Geschichten:Stürmische Zeiten

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Kalte Nebelschwaden hoben sich aus den Ebenen grüner Wiesen und dichter Wälder heraus in den blauen Himmel empor. Ein leichter Dunst vermochte den sonst so geschulten Blick eines Märkers an diesem Praioslauf zu trüben.

Nur schwach schimmerten die ersten Strahlen der Praiosscheibe durch den dichten Mantel aus Nebelschwaden und tauchten den Boden in ein gespenstisch dämmriges Licht. Eine Vielzahl dunkler, kräftiger Baumstämme hoben sich im Zwielicht ab vom moosbedeckten Leib Sumus, der Erdriesin, unvermindert den Eindruck erweckend die Sagengestalten der Altvorderen seien zurückgekehrt.

Die Praiosscheibe hatte ihren Lauf beschleunigt und stand nun hoch über den Dächern. Kleine Rauchschwaden kringelten sich aus den steinernen Schornsteinen von Schnayttach, welche an der Straße zwischen Greifenfurt und Weiden lag. So mancher Reisende hatte hier noch einmal Rat gemacht, bevor er auf der Hauptstraße weiter gen Nordhag gereist war, denn die Straße führte fast 40 Meilen nur durch eine dichte Waldlandschaft und kein Gasthaus befand sich am Wegesrand bis zu den Grenzen der Baronie Dergelstein. Mehr als einmal war es deswegen zu einem Streit mit dem Baron von Hundsgrab gekommen, machten doch die Reisenden eher in Schnayttach oder einem seiner Weiler Rast anstatt in Hundsgrab.

Warmer Dunst stieg über den Dächern wie aus kochenden Kesseln empor. Hier und da krähte ein Hahn, das Leben in der Stadt war erwacht und wie in einem Ameisenhaufen begann das geschäftige Treiben. So mancher Bauer mochte schon seit wenigen Stundmaßen wach sein, doch für die viele Stadtbürger begann der Praioslauf erst jetzt.

Ein einsamer Reiter in den Farben des Markgräflichen Wehr kam die Straße heraufgeprescht. Weißer Schaum umgab die Schnauze des Pferdes und die Kuppen waren schweißnaß. Durch den wilden Galopp wurde die schwarze Tasche des Boten hin und hergeschleudert. Er passierte zügig das Stadttor und nickte dem Wächter mit seiner Halmbarte nur kurz zu, um dann sein Pferd schnell in Richtung der Burg zu lenken, welche die Stadt schon von weitem sichtbar überragte. Die festen Mauern strahlten Schutz und Geborgenheit aus, besonders in den unruhigen Zeit ein kostbares Gut. Über den Zinnen des Burgfrieds flatterte munter das Banner im Wind, dem launenhaften Spiel der Windgeister schutzlos ausgeliefert. Mit einem Knarren öffneten sich die dunklen Eichenholztore.

Derweil saß die Baronin Thalia von Schnayttach mit ihrer kleinen Familie um die lange Tafel im Rittersaal herum. Unter dem Gesinde hielt sich hartnäckig die Legende, daß die Tafel aus heimischem Eichenholz wohl schon an die 200 Götterläufe alt sei. Thalia jedoch mochte nicht so recht daran glauben. Selten verschwendete sie daher einen Gedanken daran. Müde Gesichtern waren an dem Tisch zu sehen, einzig die putzmunteren Gesichter der beiden Kinder strahlten vor schierer Neugier auf den neuen Praioslauf.

Es klopfte an der Tür des Rittersaals. Baronin Thalia hob etwas überrascht den Kopf, denn sie erwartete eigentlich niemand.

„Herein!“ rief sie. Die Tür öffnete sich und Doride, die Küchenmagd, lugte aus dem Spalt mit ihrem roten Haarschopf herein. Sie schien jedoch sichtlich unangenehm berührt über das, was sie ihrer Herrin ausrichten sollte.

„Verzeiht, Frau Baronin, wenn ich störe, doch ein Bote aus Greifenfurt ist hier angekommen und will euch unbedingt eine dringende Depesche übergeben“ fing sie sichtlich nervös an zu sprechen und schaute die Baronin danach fragend an. „Soll ich ihn hereinbitten? Der Bote sagte, es sei sehr wichtig!“

Sie entgegnete Dorides Blick mit Erstaunen. Nur wenige Augenblicke lang herrschte eine fast unheimliches Schweigen, dann entgegnete ihr die Baronin endlich: „Ja, Doride, führt bitte den Boten in die Halle und bringt auch gleich eine Erfrischung für unseren Gast mit. Geht nun und laßt ihn nicht warten!“

Freundlich blickte die Baronin von Schnayttach auf die junge Magd, die nun schon seit zwei Götterläufen in ihren Diensten stand. Manchmal beschlich sie das ungute Gefühl, daß die Magd besonders an dem Waffenmeister Gernot von Rothenborn Gefallen gefunden zu haben schien. Zumindest blickte sie ihn mehr als einmal mit einem träumerischen Blick nach.

