Geschichten:Schmerzen und Glück - Dämmerung

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Es war nicht weit, bis zur Residenz des Barons von Syrrenholt. Seine Hochgeboren Erlan von Zankenblatt zu Syrrenholt bezog Residenz in der stolzen Feste Herrschaftlich Zankenblatt am Ufer der Syrre, jenes fließenden Gewässers, das der Freiherrschaft am Rande der Goldenen Au seinen Namen gegeben hatte. Es war – ritt man mit einem schnellen Rosse abseits der Wege durch die Au – nur wenige Wegstunden von der Domäne Maarblick bis zur Herrschaftlich Zankenblatt.

Und ein feuriges Ross ritt der Ritter Trautmann von Haderstein. Seine Stute Miltheda war ein schnelles yaquirtaler Streitross, treu und loyal seinem Reiter verbunden, und schnell stob sie im Galopp voran. Trautmann ritt allein, keinen Knecht hatte er mit sich genommen, um schneller voranzukommen. Er ritt auch in leichter Wehr, nur eine Brustplatte, Armschienen, einen leichten Helm sowie sein Schwert Leuterian und einen Dolch. Mehr würde ihn nur auf seinem Botenritt nur behindern.

Trautmann trieb Miltheda vorbei an den lichten Hainen der Domäne. Auf der einen Seite standen die zauberhaft schönen Bäume aus dem Hain der Holden Maid und der junge Ritter dachte kurz an die schönen Märchen, die man sich über diesen Wald um das Syrrer Maar herum, erzählte. Er dachte an das Einhorn Antraeleon und hoffte, jenes mythische Wesen würde die Bewohner Syrrenholts und Ferinsteins beschützen mit seiner Feenkraft.

Auf der anderen Seite erhob sich einige dutzend Schritte entfernt ein zarter Hain, dessen Birken in frischer Blüte standen und mit ihrem Duft die Blaumeisen und Schwarzdrosseln betörten, die singend zwischen den Zweigen hin und her hüpften. Wehmütig dachte Trautmann an die friedliche Einfalt dieser Wesen, die nicht wussten, was sich in der Hauptstadt ereignet hatte und wünschte sich nur für einen kurzen Moment, auch nur an das Jetzt denken zu können. Doch dann besann er sich anders, gedachte seines Schwurs als Ritter des raul'schen Reiches und seines Glaubens an die alveranischen Herrscher.

„Lauf, Miltheda, lauf. Herrschaftlich Zankenblatt ist nicht mehr weit, treue Freundin.“ rief er laut aus und die schöne cremefarbene Stute spannte sich zu einem pfeilschnellem Galopp.


[ Im Gorsinger Haus ]


Aidaloê schritt unruhig durch die Wohnstube. Hin und wieder zurück, bis in eine andere Ecke und von dort wieder zurück in die Gegenüberliegende. Traviadane hatte sich in ihr Schlafgemach zurückgezogen und döste nun in unruhigem Schlummer. Die alte Edle war erschöpft von ihrer Verzweiflung schier zusammengebrochen und während Aidaloê und Ailgrimm die Dienerschaft zu neuen Aufgaben angestachelt hatten, hatte sich Greifmar um seine Tante gekümmert und sie zu Bett gebracht. Die Anspannung im Gorsinger Haus war deutlich zu spüren, so als würde in einem der nächsten Augenblicke ein drohendes Gewitter durch einen grellen Blitz sich lösen. Nicht einmal die Kelche mit gutem almadaner Wein hatten der Edle von Weißhammer – Greifmar von Rothammer-Hardenried – die Erste Schreiberin Aidaloê und der Ritter Ailgrimm angerührt. Ersterer betrat nun auch wieder das Zimmer und zwang somit die Halbelfe innezuhalten in ihrem ziellosen Lauf, um einen abrupten Kontakt mit dem harten Holz der Tür zu vermeiden.

„Wohlgeboren, wie geht es der Dame Traviadane?“

Aidaloê stürzte sich sofort auf das erste Anzeichen von Information, raffte ihre weiten Röcke und trat auf den Edlen von Weißhammer zu. Ailgrimm tat selbiges, nahm aber vorher einen der Kelche und füllte ihn mit dem kühlen Yaquirtaler Wein, um ihn dem Vogt der ferinsteiner Lande zu reichen. Dankbar nahm Greifmar, der ursprünglich nordmärker Adlige, diese Erfrischung an und trank in kurzen Schlücken. Es entging dem Rechtskundigen nicht, wie sehr die Blicke der Halbelfe und des Ritters an ihm hingen. Doch erst, als er wenige Augenblicke später das Glas wieder auf ein Beistelltischchen gestellt hatte, berichtete er von dem tiefen aber auch unruhigen Schlaf der Alt-Junkerin in ihrem Gemach. Greifmar strich sich durch das schwarze Haar, löste mit seiner schlanken Hand erst das gelbe Zopfband, um dann wieder einen Zopf aus seiner Mähne zu binden. Es war ein Anzeichen von Nervosität, dass er seinen an sich ordentlichen Zopf neu band.

