Geschichten:Sonnendämmerung - Martoks Erben Teil I.

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Kaiserlicher Hof auf Efferdträne, Reichsfestung Wogentrutz, Hesinde 1042 BF:

Der Wind zerrte an seiner Kleidung, an seinen Haaren, an seinem ganzen Körper. Hoch schlugen die Wellen unter ihm. Es war, als bitte die stürmische Rondra den launenhaften Efferd zum Tanz. Wie so oft stand er auf der Plattform des sogenannten Nadelturms der Reichsfestung Wogentrutz. Der Turm war auf einer kleinen Felsnadel errichtet worden und war von allen Seiten der Macht Efferds und Rondras ausgeliefert. Eine steinerne Brücke verband das Bauwerk mit der Reichsfestung. Vielleicht war es dieses Gefühl des ausgeliefert sein, was ihn immer und immer wieder an diesen Ort zog. Der Turm und er hatten etwas gemein. Oft grübelte er darüber nach, was wohl wäre wenn er nicht mehr da wäre, wenn er einfach in die Tiefe springen würde. Sie würden ihn einen Feigling nennen, unwürdig für einen Nebachoten. Er wäre dann jemand, der sich seinem Schicksal entziehen wollte und einfach in minderes nächstes Leben gehen würde. Doch, was war sein Schicksal? Er wusste es und auch wieder nicht.

Er würde einmal seinem Vater als Baron von Herdentor nachfolgen, das wusste er. Doch, wer er sein sollte, das wusste er nicht. Er war Nebachote, doch zwängte man ihn in ein raulsches Korsett. Viel konnte er hier bei seinem Knappenvater lernen – über Verwaltung, Diplomatie und auch der Schwertkampf kam nicht zu kurz. Was er nicht lernte, war, wie er als junger Nebachote zu sein hatte in dieser veränderten Welt. Das trostlose, abgeschiedene Eiland sollte zum Spiegelbild seiner Seele werden. Er hasste es hier. Er hasste sich.

Dabei hatte er hier durchaus Freundschaften schließen können. Wenn er sich nach menschlichen Umgang sehnte, dann suchte er zumeist den Geweihten der Leunin Timshal von Berlenga auf. Sie verstanden sich, oft auch ohne Worte. Auch Timshal war eine gemarterte Seele, denn er hatte eine Hand verloren und konnte den Rondrakamm nun nicht mehr führen. Was war ein Rondra-Geweihter ohne seinen Rondrakamm? Unvollständig, nutzlos, ein Nichts. So wie er.

Da war noch eine Person die ihn zuweilen aus den Dunkel seiner Seele zu befreien vermochte. Es war Timshals Bastard-Schwester Ilyane. Sie diente als Hausritterin auf Wogentrutz und war viel älter als er, strahlte Stärke und Zuversicht aus. Bei ihr fühlte er sich geborgen, sie gab ihm Halt. Ohne sie hätte es sich womöglich schon längst vom Nadelturm in die Tiefe gestürzt. Sie war das Bildnis einer Frau, die ein Nebachote verehrte, obwohl sie eine Raulsche war, schon wieder all diese Widersprüche.

Die Nachricht seiner anstehenden Vermählung mit einer Fremden hatte ihn damals tief ins Mark getroffen. Nun würde man ihm das letzte bisschen an Lebenskraft nehmen, da war er sich sicher gewesen. Die ersten Treffen mit Nedime waren sehr unterkühlt. Beide mussten nicht so recht was mit der Situation anzufangen. Sie waren doch noch so jung und für ihre Familien nur Figuren in einem Spiel. Es zerriss förmlich sein von Dunkelheit gehülltes Herz.

Es waren nun schon sechs Monde ins Land gegangen seit seiner Hochzeit mit Nedime. Gesehen hatten sich die beiden seit dem nur wenige Male. Er diente als Knappe auf diesen verfluchten Tränen und sie als Knappin am Markgrafenhof. Wie sollte sie so zueinander finden? Ihre Begegnungen wurden von Mal zu Mal weniger unterkühlt, doch verstanden sie einander nicht. Zu unterschiedlich waren ihre Lebenswelten, zu unterschiedlich ihre Herkunft, zu unterschiedlich ihre Seelen. Er wollte seiner Gemahlin ein guter Ehemann sein, aber er wusste nicht wie.

Er war nun ganz alleine, denn im unbeholfenen Aktionismus hatte er Ilyane von sich gestoßen. Sie war für ihn nun nur noch ein aus der Ferne zu verehrendes Idealbild einer Frau. Seiner Frau – die er in Wirklichkeit immer noch nicht richtig kannte.

So stand er nun auf der Plattform der sturmumtosten Felsnadel. Im fernen Morganabad trafen sich zur gleichen Zeit Kaiserin Rohaja und Maharan Arkos und schrieben wortwörtlich Geschichte. Nedime war vor wenigen Monden bei den Hadrokles-Paligan-Festspielen in Punin. Bei ihrem letzten Treffen erzählte sie unentwegt davon. Da konnte er ein Auflodern ihrer ihr innewohnenden Leidenschaft erkennen. Er konnte diese Leidenschaft nicht entfachen. Um ihn herum passierte so viel, nur nicht hier. Er war weit weg von allem. Er war im Stillstand gefangen und trotzdem wagte er es nicht zu springen. So war er verdammt im Stillstand zu verharren. Aber Stillstand war gleichbedeutend mit dem Tod, der nabachotischer Auffassung auch nur eine Station war, in der raulschen nicht. Immer wieder diese Widersprüche. Wer war er?