Wie dem auch sei, der Bote aus Greifenfurt verlangte nun ihre volle Aufmerksamkeit. Elrigh von Bernstein schaute derweil seine Gemahlin fragend an.

„Ein Bote aus Greifenfurt?“ entfuhr es ihm überrascht. „Was der wohl bringen mag? Thalia, mir schwant Übles!“ Tiefe Sorgenfalten zogen sich über seine Stirn und düstere Gedanken umwölkten das Haupt des Ritters. Welche Nachricht mochte aus Greifenfurt kommen? Gute sicherlich nicht, denn nur selten bemühte der Heermeister die Barone durch Botenreiter, es sei denn die Lage für die Mark wäre äußerst ernst. So zuletzt im letzten Orkensturm!

Nachdenklich blickten sich die Eheleute eine Weile an, um dann ihr Augenmerk neugierig in Richtung der sich öffnenden Tür zu wenden, wo ein älterer Mann mit braunen Haaren, in den Farben der Markgräflichen Wehr gekleidet, eintrat. Er verbeugte sich artig vor der Baronin, trat dann etwas näher und verbeugte sich abermals.

„Verzeiht, euer Hochgeboren,“ begann er mit ernster Miene, sah die Anwesenden forschend an und fuhr dann mit seiner Rede fort, „wenn ich so vehement auf eine Unterredung mit euch drängen mußte, doch die Botschaft meines Herrn, dem Heermeister von Schattenstein, duldet keinen Aufschub!“

Der Bote, Eberwulf mit Namen, ging zielsicher auf Thalia zu und übergab ihr ein gesiegeltes Schreiben. Er trat schließlich wieder einen Schritt zurück.

„Wie lange seit ihr schon unterwegs mit dieser Nachricht?“ wandte sich Elrigh an den Boten. „Seit gestern, Herr“ antwortete Eberwulf artig.

„Mmh“ entrann es nachdenklich Ritter Elrigh, nicht ohne die Stirn in Falten zu legen und mit dem nicht von einer Augenklappe verborgenen Auge den Boten forschend anzusehen. Die Schmerzen in seinem linken Auge schienen wieder stärker zu werden. Nun plagte er sich seit 29 Hal mit diesem Gargylensplitter in Auge herum und von Götterlauf zu Götterlauf schien dessen Macht auf ihn immer stärker zu werden.

Niemanden hatte er von seinen Schmerzen erzählt, erst recht nicht von den Alpträumen, die ihn jede Nacht heimsuchten. Sogar vor Thalia hatte er das geheimgehalten und lediglich nach einem Anfall behauptet, der Splitter würde entsetzliche Schmerzen verursachen, weil er wohl etwas in der Wunde wandern würde. Nicht wirklich beruhigen konnte das Thalia nicht.

„Ihr könnt euch nun zurückziehen,“ bedeutete die Baronin dem Boten, „jedoch erwartet euch in der Küche eine kleine Stärkung, bevor ihr wieder nach Greifenfurt zurückkehrt. Ich werde euch eine Botschaft für den Heermeister mitgeben.“ Sie schaute nun zu Doride. „Lauf schnell zu Waffenmeister Rothenborn und richte ihm aus, er möge baldigst zu uns kommen! Es sei sehr wichtig.“ Umsichtig führt die Magd Eberwulf auf dem schnellsten Weg in die Küche, um dann eiligst zu den Gemächern von Ritter Gernot zu laufen.

„Wie bitte? Seid ihr euch sicher, Frau Baronin?“ warf Gernot mit sichtlich erstauntem Blick in die Ausführungen von Thalia ein. Ein Nicken allerdings bestätigte diese Behauptung.

„Dann ist es also wahr ...!“ entfuhr es ihm. Er fühlte sich etwas überrumpelt. „Baronin, dürfte ich das Schreiben auch einmal nehmen?“ fragte der Ritter höflich.

