Geschichten:Trügerischer Schein - Teil 9: Seeheim

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Baronie GnitzenkuhlSeeheim, Praios 1034BF  


Dramatis Personae

 

Sie reckten ihre entblößten Arme dem Mal des Herrn entgegen, als ob es sie allein dadurch näher zu ihm bringen würden. Trotz der vier Götterläufe, die er bereits hier weilte, war ihm dieser Anblick noch immer fremd und es kostete ihn einiges an Kraft, die in ihrer Andacht verharrenden Männer nicht aus dem an sich würdigen Innenhof des Tempels zu vertreiben. Nebachoten jeden Alters fanden sich gerne um die Praiosstunde hier ein, so sie in der Nähe weilten, und suchten nach der Andacht diesen Ort auf, um ihre bisweilen kruden Ansichten lauthals zu diskutieren.

Zugegebenermaßen, es war eine echte Herausforderung, dem bohrenden Wissensdurst der Jünger des Herrn stand zu halten und ihre theologischen Fragen mit genügend Sachverstand zu lösen, aber, und das erfüllte ihn mit einem gewissen Stolz, er hatte sich seinen Platz an der Spitze dieses Tempels inzwischen verdient.

Erging es ihm allerdings wie heute, musste er sich nach dem Götterdienst außer Reichweite halten, sonst würde er sich unweigerlich in einen Disput darüber verstrickt sehen, wie nun die Prophezeiungen des Weisen Mukhadin ibn Rafid han Rohd’far im Vergleich zu den Lehren des Götterfürsten zu sehen seien, oder ähnlich schwerverdauliche Themen, die einen mental gefestigten Geist verlangten.

Doch sein Schädel schien sich heute geradezu spalten zu wollen. Aus welchem Grund war ihm absolut schleierhaft, hatte er doch die letzten Tage vor den Namenlosen erst in Buße und dann in absoluter inniger Kontemplation verbracht. Doch die Wege des Götterfürsten waren bisweilen unergründlich, sodass er sich völlig dem Schmerz und dem damit einher gehenden wankelmütigen Temperament hingab. Vielleicht wollte ein Bußfertiger einer gerechten Strafe zugeführt werden, und der Herr schürte nun so das in ihm lodernde Feuer an?

Ein Klopfen ließ ihn in seinen Überlegungen inne halten, und er wendete sich vom Fenster ab, dass ihm den Blick in den Hof erlaubt hatte.

„Ja bitte?“ Rasch strich er sich die prächtig bestickte Robe glatt und war gespannt, wer es trotz eindeutiger Anweisung wagte seine Ruhe zu stören.

Trenner Perricum.svg

„Hier?“ fragte Hochwürden Korbor von Wasserburg schließlich ein wenig ungläubig und schritt mit gerafftem Rock, darauf bedacht seine rote mit goldenem Brokat durchwirkte Kleidung nicht mit Kuhdung zu beschmutzen, über die Weide. Ein Lichtsucher war ihm nahebei und blickte sich deutlich unwohl in seiner Haut um. Roderick nickte peinlich berührt. Irgendwie schien Korbor von Wasserburg hier völlig deplatziert, doch der götterfürchtige Adlige scholt sich in Gedanken sogleich für diese Erkenntnis und neigte in Demut sein Haupt. Der Geweihte indes inspizierte alles genau.

