Geschichten:Schmuggel in Greifenfurt - Keilholtzer Sorgen

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Dramatis Personae:

Keilholtzer Sorgen

Burg Keilholtz, Ende Praios 1034 BF

Schon über eine Stunde saß Bogumil in seinem Turmzimmer und starrte durch das kleine Fenster auf die grünen Bergwiesen der umliegenden Hänge. Hier und dort wanderten Schafe als kleine weiße Punkte durch sein Sichtfeld. Wenn er genau hinsah, konnte er hinter einem Grat den weißlichen Rauch eines Lagerfeuers entdecken. Er wusste wer sich dort im Nachbartal verborgen hielt und hatte seinen Jägern ausdrücklich verboten dort zu jagen. Aber er würde Tilldan schreiben müssen, dass sich seine Leute besser verbargen, denn blind waren seine Bauern trotzdem nicht. Wenn die ersten unbequemen Fragen auftauchten würde es vielleicht notwendig sein ein paar Zungen und Köpfe abzuschneiden um das Geheimnis zu hüten, doch so viele Hirten hatte er nicht, dass er sie beliebig ersetzen könnte.

Doch ein anderes Problem beschäftigte den alten Patriarchen noch mehr als die geheimen Planungen seines Lehnsherren. Vor ihm lag aufgeschlagen das Familienstammbuch, daneben ein Schreiben aus Greifenfurt sowie Feder und Tinte, mit denen er gerade einen weiteren Namen aus dem Stammbaum gestrichen hatte. Es kam ihm so vor, als wäre der kleine Boronanger vor den Toren der Burg in den letzten Monden doppelt so groß geworden und heute nun würde ein frisches Grab dazukommen.

Im letzten Herbst war zuerst Ondwina gestorben. Nach fast sechzehn Götterläufen hatte sie es endlich geschafft sich vor Gram um den Tod ihres Mannes zu Tode zu hungern. Im Winter dann waren kurz nacheinander Losiane und Elwene auf Grund einer Schwindsucht zu Boron gegangen. Bis zuletzt hatten die beiden Vetteln darum gestritten wer sich länger ans Leben klammern könnte. Die zwei Jahre ältere Elwene hatte diesen Wettstreit schließlich gewonnen, nur um ihrer Cousine kurz vor dem siebzigsten Geburtstag doch nachzufolgen. Am Tragischsten war der Tod von Berna und Quendan im Frühjahr gewesen. Die morschen Balken eines Erkers hatten dem wilden Liebesspiel der jungen Leute nicht standgehalten. Wohl fünfzig Schritt tief waren die beiden innig vereint in den Tod gestürzt.

Auf dem Burghof stand nun der Wagen mit den sterblichen Überresten seines Großneffen Quanion. Nur einen kurzen Blick hatte Bogumil darauf geworfen, bis der Gestank des bereits wochenalten Leichnams ihn fortgetrieben hatte. Edala war gar auf der Stelle tonlos zusammengebrochen und musste vom Gesinde in ihr Zimmer getragen werden. Wer mochte es ihr verdenken, war das junge Ding doch gerade mit kaum zwanzig Lenzen zur Witwe geworden.

Doch noch mehr als das Mitleid, trieb den Patriarchen die Sorge um sein Erbe an. Nach dem Tode Bernas und Quendans waren Edala und Quanion die letzten der jüngsten Generation gewesen. Seine letzte Hoffnung auf einen adäquaten Erben mit reinem Blut. Seine eigenen Kinder hatte er schon lange zu Grabe getragen. In seiner Not hatte er gar den Emporkömmling Herdan Lucius aus dem jüngeren Haus adoptiert. Der mochte zwar ein gerissener Fuchs sein, doch letztlich war sein Blut genauso verwässert wie das aller anderen. Ganz zu schweigen davon, dass vom ihm wohl keine vorzeigbaren Erben zu erwarten sein würden. Mehr als ein paar Bankerte mit Mägden und Bauersfrauen hatte er nicht vorzuweisen und ein göttergefälliger Bund war bei seinen speziellen Vorlieben nicht in Aussicht. Bogumils restliche Nichten waren indes allesamt über das Alter hinaus in dem Tsa einer Frau Fruchtbarkeit schenkte. Ganz zu schweigen davon, dass sich seine Neffen lieber auf der Jagd vergnügten als mit ihren Frauen.

