Geschichten:Sturm über Drak - Mittagsstund

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Jagdschloss Drak, um die Mittagsstunde:


Die Augen von Timokles flatterten bis er sich an die stechenden Lichtstrahlen gewöhnt hatte. Er schloss seine Lider wieder, doch schon bald riss er seine Augen auf. Wo war er? Er hatte von einem Raben geträumt und, dass er in einer Schlacht gewesen sein muss. Zuerst sah er sich etwas um. Er befand sich in einem gemütlich eingerichteten Zimmer. Er lag auf der weichen Srohmatratze eines Bettes unweit eines offenen Kamins, der angenehme Wärme spendete. Allerlei Waffen und Wappenschilde hangen in dem Raum. Sein Blick war noch immer verschwommen. Als die Erinnerungen an den letzten Tag ihn jedoch wieder überkamen, übermannte ihn ein Brechreiz, dem er aber Herr werden konnte. Dann richtete er sich rückartig auf, nur um wieder in die Kissen zurückzusinken. Kurz war es wieder schwarz um ihn herum. Dann schwank er bedächtig ein Bein aus dem Lager, das wohl mitten im Speisesaal des Schlosses aufgebaut worden sein muss. Noch ein paar weitere Lager standen um ihn herum. Er konnte bekannte Gesichter erkennen, jedoch waren alle verletzt, wohl war hier eine Art Lazarett installiert worden. Er ließ seinen Blick über die Schlafenden schweifen, da spürte er ein Stechen in seinem linken Arm und blickte auf einen dicken Stoffverband. Der Kampf, der tote Ritter, die hübsche Knappin… Er konnte sich wieder an alle Einzelheiten erinnern. Wie er verzweifelt war und wie er plötzlich in schwarze Finsternis fiel. Er musste viel Blut verloren haben. Die Ereignisse des letzten Tages dröhnten in seinen Ohren und er musste nach draußen, er brauchte frische Luft. Er durchmaß den Speisesaal und ging auf ein großes Finster zu. Es musste einmal mit Butzenglas bedeckt worden sein. Doch nun wurde der Durchgang nur von groben Holzplatten verdeckt. Er öffnete die Tür und sog gierig die kalte Winterluft ein. Die wärmende Mittagssonne brannte auf sein Gesicht. Kurz schloss er die Augen, als er sich umblickte. Vor ihm erstreckte sich eine kleine Veranda mit Pflastersteinen bedeckt. Tönerne Pflanzkübel und einige alte Bäume auf dem Areal zeugten davon, dass Drak einmal ein schmuckes Schlösschen gewesen sein muss, doch ist sein Glanz nun durch die Stiefeltritte vieler Söldner einer Wehanlage gewichen. Palisaden erhoben sich an den Garten angrenzend und allerlei Schanzwerk wurde ausgehoben. Der Rasen ist verwildert und zertrampelt. Einige Golgariten und Söldner erblickte er im Garten und hinter den Deckungen. Doch diese Söldner sind wohl mit uns verbündet, ging es ihm durch den Sinn. Am Rand des Kiesweges zum Tor hinaus sah er einige Tote aufgebahrt. Er sah eine Boroni über sie gebeugt.

Behutsam wischte Antara das Blut aus dem Gesicht des Leichnams. Die Knappin hatte Rüstung und Wappenrock abgelegt und trug nun die schwarze Robe einer Dienerin Golgaris. Während die anderen Knappen die Gräber für die Toten des heutigen Morgens aushoben war sie damit beschäftigt die leblosen Körper der gefallenen Söldlinge für die Bestattung vorzubereiten. Auch wenn sie mit den bösen Mächten paktiert haben mochten, so stand ihnen doch ein würdiges Ende ihrer derischen Existenz zu. Nur ER hatte über ihre Verfehlungen im Leben zu richten und würde dafür sorgen, daß ihre Seelen an den richtigen Ort gelangte. Wenn ihre verderbten Seelen überhaupt bis zu IHM kamen und nicht vorher von den Herren der Niederhöllen eingesammelt wurden. Unwillkürlich mußte sie bei dem Gedanken schaudern, daß Seelen nicht zu BORon gelangen konnten.

