Geschichten:Sertiser Wein

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Dramatis personae:

Hilbert von Hartsteen - Pfalzgraf zu Kaiserlich Sertis
Reo Rondriol vom Wirsel - Kastellan von Pfalz Breitenhain


Pfalz Breitenhain im Traviamond 1033 BF


»Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.« Verdrießlich nippte der Sertiser Pfalzgraf an seinem saurem Wein und murmelte vor sich hin.

»Verzeiht, Edelhochgeboren?« drehte sich Reo Rondriol vom Wirsel noch einmal um. Eben hatte er dem Pfalzgraf einen detaillierten Bericht über die aktuellen Ereignisse der Kaisergüter um Pfalz Breitenhain vorgetragen, dem Hilbert von Hartsteen mit seiner düsteren Miene offensichtlich kaum zugehört hatte.

»Wie? Was? … Ach, Wirsel, Ihr seid ja noch nicht weg!« Des Pfalzgrafen Augenbrauen zogen sich düster zusammen.

»Verzeiht meine Aufdringlichkeit, Edelhochgeboren, aber vielleicht liegt es in meinen Möglichkeiten Euch zu helfen, wenn Ihr mich nur in Eure Gedanken einweihen wolltet.«

Längst hatte der junge Kaisermärker den anfänglichen Respekt vor seinem Herren verloren, den er noch auf Grund des uralten Namens und seiner Stellung als Pfalzgraf verspürt hatte. Sollte es eines Paradebildes eines offenkundigen politischen Versagers bedürfen, so war sich Reo Rondriol sicher, man würde dem hochmütigen und vor Selbstüberschätzung triefenden Hartsteener vor allen Garetiern den Vorzug geben.

Hilbert stellte seinen Weinkelch vor sich auf den Tisch, schaute zu seinem Kastellan auf und fixierte ihn scharf.

»Seid drei Götternamen warte ich nun darauf, dass der Bund der Pfortenritter zusammenkommt und sich mit den frechen Anmaßungen der Mühlingenbande in gebührender Form beschäftigt. Erst heißt es, dass man nach dem Reichkongress im Windhag sich im Rondramond auf Luringen versammeln möchte, doch dann schiebt sich das Ganze wieder und wieder auf. Erst heißt es, der Graf des Reichsforstes sei gesundheitlich angeschlagen und nicht in der Lage ein Treffen zu leiten. Dann gibt es wieder irgendwelche Probleme bei Nimmgalf und wann immer es geht, scheint Erlan das Ganze aus nichtigen Gründen verschieben zu wollen. Jedenfalls scheint er nicht traurig darüber zu sein, dass man sich noch nicht zusammengesetzt hat und die Fehde in gebührender Form formuliert hat. Derweilen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwelche Herumtreiber schmierige Pamphlete im ganzen Königreich verteilen, auf denen die Blutsäufer von Mühlingen ihre Lügen und Schmähwörter verbreiten. Und dabei bin ich es doch in erster Linie, dessen Leben in Gefahr steht. Allenortens höre ich den rasselnden Atem meiner Attentäter, in jedem Schatten sehe ich sie lauern und hinter jeder Ecke erwarte ich meinen Tod. Langsam scheint es mir bald so, als ob es für meine Nerven nicht das Beste sei, wenn diesen Bluthunden aus Eslamsgrund endlich ihr feiger Anschlag gelinge und sie das Ganze zu einem Ende brächten.«

Einen Augenblick überlegte der Pfalzgraf, ob er seinen zur Neige geleerten Kelch wieder füllen sollte, doch noch bevor er etwas unternehmen konnte, hatte sein Kastellan bereits die Karaffe mit dem giftgrünen Getränk zur Hand genommen und den mit Edelsteinen reich verzierten Kelch wieder gefüllt.

