Geschichten:Taschentücher sind aus

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Reichsstadt Alt-Gareth, Kontor Salvanger & Töchter, 1. Rahja 1041 BF

Das Kontor mit der repräsentativen Fassade, hinter der sich ein Greisengerüst von einem Lagerhaus verbarg, das seit Generationen balkenweise erneuert worden war, hatte alle Markisen und Sonnensegel ausgefahren und mit Trauerflor versehen. Man hatte taktvoll nur die schwarze Seide in die Auslage geräumt, das schwarze Porzellan, die dunklen Teppiche und Gewänder.

„Ein wenig übertrieben“, dachte Deredan von Taunig, als er das Kontor Salvanger betrat. Ein Kontorgehilfe begrüßte den korrekt, ja streng gekleideten Kammerherrn des Sighelmsmärker Burggrafenhofs – Taunig war hier bestens bekannt.

„Euer Wohlgeboren, darf ich Euch eine Erfrischung anbieten? Wir haben Euch nicht erwartet. Ich werde gleich fragen, ob hinten im Kontor eine Bestellung von Neu-Sighelmsstein liegen geblieben ist.“

„Bemüh dich nicht, ich habe nichts bestellt. Ich bin wegen eines dringenden Bedürfnisses des Hofes hier. Unvorhergesehen.“

„Wenn das so ist, Euer Wohlgeboren, werden wir uns wie stets um alles sofort kümmern. Was beliebt?“

„Ich benötige seidene Taschentücher bester Fertigung – drei Stück. Bitte in vorherrschendem Grünton. Für Ihre Hoheit. Sodann für die Hofdamen seidene Taschentücher, blütenweiß, gern B-Ware. Die Damen zahlen aus eigener Tasche. Vierzehn Stück. Sodann linnene Taschentücher … was ist?“ Taunig hatte die Bestellung an seinen langen Fingern abgezählt und erst jetzt aufgeblickt.

„Ich“, der Kontorgehilfe hielt kurz inne, „hole kurz die Herrin des Hauses.“ Stracks verschwand der kundige Kaufmann. Taunig sah sich um. Im hinteren Teil des Kontors sah er seine Ochsenbluter Kollegin Falkwinda Friedehild von Ochs, Kammerherrin der Eberstammer Burggräfin, im Gespräch mit der ihm wohlbekannten Alriksmärker Seneschallin Sheriane von Kaiserswohl. Beide Frauen begutachteten Ausschussware an Tüchern aus dem letzten Jahr – deutlich an den grässlichen Lilatönen zu erkennen, die eigentlich den Sieg bei Zwingstein symbolisieren sollten, dann aber zu sehr an Schnupftücher der Namenlosen erinnert hatten.

„Die also auch“, dachte Taunig bei sich und schüttelte missbilligend den Kopf.

„Wie meinen?“ Taunig schrak zusammen. Vor ihm stand plötzlich Karlitta Salvanger, die ältliche Kontorleiterin. Offenbar hatte er laut gedacht.

„Ich meinte nicht Euch.“ Taunigs Auge blitzte: Obwohl … hatte die Salvanger nicht verweinte Augen? Rot gerändert? Sie also auch?

„Ralbert hat mir gesagt, Ihr sucht Taschentücher?“, fragte die Salvanger geschäftsmäßig, offenbar beherrscht und dennoch am Rande des Tränenmeeres,

„Jawohl. Aber nicht für mich! Nicht für mich!“, beteuerte Taunig, „Für Ihre Hoheit bestseidene in Grün, für die Damen Trade-Tannenheim, Mersingen, Bleusingk, Sturmfels – Ihr kennt sie alle – seidene in dezentem Blau. Vier Dutzend linnene für die Gemeinen und schwarze Seidenbinden für die Arme der Herren. Davon allerdings nur zwei Stück.“ Taunig hatte erneut von seinen Fingern abgezählt und blickte die Salvanger nun fordernd an.

„Tut mir Leid, Taschentücher sind aus. Ihr könnt nur von der Namenlosen Charge nehmen, was Ochsenblut und Alriksmark hier lassen.“

„Ist denn das möglich? Heult den heuer halb Gareth?“

„Ich weiß es nicht“, stammelte die Salvanger und brach nun doch in Tränen aus.

„Also doch! Ihr auch!“ entfuhr es Taunig.

„Was meint Ihr?“, schluchzte die Salvanger.

„Ihr trauert also auch um diesen … Mann?“

„Natürlich tu ich dies. Ich weiß gar nicht, wie es ohne ihn weiter gehen wird!“ Damit holte Karlitta ein Taschentuch heraus – grün, beste Seide, verdammt! – schnäuzte sich und wandte sich ab. Ralbert, der Kontorgehilfe, ersetzte seine Chefin sofort.

„Soll ich Euch die fliederfarbene Ware zeigen?“, fragte er beflissen.

„Nein, ich gehe zu Stoerrebrandt.“

„Der ist ebenfalls ausverkauft, wie mir Kundinnen bestätigten. Taschentücher sind aus, In ganz Gareth.“

„Herrje! Heult denn wirklich halb Gareth?“

„Es scheint so.“

„Hatte der Lüstern denn wirklich so viele Verehrerinnen, Liebchen, Herzensdamen?“ Man konnte dem Timbre Taunigs das unterdrückte, bewundernde Staunen noch anmerken.

„Es scheint so.“

„Und Eure Herrin auch? Ist sie nicht ein wenig zu alt?“

„Ich bitte Euch! Ihr Vater ist gestorben.“

„Oh, das tut mir Leid. Wie dumm von mir.“

„Im Übrigen ist sie freilich nicht zu alt, sondern wird morgen ebenfalls zum Begräbnis des Edlen von Lüstern gehen, so weit ich weiß.“

„Soso“, murmelte Taunig und drängte sich an Pfalzgräfin Selinde von Borstenfeld nach drau0en, die eben nach Taschentüchern fragte.