Nachdem sie mit dem Leichnam fertig war ging sie weiter zum nächsten leblosen Körper. Man hatte den Toten am Fuße eines Wachturms gefunden und hierher gebracht. Ein Armbrustbolzen steckte noch in der Brust. Während Antara noch überlegte, ob sie den Bolzen entfernen sollte, fiel ihr Blick auf den Kopf des Toten. Er hatte keine Ohren mehr! Verwundert untersuchte die Geweihte den Kopf genauer. Man hatte die Ohren abgeschnitten, wohl mit einer eher rohen Klinge. Und vermutlich erst nach dem Tod, jedenfalls deutete die relativ geringe Blutung darauf hin. Sie stand auf und untersuchte die anderen Leichen. Tatsächlich fehlten noch bei einigen anderen die Ohren. Kein Zweifel, da hatte jemand Trophäen gesammelt! Wer würde nur eine solch barbarische Sitte pflegen und die Toten derart schänden? Energischen Schrittes eilte sie los.

Als diese sich mit einem verwirrten Gesichtsausdruck aufrichtete, konnte er sie erkennen. Es war Antara, die Knappin, die ihn versorgt hatte, ohne sie läge er vielleicht noch da draußen und blutete vor sich hin. Um sich zu bedanken, schritt Timokles auf sie zu, als diese gerade dabei war, sich von den Leichnamen zu entfernen. „Boron zum Gruße, Antara. Ich wollte Euch meinen Dank aussprechen, dafür, dass Ihr mir geholfen habt“, sprach der Knappe höflich, wobei sein Blickfeld immer wieder von ihren Augen auf den Boden wechselte.

„Was? Wie?“ Verwirrt schaute Antara auf den Knappen, der plötzlich vor sie getreten war. „Äh ... ja, schon gut. Habt Ihr den Komtur gesehen? Das hier muß er sich unbedingt ansehen! Das ist ... ungeheuerlich!“ Die Almadanerin hatte die Hände in die Hüften gestemmt und mit ihren blitzenden Augen hatte sie etwas von einer Furie. Timokles hatte mit einer anderen Reaktion gerechnet, also stutzte er kurz, ihre Art hatte mehr etwas von Empörung, als von tatsächlichem Schrecken. Dann hob er an zu antworten: „Nein, ich habe nichts allzu auffälliges bemerkt. Was ist denn geschehen, noch mehr Tote?“ Sie schnaufte vernehmbar. „Jemand hat die Toten geschändet, direkt vor unserer Nase! Einigen von ihnen wurden die Ohren abgeschnitten, post mortem. Da hat jemand Trophäen gesammelt. Sowas kenne ich eigentlich nur von den Heiden! Wobei, noch nicht mal die Rastullahknechte aus der Wüste tun so etwas, bisher habe ich das nur bei jenen gesehen, die das Pech hatten Ferkinas in die Hände zu fallen. Wenn sie ihnen nicht gleich den Kopf abgeschnitten hatten. Jedenfalls ist keiner darunter, gegen den wir gekämpft haben und auch keine Gegner der Tränenlosen, wenn ich das richtig überblicke. Es müssen diese Eychgraser gewesen sein, warum auch immer sie so etwas tun sollten.“ Es lief Timokles eiskalt den Rücken runter. Sie hatten zusammen mit Totenschändern gekämpft! Leichenfledderer, Guhle. „Das kann doch wohl nicht wahr sein, was fällt denen eigentlich ein“, rutschte er ihm heraus. „Sie verstoßen gegen die Gebote Borons und schänden die sterbliche Hülle von Menschen. Das kann und darf nicht sein. Ich begleite dich gleich mit zum Komtur. Ihm muss umgehend von dieser Untat Bericht erstattet werden!“

Movert sah sich um. So viele Tote waren ihm zwar kein ungewohnter Anblick aber trotzdem zermarterten ihm die Gedanken an seine erste geschlagene Schlacht den Kopf. Zum ersten Mal hatte er als Golgarit gekämpft. Zum ersten Mal im Namen Borons getötet. Er hatte Menschen aus Fleisch und Blut getötet und keine hirnlosen Untoten. Müde fühlte er sich. Die meisten Leichname waren schon beerdigt worden und ein tiefer Schnitt im rechten Arm behinderte Movert. Trotzdem biss er auf die Zähne und half so gut es eben ging. Er wusste dass er glimpflich davon gekommen war. Viele waren gefallen, doch er hatte lediglich eine lächerliche Wunde am Arm. Auch hatte er Glück gehabt als ein Bolzen haarscharf seinen Hals verpasste. Er fühlte sich nicht ehrenhaft so wie er es von seinem ersten Gefecht erwartet -ja gehofft hatte-sondern einfach nur leer und müde.

