Geschichten:Sternguckerin – Wahrheit

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Version vom 26. April 2021, 06:11 Uhr von Orknase (D | B)
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Salzkotten, Ende Phex 1043 BF

„Es ist schön, dass Ihr gekommen seid, Schwester Lindegard“, erklärte mir mein Glaubensbruder Gerbald von Luring-Schneitzig am späten Abend. Wir hatten getan, was wir hatten tun können, nun mussten wir warten. Abwarten. Ich war zwar müde, aber an Schlaf war nicht zu denken. Mir gingen so viele Dinge durch den Kopf. „Als im Hesinde klar wurde, dass die Waldsteiner kommen werden, da habe ich an Hochwürden Immenhort geschrieben und darum gebeten Euch zu schicken. Und nun seid Ihr hier...“

Er schenkte mir einen freundlichen Blick.

„Hat es einen Grund“, hob ich an, „Warum Ihr ausgerechnet nach mir gefragt habt?“

Nun lachte er: „Was ich so gehört habe, seid Ihr eine willensstarke, junge Frau zu sein. Zumindest erzählt man sich das von Euch. Ihr habt Hochwürden viel abgerungen und interessanterweise hat er Euch das auch durchgehen lassen. Und wer sollte besser mit dem Elend hier umgehen können als Ihr?“

„Wisst Ihr... wisst Ihr was passiert ist, dass sich die Hebammen und die Peraine-Geweihten in Schwarztannen nicht ausstehen können?“

„Man hat es Euch nicht gesagt?“

Ich schwieg.

Der Geweihte seufzte: „Dann ist nun die Zeit der Wahrheit wohl gekommen. Wenn nicht jetzt, wann denn dann? Ich weiß es nicht genau, aber... aber man erzählt sich Folgendes: Hochwürden hatte wohl eine Liason mit Folgen. Über die Frau kann ich Euch nichts berichten. Ich kann Euch auch nicht sagen, wie ernst es den beiden war oder ob es nur das berühmte eine mal gewesen ist. Wie dem auch sei, keiner wusste von ihr. Weiter wusste auch keiner, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Es ist noch nicht einmal sicher, ob er selbst von diesem Umstand wusste. Anzunehmen, dass dem nicht so war. Und als die Stunde ihrer Niederkunft kam, da war Eure Lehrmeisterin, die alte Hild, an ihrer Seite. Die Geburt muss wohl sehr schwer und äußerst schwierig gewesen sein. Als das Leben von Mutter und Kind in Gefahr zu geraten drohte, da schickte sie nach einem Peraine-Geweihten. Es kam – das ist nicht schwer zu erraten, die Götter haben einen seltsamen Humor – Baldur von Immenhort, der damals noch nicht Prätor war, sondern lediglich ein einfacher Geweihter. Doch er kam zu spät. Mutter und Kind waren tot. Sein Kind war tot.“

Er machte eine Pause.

„Der Immenhorter warf der Hebamme vor, zu lange gewartet zu haben. Er gab ihr die Schuld am Tod seines Kindes. Er glaubte, wenn sie ihn nur früher gerufen hätte, dann hätte er sie retten können, sie und sein Kind. So waren beide gestorben. Die Hebamme jedoch rechtfertigte sich, sie habe alles getan, was sie hatte tun können. Sobald sie gemerkt habe, dass Mutter und Kind in Lebensgefahr schwebten, habe sie nach einem Geweihten geschickt. Diese Einschätzung teilte auch ihre Schülerin. Doch der Immenhorter beharrte darauf, dass die Hebamme sich schuldig gemacht habe, weil sie zu lange gewartet hatte. Erst wandte er sich an die Stadtwache, dann an den Praios-Tempel zu Schwarztannen. Passiert ist nichts. Die Hebamme und ihre Schülerin mussten zwar wieder und wieder ihre Aussage vor Zeugen wiederholen, aber Beweise, dass sie einen Fehler begangen hatte, gab es keine und es fanden sich auch keine, ja nicht einmal die Praios-Kirche hat welche gefunden und das soll etwas heißen! Es war – so bedauerlich es auch klingt – ein schreckliches Unglück. Wir alle wissen, dass eine Geburt tödlich enden kann, vor allem dann, wenn das Kind nicht günstig liegt...“

„Dann war es eine Steißgeburt?“

„Nein, es soll eine Sternguckerin gewesen sein“, erwiderte er, „So wie auch Ihr.“ Nun zuckte er mit den Schultern. „Schon seltsam, oder nicht?“

Ich konnte nichts darauf erwidern. In meinem Kopf waren so viele Gedanken und alles ging durcheinander, doch recht hatte er: Es waren ungewöhnlich viele Sterngucker oder war es vielleicht nur ein Zufall? Ein merkwürdiger Zufall?

„Wann... wann war das?“

„Das muss, denke ich, wenige Monde vor Eurer Geburt gewesen sein“, er zuckte etwas verunsichert mit den Schultern, „Es ist schon lange her. Und vermutlich, ja vermutlich hat er sich stets wie ein Vater um Euch gekümmert, weil er immer in Euch sein Mädchen gesehen hat, jenes Kind, das er noch heute glaubt retten hätte zu können.“

Einen Moment hielt er inne: „Ja, das ist sie, die Geschichte. Und wenn ich ehrlich bin, ich kann Hochwürden ja verstehen, es ist einfacher die Schuld für den Tod des eigenen Kindes bei jemand anderem zu suchen. Ein Kind zu verlieren ist schon schwer genug, doch wenn man wenn selbst auch einen Teil der Schuld trägt? Es scheint zu viel Zeit vergangen zu sein, zwischen jenem Moment, da die Hebamme nach dem Geweihten schickte und dessen eintreffen. Doch wo ist diese Zeit geblieben?“ Er zuckte mit den Schultern. „Bis zum heutigen Tag gibt es darauf keine Antwort, als hätte Satinav die Zeit schneller vergehen lassen, als habe jemand nicht gewollt, dass Mutter und Tochter überleben...“

Ich nickte nachdenklich: „Und ich habe mir sie ausgerechnet als Lehrmeisterin ausgesucht.“

„Ja“, er lachte, „Wie ich bereits sagte, die Götter scheinen einen gar seltsamen Humor zu haben.“


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Ende Phe 1043 BF
Wahrheit
Verloren


Kapitel 9

Verstärkung
Autor: Orknase