»Edelhochgeboren, wie immer unterschätzt Ihr Eure Courage und überschätzt Intellekt und Fähigkeit Eurer Gegner.« Die Worte verließen Reos Mund wie von selbst, so sehr war er inzwischen gewohnt seinem Herren zu schmeicheln. »Seht es doch so, gerade Euch als treuem Diener Ihrer Kaiserlichen Majestät, einem der Garanten des Kaisertums im Königreich, auf dem die Gunst der Kaiserin liegt und die über Euch ihre schützende Hand hält, wer würde es wagen, Euch anzugreifen? Hat nicht selbst der Baron aus Höllenwall aus Angst vor der Reaktion der Kaiserin davor zurückgeschreckt, aus einer offenkundig falschen Anschuldigung heraus Euch den Todesstoß zu geben? Wenn nämlich dem Helburger seine Sache ernst gewesen wäre, dann hätte er ebenfalls Eure Base aus Dergelstein gefordert und ihr die Fehde erklärt. So aber war das Ganze ein durchschaubarer, wenngleich verachtenswerter Winkelzug eines Adligen niederer Gesinnung, um seine eigen Stellung innerhalb des Pulethaner-Bundes zu stärken.«

Deutlich war zu merken, wie die Stimmung des Sertisers sich besserte. Wieder führte der Pfalzgraf seinen Kelch an die Lippen und antwortete: »Ja, ja, Wirsel. Wie immer habt Ihr recht. Ihr werdet es noch einmal zu etwas bringen. Nichtsdestotrotz fühle ich mich unwohl, wenn ich daran denke, im Frühjahr in den Raschtullswall zu reisen. Als Verwandter des Hauses Sturmfels bleibt mir ja keine andere Wahl, als dem neuen Herren des Sturmfelses meine Aufwartung zu machen, und ich erinnere mich noch gut an das frohe Fest vor sechs Götterläufen beim letzten Wettkampf gegen den Berg. Ach, ich wünschte mir diese Zeiten zurück!«

Nachdenklich schaute Hilbert in seinen Weinkelch. Er fühlte einen schalen Geschmack auf der Zunge, der verbunden mit seinem saueren Aroma typisch für den Wein aus den Kaiserlichen Weinstöcken Hornbeils war. Doch bevor er sich entschließen konnte, den Kelch zur Seite zu stellen, hatte der Kastellan ihn wieder gefüllt und redete auf Hilbert ein.

»Dieses Treffen allerdings ist ein vortreffliches Ereignis, um allen zu zeigen, dass ein Spross der edelsten Häuser des Reiches keine Scheu vor einem Abkömmlingen der Kellerasseln eines Reichskerkers zu haben braucht.« Reo Rondriol lächelte seinen Herren aufmunternd an.

»Wohl gesprochen, Wirsel! Besser hätte man es kaum sagen können!«, klatschte der Pfalzgraf in die Hände. Der Anflug seiner melancholischen Stimmung war einer unerwarteten Klarheit gewichen. »Wo Ihr gerade da seid, erklärt mir bitte noch einmal den Plan für die neue Glashütte am Eynweiher. Mich dünkt, Ihr habt das Thema ausgespart, wohl aus Versehen. Zum Glück lenkte Tumanjan bei meiner morgendlichen Massage meine Gedanken auf dieses Thema, das ihm schon immer selbst ein großes Anliegen gewesen ist und das wohl guten Gewinn für die klammen Kassen der Pfalz abwerfen könnte. Begleitet mich doch auf einen Spaziergang durch den Rosengarten, solange die Blüten noch nicht alle verblüht sind.«

»Jawohl, Edelhochgeboren«, antwortete Reo Rondriol. Sein Lächeln war einer düsteren Miene gewichen und er ärgerte sich darüber, wieder einmal von seinem Rivalen düpiert worden zu sein. Während er hinter dem Pfalzgrafen den Raum verließ fiel sein Blick auf die leere Karaffe und er wiederholte in seinem inneren wieder und wieder die Worte, die er sich in den letzten Monden so häufig gesagt hatte: Sei geduldig und warte auf Deinen Moment.