Doch zum schlafen war keine Zeit. Mehr als genug Gräber mussten ausgehoben werden. Dies war zwar nicht dass was Movert sich vom Golgaritendasein erhofft hatte aber auch das musste getan werden und war seine heilige Pflicht. Und so griff er einen Spaten und begann zu graben.

Kristallklare Luft lag nun über dem kleinen Schlachtfeld um das Jagdschloss Drak. Lüdegast von Quintian-Quandt, Komtur des Häufchens Knappen welche man ihm zur Verfügung stellen konnte, schritt bedächtig zwischen den Bäumchen und Kübeln auf und ab. Er war zuspät gekommen, hatte sich zu sehr um die Söldlinge gekümmert, welche für den Orden wichtige Aufgaben wahrgenommen hatten. Der Weibel schien entwischt, zumindest hatte man ihm geträulichst berichtet das es dem Dämonendiener gelungen sein mag, die Wallstatt zu verlassen.

Er, der über allem stehende Komtur, hatte seine Knappin verloren, seine ihm anvertraute Schutzbefohlene, durch die Hand eines Ketzers, eines Verdammten, eines Mörders. ER würde ihn jagen!

Helme, die Klaue hatte erst eben den Spaten zur Seite gelegt, als er den beiden einfachen Knappen des Komturs gewahr wurde. Welche an der Bahre eines toten Standen und, für seinen Geschmack zu viele Worte verloren. Mit einem Wink gab er seinem Adjutanten ein Zeichen und begab sich strammen Schrittes, in die Richtung der beiden, wo er dann nur wenige Handbreit hinter Antara zu stehen kam.

Die Knappen Praionna’s von Luring, der Abgesandten des wirren Abtes von Krähenwacht, zurrten bereits ihr Gepäck zur Abreise, als die stählerne Frau plötzlich das Wort an den Komtur richtete: „Ehrwürden, sollen wir die Augen offen halten, auf dem Weg gen Bre’Shey’Nok?“ Lüdegast drehte sich nicht einmal um, „Ihr wisst das ich den Namen Krähenwacht bevorzuge, Schwester Praionna!“, mit steinerner Miene blickte Lüdegast zu Boden, er wollte ihre Frage nicht beantworten, „Merkte euch das endlich, ihr seid nicht bei den Nebachoten, auch wenn sie uns hier gute Dienste geleistet haben!“ Schwester von Luring blickte nur mit einem kalt gehobenen Lied auf den ihr vorgesetzten Mann, den sie bei all seiner Selbstverliebtheit nicht leiden mochte: „ Wie ihr wünscht Ehrwürden, wir brechen dann auf!“ Ein Boronsrad schlagend, machte sie kehrt und entschwand kurz darauf mit ihren Knappen, in den lichter werdenden, letzten Nebelschleiern des Tales von Drak.

Die Verluste waren überschaubar und doch waren es zuviele. 2 verschmerzbare Ritter, eine junge Knappin, eine Hand voll verletzt waren der Preis für ein Jagdschloss und 2 Hand toter Söldner. War es das Wert? Stand es ihm zu, darüber zu Urteilen? Sichtlich erschöpft griff er mit der linken Hand an seine Schläfen und erhob langsam den Kopf.

Egal, nun galt es Drak zu sichern.

„Der Tote hört euch nicht!“, Helmes Stimme klang dunkel und kalt, er schien es nicht gewohnt zu sein viel zu sprechen. Einige Narben überzogen sein Gesicht. Sein linker Arm lag unter dem weiten, weißen Mantel verborgen. Etwas Schweiß lag auf seiner Stirn, sein Blick strahlte nichts anderes den Kälte aus.

Antara wandte sich überrascht um. Sie hatte in ihrem Eifer den Ordensbruder hinter sich gar nicht bemerkt. Die Kapuze ihrer schwarzen Kutte rutsche nach hintern und ihr langes, volles schwarzes Haar quoll drunter hervor. „Nein.“ antwortete sie. „Und sprechen kann er auch nicht mehr, um Klage zu erheben gegen seine Schändung. Deswegen spreche ich für ihn.“ Stumm wies sie auf die fehlenden Ohren des Toten.