„Der Magus aus Garetien, Gerion von Keres, von dem ich euch schon berichtet hatte, ist wohl schon gegen allerlei dämonisches Gezücht vorgegangen. Dieser hat bestätigt, dass hier Magie gewirkt worden ist.“

„Madas Frevel!“ Der Tempelvorsteher des Haus' Schelachar nickte beipflichtend und sein Blick wirkte dabei leicht lodernd. Die Kadaver der Rinder lagen noch immer dort, und die Anzahl der Fliegen wurde allmählich unerträglich, doch der Tempelvorsteher ging unbeirrt darauf zu. Die Kutsche wartete in einiger Entfernung auf dem Weg.  „Ich werde ergründen, ob uns der Götterfürst mit einem Fingerzeig aus dieser Lage heraus helfen will, oder ob ihr aus eigener Kraft diese Aufgabe vollbringen müsst.“ Der Novize hing an den Lippen Korbors und übersah dabei, dass er geradewegs in einen Kuhfladen trat. Der Vogt aus Gnitzenkuhl beeilte sich weg zu schauen, damit keiner sein Grinsen sah. ‚Wer immer in den Himmel blickt, sieht das Geschmeiß auf dem Boden nicht!‘ kam ihm dabei in Erinnerung. Ein Sinnspruch eines seiner Jugendfreunde, der wenig mit der Kirche des Obersten anfangen konnte. Ungeachtet des Malheurs, es war wohl unbemerkt geblieben, hatte Korbor sich erst einige Zeit dem Praiosmale zugewandt, bevor er mit laut erhobener Stimme anhub:

„Mächtiger Herr Praios, Ewige Sonne, Fürst von Alveran und Ordner der Welt und Spender des Rechts! Dein ist der Wille zur Ordnung durch deinen Diener Urischar. Gib mir die Weisheit, Ordnung im Chaos zu entdecken, Leihe mir deinen untrüglichen Blick!“

Dabei zeichnet der Tempelvorsteher über den Leibern der Rinder die sengende Sonnenscheibe und verharrt in absoluter Stille und starr auf diese gerichtetem Blick.


Roderick von Isenbrunn merkte, wie er unwillkürlich den Atem angehalten hatte. Die Sonne, die ohnehin auf die Weide schien, wirkte mit einem Male noch hitziger und das Licht kam ihm unerklärlich hell vor, sodass er den Blick schließlich abwandte. Der Priester drehte sich nach einer Weile um und sagte: „Mir scheint, jene, die hier leben, müssen selbst mit den Übeln die aus ihren eigenen Taten erwachsen kämpfen, und dafür sorgen, dass die Ordnung wieder her gestellt wird. Ich werde euch unterstützen, so mir das möglich sein wird.“

Ehrfürchtig verneigte Roderick das Haupt und bedankte sich bei dem Tempelvorsteher, der noch einmal sein Wort an ihn richtete: „Es wäre schön, Euch wieder häufiger in den Andachten zu sehen. Insbesondere euer Sohn, Quanion; ich denke ich habe ihn seit meiner Amtseinführung nicht mehr gesehen! Des Weiteren sind wir für eine Spende immer dankbar, schließlich will so ein großes Haus auch unterhalten werden. Das Seelenheil unserer Schäfchen ist uns einiges wert.“

„Natürlich Hochwürden, ich werde eure Worte beherzigen!“ Der Burgvogt drückte dem Novizen einen Beutel in die Hand, und der beeilte sich Hochwürden zur Kutsche nach zu folgen, in die er eiligst kletterte. Doch kaum war sie los gefahren, wurde auch schon wieder angehalten, und der arme Kerl musste auf dem Bock Platz nehmen. Scheinbar war Hochwürden nicht mit der stinkenden Realität seiner besudelten Sandale einverstanden gewesen.

Müde blickte Roderick von Isenbrunn auf die Weide und die angrenzenden Felder. So ruhig und friedlich sah es aus. Ein Sommertag wie er schöner nicht sein könnte, und dennoch war hier irgendwo jemand oder etwas damit beschäftigt, dunkle Ziele zu verfolgen. Er musste zurück zur Burg und nachdenken.

 


 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Perricum.svg  
 Wappen Baronie Gnitzenkuhl.svg
  Wappen Junkertum Ochsweid.svg  
 Dorf.svg
  Wappen blanko.svg   Stadt.svg  
 Tempel.svg
 
Texte der Hauptreihe:
Autor: Nicole R.