Geschichten:So ist die Familie

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Ein linder Sommerabend im Efferd 1036 BF auf Burg Jochstein

»Hier oben bist du immer«, stellte Lechmin fest und trat an Jawige heran. das Mädchen stand an der Brüstung der Bastion vor dem Bergfried und schaute über den Wald auf die Hügel von Dornensee im Westen, auf denen die goldrote Sonne ein gediegenes Farbenspiel veranstaltete.

Das Mädchen drehte sich halb um und lächelte auch nur halb. »ja, der Blick ist so schön. Und man kann so weit sehen wie ein Vogel.« Sie seufzte.

»Und ein Vogel - das wärest du wohl gerne?«, fragte Lechmin nach und gesellte sich zu ihrer Verwandten. Angeheirateten Verwandten, und das war der wunde Punkt: die Hochzeit mit Vetter Marnion, dem fast fünfundzwanzig Jahre älteren.

Jadwige nickte. Zwei Tränen kullerten über ihre frischen Wangen. Sie wandte sich ab.

»Weine nicht, Jadwige. Marnion ist kein schlechter Kerl. Er ist vielleicht nicht der beste Ehemann auf deren, aber er ist auch nicht böswillig.« Lechmin trat noch näher heran. »Ich weiß es.«

Jadwige, unter deren blaugelbem Kleid in den Farben der Rathsamshausen sich der Bauch der werdenden Mutter rundete, zuckte lustlos mit den Schultern. »Was weißt du schon. Ich muss ihn doch immer ertragen. Jeden Abend kam er an, behandelte mich wie eine … benutzte mich. Und jetzt? Jetzt, wo das Kind kommt … Ich gefalle ihm nicht mehr. Er steigt dieser Selfina nach, dieser …«

Lechmin legte sanft eine Hand auf den Arm des Mädchens. »Ich weiß, Jadwige. Aber das wird nicht dauern. Marnion wird Selfina schnell wieder vergessen. Sie ist zu unbeugsam, zu sehr Ritterin. Sie ist … zu stark.«

Jadwige schluchzte. »Und ich bin zu schwach.« Es klang wie eine Frage, eine Klage, ein Ruf.

»Und das ist deine Stärke, Jadwige. Nein, schüttele nicht den Kopf. Ich will dir sagen, was ich glaube: Marnion hat seine Zerstreuungen im Kopf. Er liebt Frauen, vor allem biegsame, junge Frauen, die ihn anhimmeln. Er liebt vor allem junge Ritterinnen oder Knappinnen. Er liebt sie wie einen Jungbrunnen, aus dem er trinken kann. Doch werden sie stark und widerborstig, werden sie störrisch oder … älter, dann verliert er sein Interesse. In der Tat: Ich glaube auch, das er sie benutzt. Aber er benutzt nur die, die noch schwächer sind als er. Werden sie stärker, lässt er sie und sucht die nächste.«

Jadwige hörte jetzt aufmerksam zu. Einen Funken Hoffnung sah sie aufglimmen, dass nicht sie schuld war. Lechmin sprach weiter: »Du wirst lachen, aber ich habe meine Erfahrungen mit ihm auch schon gemacht. Ja, guck nicht so. Ich war ein junges, biegsames Ding damals. Vielleicht keine Schönheit, aber ich glaube: ganz nett. Und Marnion war aufregend, solang es währte. Das war damals in Thûans Jahr, als der Weidener die Krone von Menzelshall geholt hat. Und dann ist Marnion wieder gegangen, ohne Groll, ohne Streit. Ich war am Boden zerstört, bis ich - Jahr später - begriffen hatte, dass Marnion nicht anders konnte. Er war immer nur der zweitgeborene Sohn seines Vaters. Zu weich.«

»Wie soll mir das helfen?«, fragte Jadwige zaghaft nach.

»Ganz einfach: Gib ihm, was er möchte. Das macht ihn gefügig. Verweigere es ihm, wenn du nicht möchtest. Das macht ihn rasend. Dann wird er wiederkommen, um es ein anderes Mal zu bekommen. Du kannst ihn dressieren wie einen Hund, glaub mir. Du darfst ihm nur nicht das Gefühl geben, unterlegen zu sein. Sei niemals die Stärkere, dann wirst du stärker sein als er. Außerdem: Du trägst sein Erbe in dir. In dieser Familie bedeutet das einiges.« Lechmin blickte wieder hinaus in das Spiel der Abendsonne, das nun vom Gesang einer nachtigall begleitet wurde.

»Diese Familie …«, seufzte Jawige.

»Sie ist nicht die schlechteste, glaub mir. Ich habe mich zwar entschieden, den Namen meines Vaters zu tragen, aber Rathsamshausen ist nicht übel. Die ganze Sippe ist nicht so menschenverachtend wie manch anderes Haus.« nach kurzer Bedenkzeit fügte sie hinzu: »Allerdings ist Onkel Aldemar schon ziemlich streng. Was die Heiratspolitik der Familie betrifft, ist er eisern. Als er damals Tante Bernhilde heiraten musste, war das nicht seine Entscheidung. Als ich klein war, hat sie es mir erzählt, aber auch, dass Aldemar glücklich war, ein Heim zu haben zu dem er zurückkehren konnte von seinen Abenteuern. Das wird mit Marnion auch so sein - auch wenn seien Abenteuer andre sind. Deine Hochzeit mit Marnion ist auch nur Politik, aber, hej, du kannst etwas daraus machen.«

Jadwige wirkte ruhiger jetzt und schien nachzudenken. nach einer langen Pause hob sie an: »Die Familie lebt doch eigentlich vor allem vom Ruhme meines Schwiegervaters, oder? Ich meine: Er hält doch alles zusammen; er ist es, der mit den Kaisern verkehrte. Er ist es auch, der die Heiratspolitik bestimmt. Wenn ich da an Schwägerin Rondirai denke, die ihren Aldegiff nur heimlich treffen darf!«

»Ja, du hast recht, Jadwige. Onkel Aldemar ist da sehr streng. ich weiß nicht was wird, wenn er mal nicht mehr ist. Ich weiß, dass einige es nicht so gerne sähen, wenn Marnion auf Rathsamshausen einzöge. Manche sähen da gern meinen Onkel Illehardt - was die guten Götter verhindern mögen! Und was Rondirai betrifft: Sie konnte sich auch nie gegen ihren Vater durchsetzen. Das konnte keiner außer Akward. Und dem ist es schlecht bekommen. Ich fürchte, Rondirai wird eine alte Jungfer sein, ehe sie endlich mit ihrem Aldegiff zusammen kommen kann.«

»Na ja«, grinste Jadwige. »So lange wird sie nicht mehr warten können … rate mal, warum sie auf Jochstein ist! hast du sie dir nicht genau angesehen? Im Herbst wird es soweit sein.«

Lechmin verstand und zog freudig erschrocken die Augenbrauen hoch. »Oh! Oh! Wie schön. Aber herrje: Das wird Onkel Aldemar umbringen, wenn er davon erfährt!«