Der schlunder Junker räusperte sich. „Hm, vielleicht sollte ich dazu ein Wörtchen verlieren. Die Sippe vom Kalten Bach, meine Nachbarn, die so freundlich waren, mich hier zu unterstützen, haben ein sehr große Ehrfurcht vor ihren Gegnern. Ich möchte nicht, dass die versammelten Ritter und Knappen das als Schändung verstehen, eher wie eine Art, sagen wir mal…“, der übergewichtige Riese wand sich sichtlich, „… ah ja, wie eine Art ritterliches Pfand. Ihrem getöteten Gegner zu Ehren tragen sie ein dem Herrn Boron eher… äh… unbedeutendes Teil am Körper.“ Lahor holte kurz Luft. „Schließlich gilt das gesprochene Wort dem Herrn des Schweigens nicht so viel wie die Taten, die diese tapferen Heiden den Toten zu Ehren noch vollbringen werden. Ich hoffe Ihr versteht?“

Die almadanische Geweihte fixierte den Junker mit funkelnden Augen. Die Hände waren in die Hüften gestemmt und nur zu deutlich konnte man die Streitlust erahnen, für die Anwohner des Yaquir berühmt-berüchtigt waren. „Ich weis ja nicht, wie Ihr es in Garetien mit den Ferkinas haltet, aber wenn die Heiden ausnahmsweise mal zum Handel auf unsere Ländereien kommen, anstatt das Vieh zu stehlen, die Männer zu erschlagen und die Frauen zu rauben, dann haben sie sich an die Gebote der Zwölfe und die Gesetze zu halten. Oder erlaubt Ihr Ihnen auch Eure Frau und Eure Töchter zu entführen, nur weil es bei ihnen so Brauch ist?“

Emotionslos, dennoch erfüllt von Respekt vor den Toten verschaffte sich Helme eine Bild, von den schartig geführten Schnittverletzungen an den Seiten der Köpfe. „Es mögen Frevler sein Junker, doch hätten die Wilden doch ein wenig mehr sorgfalt walten lassen könne, bei ihrem tun?“ Dabei verwies er auf einige arg grob beschnittene Stellen, bei denen die Klingen anscheinend bis zum Schädel selbst geschnitten hatten. Mit kühlem Blick fixierte er seine Schwester: „Ohren sind ein geringer Preis für die Verfehlungen dieser Männer!“, er wies dabei auf die Toten.

Abschätzend musterte Antara den Schwingenführer. Unzweifelhaft handelte es sich um einen Veteranen vieler Kämpfe. Und aus seiner Sicht mochte diese Sache eine Kleinigkeit und den Aufwand nicht Wert sein, gab es doch sicherlich Wichtigeres zu erledigen. Aber vor genau dieser Nachlässigkeit hatte man sie immer zu Hause in Punin in Tempel gewarnt. Nur zu leicht schlich sich draußen in der Wildnis der Schlendrian ein und unterhöhlte schleichend, aber stetig, das Fundament des rechten Glaubens und erlaubte es somit dem Frevel Fuß zu fassen. Mit strengem Blick sah sie Helme an. „Die Verfehlungen dieser Männer werden auf Rethon bemessen. Es sind unsere eigenen Verfehlungen, auf die wir Acht geben müssen, wollen wir nicht die gleiche Schuld auf uns laden wie diese Sünder.“ Sie wollte noch weiter ausholen, aber ein Blick auf den schweigsamen Veteranen lies sie inne halten. Er würde den Disput nicht ausfechten und in gewisser Weise hatte er Recht: der Schaden war angerichtet, jetzt war nicht mehr viel zu ändern. „Sorgen wir nun dafür, daß wenigstens der Rest ihrer Körper angemessen bestattet werden.“