„Sicher dürft ihr das, guter Gernot“ entgegnete Thalia mit einem freundlichen Lächeln.

Noch einmal las er aufmerksam die Zeilen des Heermeisters. „Schon in vier Praiosläufen soll die Landwehr in Waldrast sein? Das ist allerdings ziemlich wenig Zeit...“ entfuhr es ihm doch sichtlich überrascht.

„Ja, es scheint so. Aber du wirst das schon schaffen“ sprach Elrigh mit einem aufmunternden Grinsen im Gesicht.

„Nun, Gernot, hebe die Landwehr aus und führe sie gen Waldrast! Ich werde mich derweil um die Verteidigungsvorbereitungen in Schnayttach selbst kümmern“ befahl sie ihm mild.

„Thalia,“ sprach Gernot mit vertrauten Ton „ich möchte euch vorschlagen, daß wir erfahrene Kriegleute anwerben, die als schweres Fußvolk fungieren, und nur die besten Bogenschützen aus der Landwehr in unserem Heerhaufen mitnehmen. Ein einfacher Bauer hilft da nur selten, lassen wir ihn sein Feld auch weiterbestellen. Zudem waren die letzten Götterläufe mit Blick auf die finanzielle Lage eures Lehens mehr als gut. Vielleicht mögen wir dadurch nur halb so viele Kämpfer aufbieten können als andere Baronien, ihre Kampffertigkeiten jedoch gleichen das mehr als aus. Stimmt ihr zu?“

„Ich lasse dir freie Hand, Gernot. Solange du uns nur nicht in ein finanzielles Desaster stürzt“ entgegnete sie zustimmend.

„Gut Baronin, ich will euch nicht weiter stören“ gab er höflich zurück und verließ schnellen Schrittes den Rittersaal.

Waren das jetzt alle Streiter? War auch keiner vergessen? Gernot lief ein letztes Mal durch die kleine Ansammlung an Menschen, Tieren und Wagen. Ingesamt 15 Kriegsknechte hatte er in Greifenfurt anwerben könne, alles gestandene Männer und Frauen ihres Handwerkes. Schwer gerüstet waren sie mit Steppwams, Brustplatte und verschiedenartigen Helmen. Die restlichen 10 Streiter des Halbbanners schweren Fußvolkes waren genauso gerüstet, gehörten jedoch der barönlichen Burgwache an. Lange Halmbarten und Schwerter stellten die Bewaffnung dar. Da waren aber auch noch die Bogenschützen, aus Schnattach selbst stammend, wurden nur die besten Schützen einberufen, um mit Steppwams gerüstet hoch zu Roß als Vorhut dem Trupp vorauszueilen und etwaige Gefahren zu erkennen und melden. Bewaffnet waren sie mit einem kurzen Schwert sowie einem gutgearbeiteten Langbogen, den sie mit einer Lederhülle vor den Unbilden der Natur zu schützen versuchten. Zehn Schützen hatte Waffenmeister Rothenborn bestimmt. Zu dem Heerhaufen hinzu gesellten sich auch noch der Ritter von Spangenberg mit seinen 3 Kriegsknechten.

Drei von Ochsen gezogene Wagen waren voll mit Lebensmitteln, Werkzeugen, Decken und Zelten beladen, um die Kämpfer im Felde zu versorgen. Hinzu kam, dass der Waffenmeister noch einige Handwerker zum Kriegsdienst verpflichten konnte, unter ihnen befanden sich 2 Zimmerleute, 1 Steinmetz, 1 Huf- und ein Waffenschmied. Zudem halfen 5 Tagelöhner den Meistern ihres Handwerkes die anfallenden Arbeiten bewältigen zu können. Mit etwas stolz beobachtete Gernot den kleinen Heerhaufen. Er war schlagkräftig, wenn auch etwas klein. Dennoch verschlang er nicht Unsummen an Lebensmittel, wie es 1 oder 2 Banner gewöhnliche Landwehr getan hätten. Dafür waren sie bei der Anwerbung doch deutlich teurer gewesen. Trotzdem war es die beste Lösung für Schnayttach gewesen.

„Weibel Lonnert, gebt das Zeichen zum Aufbruch! Bogenschützen als Vorhut voran, dann die 15 Mann Schweres Fußvolk, die Wagen in die Mitte, Nachhut bildet die Burgwache!“ befahl der Waffenmeister seinem treuen Weibel. Er lenkte sein Pferd an die Spitze, blickte sich noch einmal um und trabte langsam dem Ziel entgegen, Waldrast.