Geschichten:Silors Bande - Lagerleben

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Baronie Uslenried - Praios 1046 BF:

Ulfried Gösslbauer saß bereits seit einigen Stunden auf der kleinen hölzernen Plattform in der hoch gewachsenen Tanne und spähte in den beständig fallenden Nieselregen hinaus. Er war froh, dass ihn sein neuer Lederhut zumindest etwas vor der Nässe schützte. Wie klug es gewesen war, auf dieses Beutestück zu bestehen. Der junge Mann hatte von hier oben einen weiten Blick und konnte die Waldlichtungen der Umgebung gut überblicken. Unter ihm lag seine neue Heimat. Er konnte die Rauchsäule der Feuerstelle deutlich sehen und auch den Bach der aus dem Talschluss entsprang. Die Hütten allerdings waren unter einem dichten Blätterdach versteckt. Gerne wäre er jetzt dort unten und würde sich am Feuer eine warme Suppe und ein Rotbier schmecken lassen. Silor bestand aber darauf, dass der Ausguck zum Schutz der Gemeinschaft immer besetzt sein müsse. Und so würde Ulfried noch einige Stundengläser hier oben ausharren müssen. Einen Herren hatte er jetzt wieder, aber der war ihm lieber als der kaltherzige Junker Konnar von Rallerquell, aus dessen Klauen er vor einiger Zeit in den Wald und zu Silors Bande geflohen war.


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Mit einem lauten Quieken und schreckgeweiteten Augen rannte der braune Eber zurück in sein Gatter. Oderik hatte das umtriebige Tier im nahen Haselgebüsch aufgestöbert und zurück an seinen Platz getrieben.

„He Kunihild, haste was zum Beißen mitgebracht?“, rief Oderik Roßklau eine den Bachlauf heraufgehende schmale und zierliche Frau in brauner Lederkleidung an.

„Nein, wir haben in der Umgebung wohl alles Wild gegessen oder vertrieben. Morgen werde ich die Krebskörbe unten am Weiher kontrollieren und hoffentlich was für die Suppe mitbringen.“

„Na dann gibt’s heute eben wieder Graupensuppe ohne Einlage“, antwortete Oderik mit einer nicht zu überhörenden Enttäuschung in der Stimme.

„Müssen eben mal wieder einen Pfeffersack hochnehmen, dann gibt’s auch wieder was Vernüftiges zum Kauen. Ich kann’s auch kaum erwarten einem dieser reichen Pinkel meinen Dolch in den fetten Wanst zu drücken.“

„Immer langsam, Ismene, du weißt sehr genau wie Silor über Gewalttätigkeit denkt“, meldete sich ein ältere Mann, der stark hinkend hinzutrat zu Wort.

„Ach ja Borfred Trutzmeier, spielt sich wieder auf. Aber wozu bringst du denn dann allen das Kämpfen bei, frag ich mich – hä?“

„Nun, verteidigen müssen wir uns schon können und die Wagen und die Ladung werden die Pfeffersäcke nicht freiwillig herausrücken. Denen kann man mit dem Dolch schon vor den Bäuchen herumfuchteln, aber eben VOR den Bäuchen.“

„Wenn die Praiospfaffen damals auch so feinfühlig gewesen wären und meine Mutter nicht wie ein Sau langsam gegrillt worden wäre, könnte ich Deinen Worten vielleicht etwas abgewinnen“, erwiderte die Frau, spie auf den Boden und schlenderte zu einer der vier strohgedeckten Katen, die hier am Talschluss standen. Sie machte die improvisierte Tür auf und wurde vom Dämmerlicht der kleinen Behausung verschluckt.