In seinen Gedanken formten sich furchterregende Vorstellungen. Die Linie würde in der nächsten Generation erlöschen. Das ältere Haus stand vor dem Austerben oder noch schlimmer, würde durch seinen missratenen Bruder und seine Erben in Kressenburg weitergeführt. Oder diese intrigante Heiltrud käme mit ihrer Tochter zurück um das Stammland zu übernehmen. Bei dieser grauenvollsten Vorstellung, eine Frau an der Spitze seiner Familie, wollte er gedanklich erst gar nicht verweilen. Er musste etwas tun.

Wütend sah er noch einmal nach dem Namen auf dem Schreiben. Der Vogt von Tannwirk? Alrik? Wie passend für einen Bauern! Das würde er büßen! Niemand legte sich ungestraft mit einer der ältesten Familien der Mark an. Sicherlich, es lag viel Wald zwischen hier und Tannwirk. Aber Tilldan würde schon eine Lösung zu finden wissen. Waldstein war nicht vielmehr als ein Stück der Wildermark, da konnte viel passieren.

Doch die Rache konnte warten. Nichts war vergeben und vergessen, aber es musste hinten an stehen. Zuvor galt es eine Lösung für das plötzlich akut gewordene Problem der Erbfolge zu finden. Über zwanzig Götterläufe war es inzwischen her, dass auf der Burg das Geschrei eines Neugeborenen vernommen worden war. Dieses Kind war seine Großnichte Edala gewesen und nun sah es so aus, als würde die junge Witwe die letzte aus dem ehrenvollen älteren Haus Keilholtz bleiben. Mit einem verzweifelten Blick auf den ausgedünnten Stammbaum kam Bogumil plötzlich eine Idee. Wieder und wieder strich er über die durchgestrichenen Namen von Ahnen, Kindern, Nichten und Neffen. Ja, hier gab es noch eine letzte Möglichkeit! Eilig machte er sich daran, einen Brief an seinen Lehnsherren zu schreiben.


An seine Exzellenz Tilldan von Nebelstein

Bitte entsendet mir so schnell als möglich einen Geweihten. Es gilt einen Toten würdig zu begraben und einen Ehebund zu schließen. So Ihr es ermöglichen könnt, seid ihr zu Totenschmaus und Fest natürlich eingeladen.

Desweiteren bitte ich Euch etwas gegen diesen Vogt von Tannwirk zu unternehmen, der meinen Großneffen so dreist aus dem Leben gerissen hat. Solltet Ihr dafür noch Leute brauchen, sende ich Euch meine beiden Neffen zur Unterstützung.

Bogumil von Keilholtz ä.H.

P.S.: Achtet darauf, dass Eure 'Büttel' in Zukunft sorgsamer sind. Die Bauern werden unruhig.


„Hammelbein!“

Der alte Leibdiener des Patriarchen, der wie immer vor der Tür gewartet hatte, trat schnell herein. Er wusste, dass sein Herr keine Verzögerungen liebte.

„Dieses Schreiben hier lässt du an den Baron schicken. Und dann schicke Edala zu mir so sie wieder bei sich ist. Sie sollte in dieser Stunde der Trauer nicht allein und ungetröstet sein.“

„Sehr wohl, Euer Wohlgeboren.“

Nachdem der Diener verschwunden war beugte sich Bogumil wieder über das verwitterte Pergament des Stammbuches. Er nahm Tinte und Feder zur Hand und fügte sorgsam ein paar weitere Striche hinzu. Gerade als er damit fertig war klopfte es zaghaft an der Tür.

„Ja bitte?“

Blass und mit verweinten Augen trat Edala in das Turmzimmer. Unschlüssig blieb sie unter dem Türrahmen stehen. Bogumil schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, das die Frau tapfer erwiderte, und klappte das Buch zu. Dann erhob er sich, schloss die Tür und führte die junge Witwe zur Bank unter dem Fenster.

„Nun mein Kind, sei nicht verzagt. Ich werde schon alles so einzurichten wissen, dass wir Quanions Andenken gerecht werden. Die Familie ist immer für dich da...“