder geschultert, so dass sie für Jorana noch größer erschien, als sie eh schon war.
Weiter oben im Säulengang erblickte sie das Ziel ihrer Reise. Der Brustpanzer des Reiterharnisches, in den Lutisana den hübschen Alrik gekleidet hatte, betonte gekonnt die Muskulatur von Brust und Schultern und zeigte mehr als er verdeckte. Und auch der Schurz war so geschnitten, dass wichtige Körperteile aus dem Ensemble herausragen konnten. Jorana genoss den Anblick. Der Hübsche war eh kein Kämpfer, da kam es nicht darauf, wie gut ihm die Rüstung gegen Waffen diente.
"Du weißt genau, was mich in diese Raubritterfestung treibt: Du hast die Liebe meines Lebens geraubt und ich bin gekommen, um ihn - bei Rondra und Rahja! - zurückzufordern!", ihre Hand griff nach dem Schwertknauf, ohne die Rote Löwin aus den Augen zu lassen.
Lutisana vom Berg ließ ihren gewaltigen Nacken knacken, einmal links und einmal rechts, "Und dann glaubst Du kleine Provinzritterin, Du kannst einfach in mein Haus kommen und mich herausfordern? Mit diesem kleinen Bratenspieß, den Du ein Schwert nennst?"
Sie schritt bedrohlich einige Stufen hinunter, "Erst werde ich Deinen Körper der Göttin Rondra opfern, dann Alrikchen der Göttin Rahja. Vielleicht hast Du ja das Glück und überlebst lange genug, dass Du dabei zusehen kannst."
Jorana zog nun auch ihre Klinge, die zugegebenermaßen neben dem Zweihänder der Löwin etwas mickrig wirkte. Für den schwarzgoldenen Schild war es jetzt leider zu spät, denn den hatte sie draußen am Streitross hängen lassen. Aber Ritterin Dragira hatte sie als junge Knappin genau auf solche Situationen vorbereitet.
"Bei Rondra und auch bei Kor, Du wirst mir nicht mein Eigentum nehmen!", schrie ihr Lutisana entgegen, die sich plötzlich in einer beeindruckenden Geschwindigkeit auf Jorana zubewegte und dabei mit dem Zweihänder zu einem mächtigen Überkopfschwinger ausholte.
Joranas Gedanken rasten. Blocken war keine Option. Mit der Rüstung fangen noch weniger. Im letzten Moment sprang sie schräg vorwärts und rollte mit klappernder Rüstung weitestgehend unter dem Hieb hinweg. Aber selbst der kleine Kontakt mit der Fehlschärfe drückte ihr die Platte schmerzhaft in die Schulter.
Sie braucht einen engeren Raum, wenn sie gegen diese Hiebe bestehen wollte. Der Säulengang oben an der Treppe! Mit einem Satz über den nächsten pfeifenden Schwerthieb war sie auf der Treppe. Die Rote Löwin brüllte vor Wut und fegte mit dem nächsten Hieb eine steinerne Statue vom Treppengeländer.
Jorana war bereits auf dem ersten Absatz und wagte einen Gegenangriff aus der erhöhten Position, den die Löwin einfach auf ihren Rückenpanzer prallen ließ während sie Jorana mit einem mächtigen Kopfstoß von den Beinen holte und mit ihr zu Boden stürzte. Bevor diese reagieren konnte, schlug Lutisana sie mit dem Knauf. Diesmal traf es den Helm. Jorana versuchte, die einsetzten Benommenheit mit einem lauten Urschrei zu vertreiben.
Ihre Stiefel fanden den Brustpanzer der Löwin und sie trat diese von sich herunter. Während die Gegnerin auf der Treppe rollend Halt suchte, sprang Jorana die letzten Stufen zum Säulengang hinauf. Sie schüttelte den dröhnenden Kopf. Klarheit stellte sich ein. Nahezu instinktiv ging sie in eine tiefe Argaen-Wehr und atmete eimal tief durch, da war die Löwin schon herangestürzt.
Der Plan ging auf: Der Zweihänder verfing sich zwischen den Säulen, deren rechte einen besorgniserregenden Riss bekam. Jorana ließ sich übermütig zu einem "Jetzt brüllst Du nur noch, Löwin!" hinreißen und zog sich vorsichtig zu ihrem Ziel zurück.
"Alrik, mein Hübscher, komm her, ich bring Dich hier raus!", sie schaute kurz zwischen den Säulen nach unten und sah ein Blumenbeet. Die weiche Erde muss genügen. Sie schlang ihren linken Arm um ihren Liebhaber und sprang über die Brüstung.
Alrik erschlaffte in ihrem Arm. "Hey Süßer, das ist jetzt nicht der richtige Moment für eine Ohnmacht...", setzte sie an, da hörte sie das finstere Lachen der Roten Löwin über ihr.
"Dann eben nur Rondra, für Rahja findet sich schon etwas. Und jetzt verpiss Dich, bevor ich die Wachen auf Dich hetze!"
Jorana schaute den Geliebten in ihren Armen an. Mitten in dem lächerlich großen Ausschnitt des Brustpanzers steckte ein Wurfdolch mit einem feinem roten Löwinnenkopf und das wertvolle Leben sprühte Herzschlag für Herzschlag aus der Wunde. Sie warf den Sterbenden über die Schulter und flüchtete so schnell es ging hinaus zu ihrem Pferd, während sich die Wachen im Palas langsam formierten.
Für Tränen der Trauer war es noch zu früh, für Tränen der Wut war sie zu überrascht. Aber eigentlich waren Tränen eh nicht so ihr Ding, deshalb verließ sie sich aufs Fluchen: "Möge Dich die Göttin mit einem Rondrakamm ausweiden lassen, Scheißbraune Löwin! Das ist nicht unser letztes verfluchtes Zusammentreffen gewesen! Du hast mir genommen, was verdammt nochmal mein ist und dafür werde ich Dich in den Dreck stoßen, wo Du an Deinem verfluchten Blut erstickst!"