„Jetzt wird Ismene wieder heulen und sich selbst bemitleiden. Jeder hat doch sein Schicksal zu tragen und keiner hat’s leicht damit“, verkündete Borfred Trutzmeier seine Sicht der Dinge. „Ich habe mich götterläufelang mit Betteln über die Runden gebracht. Keiner wollte einen Krüppel. Erst sind sie dir dankbar, dass du deine Knochen im Kampf hinhältst und dann vergessen sie dich schnell wieder. Unsere Jägerin musste ihre Heimat in Tobrien verlassen und konnte ihre Ausbildung zu einer geachteten Geweihten des Wintergotts nicht vollenden. Der olle Odrik verlor Haus und Hof, weil er die Abgaben an seinen Pachtherren nicht bezahlen konnte. Haucke Schwarzbart hatte als Halbork in seinem Dorf sicher wenig zu lachen. Und trotzdem stehen wir hier und nehmen unser Schicksal in die Hand und sind froh dich, unseren Hauptmann, gefunden zu haben!“

„Sei nicht so streng mit ihr. Sie ist jung und musste ihre Mutter brennen sehen. Das kann einen Menschen brechen.“

„Vielleicht hast Du Recht Silor. Verzeih meine harten Worte.“

Borfred hatte den Anführer und seinen Schatten Haucke erst gar nicht kommen hören. Der schwarzhaarige, bleiche Mann mit dem er jetzt seit mehreren Monden lebte, verstand es vortrefflich unbemerkt aufzutauchen. Auch schien Silor von den Nebeln immer zu wissen, wann einer der Bandenmitglieder zurück ins Lager kam und wann ein Wagenzug an ihrem Hinterhalt vorbeirollen würde. Hatten die Vögel, die um das langhaarige Haupt flatterten und sich oft auf der Schulter ihres Hauptmanns niederließen, etwas damit zu tun?

„Hier nimm. Mit den frischen Kräutern kannst du das Essen verfeinern und die verhindern Magenverstimmungen“, überreichte Silor mit sanfter Stimme ein Bündel Grünzeug an Trutzmeier.


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„Silor, wann gehen wir wieder auf Beutezug? Haste neue Nachrichten von Raudan erhalten?“

„Nur Geduld, Odrik. Bald schon wird es wieder so weit sein. Wir warten auf eine gute Gelegenheit. Es soll sich auch lohnen!“, erwiderte Silor zwischen zwei Löffeln der köstlich duftenden Suppe. „Was würden wir ohne Borfred und seinen Kochkünsten machen?“

Um ein Lagerfeuer saßen um die 20 Männer und Frauen. Die meisten Gesichter waren gezeichnet von den Unbilden des Lebens, aber diesen Abend, diese Gemeinschaft schienen alle zu genießen und alle sahen mit Respekt auf den schwarzhaarigen, bleichen Mann, der eindeutig der Mittelpunkt der Bande war. Er hatte ihnen ihre Würde widergegeben, er brachte Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben.

„Wir sollten einen Zug, der auch Bierfässer geladen hat, ins Auge fassen, Hauptmann. Bald ist auch der letzte Rest des leckeren Uslenrieder Rotbiers in euren gierigen Mäulern verschwunden!“, rief Ismene schon leicht angetrunken aus.

„Was mir Sorgen macht, ist der leergejagte Wald ringsum. Vielleicht sollten wir das Lager an einem anderen Platz neu errichten“, gab Kunihild Sarntaler zu bedenken.

„Beides gilt es zu Bedenken. Für das Bier sollte sich uns vielleicht eine Brauerin anschließen. Dann hättet ihr immer etwas Gutes für unsere durstigen Kehlen zu trinken. Unser Tal ist auf der anderen Seite ein sehr guter Platz. Bedenkt die Höhle bei der Bachquelle. Dort können wir nicht nur unsere Vorräte im Kühlen lagern, sondern uns bei Gefahr auch in die tiefer gelegenen Tunnel zurückziehen.“

„Bist du schon weiter in das Höhlenlabyrinth vorgedrungen, Hauptmann? Wer weiß was sich dort an lichtscheuen Geschöpfen verstecken mag.“

„Das lass mal meine Sorge sein, Ismene. Ich sorge schon dafür, dass ihr nicht in Gefahr geratet“, versuchte Silor von den Nebeln die Bedenken der jungen Frau mit zuversichtlicher Stimme zu zerstreuen.

„So und nun ist es Zeit für die Ablösung von Ulfried. Er hat sich eine Suppe und sein Schlaflager redlich verdient.“

Kunihild machte sich auf den Weg den Berghang hinauf zur Wachtanne und war bald von der Dunkelheit verschluckt. Eine Zeit lang hörte sie noch die Unterhaltungen und ein leiser werdendes, melancholisches Lied von Odrik und dann war Stille um sie.