Geschichten:Trockenen Fußes

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Am Darpatbogen, Neujahr 1038 BF

»Hochwürden«, presste Gorfas Polling heraus, »Ihr könnt in der Kutsche bleiben. Ich kann den Neujahrssegen auch sprechen.«

»Nein, nein«, zitterte das Stimmchen der Greisin aus der Kutsche. »Das habe ich die letzten 70 Jahre gemacht und das werde ich auch heute machen.«

›Aber nächstes Jahr nicht mehr‹, dachte Polling grimmig und reichte der Wasserburger Tempelvorsteherin seinen Arm. Sie zog sich schwächlich aus der Kutsche, gebeugt von fast hundert Sommern. Oder Wintern, wie die Alte seit etwa 30 Jahren zu sagen pflegte. Im Alter fange man an, die Winter zu zählen.

Elina Efferdane Quedenseip trippelte vorsichtig zum Wasser des Darpats. Hier - oder ganz in der Nähe - hatten vor mehr als 1.500 Jahren die Heere der Nebachoten und des Horaskaisers eine der schwersten Schlachten der Menschheitsgeschichte geschlagen und mit ihrem Blut die Fluten des Stroms rot gefärbt. Und noch immer war der Darpatbogen keine normale Krümmung des Flusses, sondern ein verfluchter, geheiligter Ort, den sich Efferds Element zur Hälfte mit dem Gestade der anderen Götter teilte.

Die Sonne war vor einer Stunde erst aufgegangen, und von den Wassern stieg leichter Nebel in die Frühe des heiß zu werden versprechenden Tages. Die Hänge der Gebirge gleißten bereits in der Vorahnung der kommenden Hitze, während der Darpat still und klar lag wie der unergründliche Spiegel von Efferds Seele. Die dürren Beine der greisen Geweihten bewegten die Oberfläche und kleine Wellen breiteten sich auf dem ruhigen Stroms in Kreisen aus. Auf ihren Stock gestützt watete Elina schwerfällig und zerbrechlich hinein, wobei sich ihre Robe mit Wasser vollzusaugen begann. Das zunehmende Gewicht würde der Greisin schwer zu schaffen machen.

›Sehr schwer‹, dachte Polling und ein breites Grinsen breitete sich auf seinem harten Gesicht aus. Er wandte sich zum Kutscher und der Novizin: »He, Ihr zwei! Die Zeremonie beginnt erst in einer halben Stunde. Holt doch schon einmal Holz aus dem Wäldchen!«

»Aus diesem Wäldchen?« Der Kutscher deutete auf das nächste Gehölz. »Darin spukt es! Da gehe ich nicht rein!«

»Dann holt doch Holz aus dem Wäldchen, an dem wir vorbeigekommen sind«, schlug Polling scheinheilig vor und warf einen Blick zu Elina, die sich tief zum Wasser gebückt und die Hände zur Schale geformt hatte. Offenbar sprach sie zu dem Wasser in ihren Händen.

»Na gut«, gehorchte Aleidis, die Novizin kurz vor der Weihe, und forderte den Kutscher leutselig auf, mit ihr zu gehen. Nach 50 Schritten wandte er sich an das schmale Mädchen: »Holz? Wozu den Holz«

»Keine Ahnung. Ich bin erst seit dem Frühling im Wasserburger Tempel. Braucht man denn sonst kein Holz?«

»Nein, normalerweise nicht.« Dennoch gingen die beiden weiter, dieweil Polling sich seiner Tempelvorsteherin genähert hatte. Barfuß stand er am Ufersaum, die Füße kaum vom Element seines Gottes bedeckt. Er sah zu, wie die Robe Elinas sich vollsaugte und immer schwerer wurde. Schon konnte die Alte sich nicht mehr aufrichten, den Stock hatte sie beiseite gelegt, um das Wasser zu schöpfen. Sie blickte zu Polling, der die Hände in die Seiten stemmte.

»Gorfas, hilf mir«, klagte Elina, »die Kutte ist so schwer.«

»Die wird noch schwerer, Elina. Noch viel schwerer«, feixte Polling. In seinem Blick lag Triumph. »Vielleicht werde doch ich den Segen sprechen, was?«

»Gorfas, hilf!« Elina ging in die Knie und stemmte den Oberkörper auf ihre dünnen Arme, die im seichten Darpatsand kaum Halt fanden, sondern einsanken.

»Weißt du, Elina, ich glaub ich helf Dir!« Beherzt schritt er in den Fluss, legte seine kräftige Rechte auf den schütteren Scheitel der Alten und drückte sie ohne jede Anstrengung unter Wasser. »Gleich bist du Efferd so nah, wie man nur sein kann!«

Elina wehrte sich nicht. Offenbar empfing sie Efferd sogleich und ohne Widerspruch. Ihr Körper erschlaffte, nach nur wenigen Momenten schwamm ihre Leiche, umflort vom Grün der Robe, unterhalb der Flussoberfläche. Polling gab ihr einen sanften Stoß, so dass sie langsam in die Strömung trieb.

»Endlich! Endlich!« Polling lachte laut heraus. Doch da grollte es plötzlich. Der dicke Geweihte zuckte zusammen. Die glatte Oberfläche des Darpats kräuselte sich, hektische Wellen versetzten sie in Unruhe rings um Polling, der sich panisch um seine Achse drehte.

Da! Das Wasser wich von ihm zurück! Erst unmerklich, in Kriesen, dann schnell und plötzlich. Nur wenig später stand Polling auf trockenem Sand, während der Darpat eine hüfthohe Bande um ihn bildete. »Nein, Efferd! Herr1« Polling versuchte, sich in die Fluten zu werfen, doch das Nass wich zurück. Der Geweihte fraß Staub. »Herr! Oh Efferd! Verzeih mir, ich mache es wieder gut!«

Doch Efferd verzeiht nicht.

Als Aleidis und der Kutscher zurückkamen, stand die Kutsche allein, von Polling und Elina nichts zu sehen. Doch über dem Darpat spannte sich ein Regenbogen, und da wusste Aleidis, dass Elina zu ihrem Gott gegangen war.

Wohin Polling gegangen war, das scherte niemanden.