Helme, genannt die Klaue, nickte nur bedächtig. Sie tat Recht daran die Verstümmelungen anzuprangern, es war ihre vom Herrn gegebene Pflicht dies zu tun! Doch hier bei den Ferkinas? Für ihn war es allein schon Frevel genug das es der Orden überhaupt für nötig befand mit kleinen Kindern, Ungläubigen und Narren dieses abgelegene Gehöft, am Rande des undurchdringlichen Forstes zu erobern. Es schrieb es der Eitelkeit Bruder Lüdegasts zu. Für Helme war es erneut der Beweis dafür das dieser Mann unfähig war und den weltlichen Dingen seiner Familie mehr Engagement zollte als dem Orden. „Kümmert euch weiter um die Bestattung der Toten Schwester!“, wandte sich Helme knapp an die junge Geweihte des Ordens. Einstmals mochte sie erkennen, das den Heiden nicht mit Vorschriften beizukommen war. Entweder man benutzte das Schwert oder ließ sie ihn Frieden ihrem Irrglauben Fröhnen. Gleich im Anschluss daran wandte er sich erneut dem Anführer des wilden Haufens zu: „Ist es möglich, den Ferkinas die Waffen der Söldlinge als...ritterlichen Pfand...“, die beiden Worte kamen dem Golgariten schwer über die Lippen, „...im Tausch gegen die Körperteile anzubieten?“


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Timokles, welcher Antara begleitet hatte, verbarg sich noch immer halb hinter der Boroni, was ihm auch einigermaßen gelang, schließlich war er nicht viel größer als sie. Doch was er da hörte, irritierte ihn zu tiefst. Er hatte bereits von den blutigen Riten der Ferkinas gehört und von deren heidnischem Glauben. Doch wieso kämpfte der Orden des heiligen Golgari mit diesen Ungläubigen und nicht gegen sie? Wieso entweihte man den Augenblick des Kampfes für die gute Sache auf diese Art und Weise, dass man es zuließ dass kreischende Wilde die Gefallenen verstümmelten. Er konnte durchaus verstehen, dass jemand einen anderen Glauben hatte, aber ein solcher Frevel vor den Zwölfen konnte nicht toleriert werden. Als Helme dann die Waffen der Toten, die eigentlich nach alter Sitte mit den Kämpfern bestattet werden sollten, „ritterliches Pfand“ nannte, konnte Timokles sich nicht mehr beherrschen und der stille Beobachter brach hervor: „Ritterliches Pfand? Was hat es mit Ritterlichkeit zu tun denen, welche den Flug über das Nirgendmeer bereits angetreten sind, noch ihre Habe zu rauben? Beides ist Frevel, sage ich!“ Als er bemerkte, dass er dies laut gesprochen hatte, zuckte der Knappe kurz zusammen, aber fixierte dennoch Helme fest.

Helme zog überrascht die Augenbraue hoch, für ihn eine gar gewaltige Reaktion für den stillen Beobachter nicht mehr als was von einem Golgariten zu erwarten war. Ein junger Ordensbruder, welcher nicht einmal die Hälfte seiner Sommer zählte fixierte Helme fest mit den Augen. Wohl hatte ihn seine erste Schlacht, deren Spuren noch im Tief im Gesicht des jungen Aspiranten erkenntlich waren, übermütig werden lassen und ihm Selbstvertrauen genug geschenkt sich zu erdreisten ihn zu belehren. Aber anstatt zu Antworten blickte er streng auf Antara!

Als er bemerkte, dass der Veteran so vieler Schlachten ihn nur kurz anblickte und dann weiter ignorierte, wurde ihm die Tragweite seiner Tat klar und er schalt sich selbst einen Narren, dass er ihn belehren wollte und er blickte auf den Boden. Dann verabschiedete er sich mit einem schlichten „Boron mit Euch“, schulterte seine Schaufel und machte sich wieder daran weitere Gräber auszuheben.

