Geschichten:Singen und beten

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Der Alte lag krank im schönsten Zimmer seiner kleinen Burg. das Gesicht war schweißgebadet, die Haut fahl und gelblich, als wollte sie sich farblich auf die Maden, die kommen würden, einstellen. Die Augen hielt er geschlossen, der Atem war tief und langsam – er schien das Atmen noch einmal auszukosten, dieser alte Haudegen, dessen Tränensäcke einen bläulichen Kontrast warfen, korrespondierend zu der schrecklichen narbe, die auf der klebrigen Stirn bis auf den Hinterkopf hochfuhr wie einst die Axt, die diesen Schädel spalten wollte. Damals im Bornland, als Kaiser Hal verschwunden war und er, der Hauptmann der Kaiserlich Garetischen Informations-Agentur, beauftragt war, dem Kaiser zu folgen und seine Spuren zu entdecken. Dexter Nemrod schätzte ihn, damals und auch hernach, und das schüchterte so manchen ein, der um des Großinquisitors gnadenloser Menschenführung wusste.

Einst war dieser Mann wie eine Eiche, tosend im Sturm, der über das Reich wehte. Manchmal auch war er der Donner, der auf den Blitz folgte – ungesehen und doch zu erwarten. In Aranien soll er die halbe Familie Alca-Zorgan ausgerottet haben, die eng mit den Aimar-Gors versippt gewesen waren, weshalb Reichsrat Pelion Eorcaïdos von Aimar-Gor das Fortkommen des Hauptmanns behindert haben soll, solange er konnte.

Das war nicht lang, denn das Reich benötigte pflichtbewusste Streiter seiner Sache, die nicht zweimal fragten. Und das Reich benötigte Männer, die Informationen beschaffen konnten. Die Informationen bewerten konnten. Und die Informationen bewahren konnten.

Hatte Aimar-Got weiland versucht, seinen Aufstieg zu verhindern? Ja. War es ihm gelungen? Nein. Denn was er an Informationen bewahrte, betraf auch den Schöngeist aus Aranien. Seine Vorgeschichte war ihm wohlbekannt; seine Vorlieben, seine kleinen Geheimnisse und was man sich sonst noch zugeflüstert hatte in Aranien. Oder herausgeschrien hatte in den Kellern der Agentur, die er wohl ebenso gut kannte wie den Hof seiner kleinen Burg. Waren sie nicht ein gutes Gespann gewesen: Hier der Soldat, der eichenhafte Kämpfer mit der eisernen Disziplin – dort der verschlagene, oberschlaue und ganz und gar gewissenlose Wyrmbergen?

Das war damals, ehe das Reich in Trümmer gegangen war. Nachdem er Oberst der KGIA geworden war und vor der Invasion des Daimonenmeisters in der Grafschaft Mendena aufgeräumt hatte, nachdem er den scheinheiligen Grafen Sherianus ans Messer geliefert hatte, nachdem er von den Schwarzen Horden vertrieben und in die Bedeutungslosigkeit gestürzt worden war. Bedeutungslos? Nur solange die Bedrohungen durch die Dämonen und die Reichsverräter größer waren als durch die kleinen Geheimnisse, die er bewahrte.

Wo bewahrte?

Das hätte Garetiens Cantzler zu gerne gewusst, weshalb er Lechdansrode schon lange in seinen ganz persönlichen Beobachtungsbereich einbezogen hatte.

Wo bewahrte der alte Korppenstamm sein Wissen?

Er würde es ihm sagen. Dämonenfäule ist kein Schnupfen, sondern ein übler Fluch. Für die, die sie haben. Ein Segen für jene, die etwas dagegen tun können.

Das hatte er Korppenstamms ausladender Tochter eindringlich klar gemacht, die da vor ihm saß, nur drei Räume von ihrem kranken Vater entfernt. Die letzte Bastion, die noch zwischen der ungebändigten Neugier des Cantzlers und dem sterbenden Vater lag, der seine Seele zu verlieren drohte.

»Wilimai, Ihr versteht doch, worum es hier geht?«, fragte Luring mit dem Nachdruck, den man sich für Kinder aufspart, denen man erklärt, warum sie nicht vom Kuchen naschen dürfen. »Wenn ich Magus Dracomar zu Eurem Vater schicke, dann kann er dessen Seele retten. Dann kann auch Bruder Egilmar zu ihm und des Rest erledigen. Ihr müsst mit nur den Zutritt gewähren, und ich sorge ganz persönlich dafür, dass Eures Vaters Flug über das Nirgendmeer sich anfühlt, als würde eine Amme Euren Vater tragen und nicht Golgari.«

Wilimai schluchzte kurz. Sie wusste nicht so recht warum, denn ihren Vater hatte sie nie mit liebevollen Gefühlen bedacht – was ganz auf Gegenseitigkeit beruht hatte. Aber Vater bleibt Vater. »Warum gehen sie nicht jetzt schon rein und helfen ihm?«

»Weil ich zuerst mit ihm reden muss. Wenn Euer Vater erst einmal weiß, dass seine Reise direkt in die Zwölfgöttlichen Paradiese geht und nicht in die andere Richtung, dann wird er nicht mehr in Plauderlaune sein. Ich muss aber mit ihm plaudern. Was der Oberst in seinem gespaltenen Kopf hat, das gehört der Krone und nicht ihm. Und erst recht nicht irgendwelchen Dämonen.« Horulf von Luring hatte sich vorgebeugt und war ein wenig ungeduldig geworden. Er hatte schon gewusst, warum er den Magier und den Praiospfaffen unten hatte warten lassen.

Wilimai schluckte.

»Oder wisst Ihr, ob Euer Vater irgendwo ein kleines Archiv unterhält? Eine kleine Kammer voller Schätze für Liebhaber desselben Sammlungsgutes, dem auch Euer Vater sein Leben verschrieben hat?« Horulf dachte daran, dass auch Barnhelms Truppe schon unterwegs hierher war. Spalotin, Schimmelgeiß und Stechling, wie die Drossel gezwitschert hatte,

Wilimai schüttelte den Kopf: »Nein, ich weiß gar nichts.«

»Das macht nichts, Wilimai. Solange Ihr mich und meine freundlichen Begleiter hier zu ihm lasst« – er wies auf Ahrenstedt, dem auch schon die Geduld ausging, was der alte Korppenstamm sicherlich gleich zu spüren bekommen würde. Ausgleichende Gerechtigkeit!

»Darf ich nun?«

Wilimai nickte und gab den Weg frei. Horulf atmete erleichtert aus und erhob sich flugs. »Komm, Quendan, nimm dein Werkzeug mit.«

Und Oberst i.R. Baduar von Korppenstamm lernte kurz vor seinem Tod noch singen und beten. In dieser Reihenfolge.