Geschichten:Unschuld in Nöten - Ein Lanzengang

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17. Praios 994 BF, unter der Burg Luringen

"Wir haben einen neuen Kaiser, wozu das Trauerband?", Ringard kontrollierte ein letztes Mal alle Befestigungen der Rüstung.

Jorana schenkt ihr das düstere Lächeln, dass sie in den letzten Wochen so perfektioniert hatte. "Das ist das Pfand meines Liebsten, das ich schwarz färben ließ. Es stärkt meinen Lanzenarm."

Ihr Auftritt hatte seine Unbeschwertheit verloren. Sie sah die Jünglinge tuscheln, aber es bedeutete ihr nichts mehr. Sie hörte ihren Titel, sie hörte die Jubelrufe aus dem Publikum und mechanisch vollführte sie ihre Grüße an das Grafenpaar. Es gab nur eine Sache, die das finstere Feuer in ihrem Herzen entfachte: Der Schild der Roten Löwin, den sie, sobald sie zur Reizerin und jene zur Trutzerin gezogen würden, mit ihrer Lanzenspitze zu fordern gedachte. Und bis dahin galt es, Siege gegen unbedeutende Ritter einzufahren.

Mit dem ersten Gegner, einem sehr übermutigen aber unerfahrenen Waldsteiner Ritter, hätte sie normalerweise gespielt, um dem Publikum zu gefallen, aber heute verspeiste sie ihn mit einem Happs. Den zweiten konnte sie sich selber aussuchen, ein großes Pech für den lokalen Debütanten, der sein erstes Turnier nach einem Anritt im Lazarett beenden musste.

Dann endlich war es so weit: Sie hätte gerne wütend das Wappen der Löwin von der Tafel gefegt, aber sie zwang sich, es nur ruhig mit der Spitze zu berühren. Ein Raunen ging durch die Menge, Ringards Ballade und die übliche Gerüchteküche wussten um den Zwist zwischen der Roten Löwin und der Stählernen Lilie. Um so wichtiger war es, dass dieser Ritt so normal wie möglich wirkte. Es musste unbedingt wie ein Unfall aussehen.

Der erste Anritt. Die Streitrösser schnaubten. Die nervös stampfenden Hufe wirbelten trockenen Staub auf. Peraine hatte dieses Jahr nicht viel Regen geschenkt, ging es Jorana durch den Kopf. Das Tuch senkte sich. Beide gaben die Sporen. Wie zu erwarten legte Lutisana alle Wucht in den Stoß. Sicherheit oder Genauigkeit waren nicht ihre Stärke. Jorana drehte den Schild ein wenig. Dann verzog sie absichtlich die Lanze. Ein trockenes Krachen zersplitterte Lutisanas Lanze an ihrem Schild. Der Rest der Kraft glitt an ihr vorbei. Der erste Punkt für die Rote Löwin. Perfekt. Das wichtigste: Jetzt den Ärger vorspielen.

Sie ritten grüßend aneinander vorbei. Die Löwin ließ sich eine weitere Lanze reichen.

Das Tuch senkte sich erneut. Jetzt wurde es ernst. Wenn sie so schwach in Form war, würde die Löwin versuchen, sie vom Sattel zu stoßen und sich dabei zu weit nach vorne beugen. Eine kleine Verlagerung ihres Oberkörpers im letzten Moment. Sie spürt ihre Lanze auf dem Schild der Löwin. Nur einen Augenblick später traf auch deren Lanze den eiligst verdrehten Schild. Beide Aufschläge verschmolzen zu einem lauten Knall, aber es gab kein Krachen wie erwartet. Das hätte der zweite Punkt der Gegnerin werden müssen. Diesmal war der Ärger nicht gespielt.

Ein zweiter Vorbeiritt. Ein grimmiger Gruß. Sie nickte dem fragenden Gesicht ihrer Knappin zu: Weitermachen! Ärgerlich warf sie die Lanze auf den Boden und nestelte an ihrem Helm. Sie sieht nichts, das sollte das Publikum daraus lesen. Sie ließ sich eine andere Lanze - die Lanze! - reichen. Die Löwin tat wie erwartet: Sie warf ebenfalls ihren Helm weg. Ritterlich fürwahr bis in den Tod!

Jorana kniff die Augen zusammen. Durch den Staub der Tjostbahn fixierte sie den Blick der Gegnerin. Ungeduld, etwas Wut. Sie würde den dritten Ritt wie den ersten machen. Es brauchte also einen Köder. Absichtlich, fast als hätte sie der Aufprall in der ersten Runde zu hart getroffen, ließ sie den Schildarm sinken. Sie musste das gesehen haben. Dann das Tuch. Das Geräusch der Hufe. Die Schreie der Zuschauer. Der Staub. Einer dieser Momente, in dem Augenblicke wie Stunden scheinen. Sie zielte auf die Oberkante des Schilds. Das triumphierende Grinsen der Löwin wandelte sich in schmerzhafte Erkenntnis. Dann splitterte zuerst Lutisanas Lanze an Joranas Schild. Die andere Lanze zerbrach an der präparierten Stelle beim Auprall auf Lutisanas Schildkante, glitt darüber hinweg und die so entstandene Spitze bohrte sich in ihren Hals. Jorana nutzte den Schwung, um sich in einer seitlichen Drehung aus dem Sattel schleudern zu lassen.

Der Aufprall war schmerzhaft, aber er schmeckte süß nach Rache.

Ringard spielte ihre Rolle perfekt: Mit Tränen in den Augen kam sie angerannt, "Herrin, geht es Euch gut?" Jorana ließ sich aufhelfen, schüttelte dann aber die Knappin ab.

Die Besorgnis um die Gegnerin war nicht gespielt. Nur würde keiner im Publikum erkennen, dass ihr deren Überleben und nicht deren Tod Sorgen machte. Als sie neben der Roten Löwin kniete, setzte Erleichterung ein. Blut trat in pulsierenden Stößen aus dem Hals, in dem noch immer ein Lanzensplitter steckte. "Das passiert, wenn mir genommen wird, was mein ist!", flüsterte sie der Sterbenden zu, nur um laut heuchelnd zu rufen: "Oh Ihr Götter helft, sie verblutet!"