Antara wollte sich schon zum Gehen wenden. Der alte Kämpe schien eine Lösung für die Angelegenheit gefunden zu haben, die vielleicht nicht die Wünschenswerteste war, mit der man aber zumindest für den Augenblick leben konnte. Innerlich seufzte sie, mit ähnlich unbefriedigenden Kompromissen mußte man in Punin, wo sowohl heidnische Rastullah-Anbeter als neuerdings auch alanfanische Ketzer zum Alltag gehörten, lernen auszukommen. Mit einem angedeuteten Nicken signalisierte sie, daß die Affäre für sie beendet wäre, als zu ihrem Entsetzen Timokles seine unerhörten Worte sprach. Ein hastiges „Pscht!“ kam zu spät. Sie überlegte noch, ob sie lieber im Erdboden versinken oder dem vorlauten Knappenbruder eine saftige Ohrschelle verpassen sollte, als sie den gestrengen Blick Helmes auf sich spürte. „Anscheinend spürt er noch die Macht des Herrn von eben in sich.“ brummelte sie entschuldigend in die Richtung des Veteranen. Als Timokles sich davon machen wollte, stellte sie ihn mit strengem Ton zur Rede. „Bruder Timokles, glaubt Ihr wirklich der Schwingenführer ist von den Taten der Wilden begeistert oder heißt sie gut? Zornige Reden gegen seine Oberen zu führen mag einem Diener der Rondra gut zu Gesicht stehen.“ Timokles war zuerst noch von seiner inneren Hitze erglüht und wollte schon der Boroni eine spitze Antwort verpassen, als ihm, wie von einem Schmiedehammer getroffen, klar wurde, dass seine Worte wirklich sehr töricht waren. Langsam wandte er sich um, die Wangen immer noch rot gefärbt von der inneren Aufregung. Er räusperte sich und antwortete, zu Antara wie auch Helme gewandt, mit schaler Stimme: „Verzeiht mir. Ich war nicht Herr meiner Worte und wollte Euch weder beleidigen, noch Eure Entscheidungen unsittlicher Kritik unterziehen, hoher Herr. Aber die Hitze des vergangenen Kampfes und die Gegenwart von so viel Leid und Verstümmelung muss mein jugendliches Gemüt zu sehr erhitzt haben. Vergebt mir meine unpässlichen Worte und auch ich werde mich in Zukunft mehr zu beherrschen suchen.“ Dabei hielt er seinen Kopf immer gebeugt und wich dem strengen Blick des Schwingenführers aus. Doch im Inneren war er noch immer auf das höchste Maß entsetzt und aufgewühlt, ob der Entscheidungen der Ordensoberen, um des derischen Vorteils willen solche Mittel einzusetzen und sich sogar mit Heiden zu verbünden, die die Gebote der Zwölfe mit Füßen traten. So hatte er sich den Dienst im Kloster nicht vorgestellt. Doch nun wurde ihm klar, dass jeder doch nach dem derischen Vorteil strebt und das Ziel doch von den meisten den Mitteln vorangesetzt wurde. Dies wühlte ihn innerlich so sehr auf, sodass seine Wangen auch nun nicht mehr ihre ursprüngliche Farbe annehmen wollten.

Antara mußte ob des gerechten Zorns des jungen Knappen schmunzeln. Fast mochte man ihn für einen echten Almadani halten. Und hatte sie selbst nicht oft genug gehadert mit Entscheidungen, die dem göttlichen Geboten zu widersprechen schienen? Sie nahm Timokles bei Seite. „Zürne nicht Deinen Schwestern und Brüdern! Jeder von ihnen weiß nur zu gut, was Du meinst. Aber nicht immer ist die Welt außerhalb der Klostermauern so einfach, wie man das gerne hätte. Ein Diener der Götter muß immer abwägen, was ihrem Willen letzten Endes am meisten gerecht wird. Und je mehr Verantwortung er trägt, um so schwieriger und weitreichender sind seine Entscheidungen. Und um so schwerer verständlich. Wenn Du also das nächste Mal den Zorn der stürmischen Herrin in Dir verspürst, dann denke zunächst darüber nach, daß nicht alles so einfach ist, wie es Dir erscheinen mag. Manche Brüder übersehen gerne, daß die Welt vor den Mauern ihres Klosters anders ist, als in ihren Büchern geschrieben steht, laß Dir nicht zu sehr von ihnen die Sicht verstellen.“

Timokles verfolgte stumm die Worte der Boroni und nickte immer wieder ohne ein Wort zu verlieren. Als sie schließlich geendet hatte, verneigte er sich noch einmal in die Richtung Helmes und raunte Antara zu: „Doch nun bedürfen arme Seelen unseres Beistandes, damit auch ihre Leiber ihre letzte Ruhestatt betreten können. Lasst uns beten für sie. Vielleicht hat der dunkle Herr ja ein Einsehen und ihre notwendige Verstümmelung wird ihnen vor Rethon nicht als Makel angerechnet.“ In der Hoffnung Antara würde ihm folgen, wandte er sich nun ab und ging mit der Schaufel in Händen an die Arbeit, seinen Mitbrüdern und –schwestern zu unterstützen, Gräber für die Gefallenen auszuheben.



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5. Bor 1031 BF
Mittagsstund
Tränenlose


Kapitel 5

Epilog