„Wir lassen Ihre Wohlgeboren schlafen.“ meinte er, woraufhin die anderen beiden Anwesenden nur nicken konnten.

„Neue Nachrichten sind bisher nicht eingetroffen?“ schob Greifmar gleich eine Frage hintenan.

Aidaloê schüttelte verneinend den Kopf, während Ailgrimm antwortete: „Nein, Greifmar. Bisher ist keine neue Kunde eingetroffen. Weder in Maarblick noch in Rohden hat man bislang Nachrichten erfahren.“

Greifmar griff wieder nach seinem Kelch Wein und leerte den Rest in einem Zug. „Ich werde jetzt mit seiner Hochwürden Halburg aufbrechen.“

Der Edle von Weißhammer hatte den Auftrag bekommen, den Perainehochgeweihten Lorderin Halburg nach Maarblick zu begleiten, um dort den Rat der Bürger und die Geweihtenschaft über die derzeitige Lage aufzuklären. Und außerdem wollte Greifmar selbst erste Vorkehrungen zur Aushebung der Landwehr vornehmen, sollten die dunklen Horden weiter vordringen. Er hoffte, dass diese Vorsichtsmaßnahme die Zustimmung des Barons auf Herrschaftlich Zankenblatt finden würde.

'Und wenn nicht, dann ist es auch gleich ...', dachte Greifmar verbittert und war im selben Moment auch den Göttern dankbar, dass seine Familie fernab diesen Unglückes in den Koschbergen weilte. Greifmar wandte sich zur Tür, an der es just in diesem Augenblicke heftig klopfte. Etwas überrascht öffnete der Edle die Tür und sah sich der jungen Dorleen von Untergras gegenüber. Die Pagin der Gorsingens und Tochter des Junkers von Untergras war nicht nur eine helfende Hand auf dem Gut und sollte unter den Händen der Gorsingens von Ferinstein ihren letzten Schliff erhalten, sie war auch eine gute Freundin der Halbelfe Aidaloê. War sie sonst scheu wie ein junges Reh, so trug sie gerade den gehetzten Blick einer Füchsin, auf die Jagd gemacht wird, zur Schau. Dieser Blick jagte Greifmar, Aidaloê und Ailgrimm eine furchtbare Angst ein.

„Dame Untergras, was ist Euch geschehen?!“ ereiferte sich Greifmar und packte die zierliche Untergraserin an den zarten Schultern. Dorleen schluckte und sprach dann mit matter Stimme, das Gesicht bleich wie ein seidenes Unterhemd.

„Vater Halburg schickt mich. Magus Dracomar erreichte soeben schwerverletzt und erschöpft das Gorsinger Haus.“

Sofort rannten die Herrschaften los, Greifmar führte die verschüchterte Dorleen mit sich, auf dass sie den Verwalter zum Aufenthaltsort des Zauberers Tirus Dracomar von Gorsingen lotsen konnte. Weit war der Weg bis zum Stall nicht und sofort hörten die ankommenden Herrschaften das schwache, keuchende Schnauben eines schwer atmenden Pferdes. Und als sie den Stall betraten, da sahen sie auch schon Vater Lorderin sich über einen jungen Mann in zerfetzter Robe beugen, der ihm Stroh lag und sich nicht rührte. Neben Lorderin stand ein Pferdeknecht und hielt dem Priester Verbandszeug und Kräuter entgegen. Lorderin bemerkte das Eintreten der Ankommenden und wandte ihnen den Blick zu.

„Verzagt nicht. Dem wohlgeborenen Magister geht es unter meiner Pflege gut – besser zumindest als vor wenigen Stunden noch auf seiner Reise.“ erklärte der gerbgesichtige Geistliche den verschreckten Herrschaften. Greifmar trat heran, nachdem er die junge Dorleen losgelassen hatte, und blickte auf den Zauberer herab. Tirus, das jüngste Kind der Traviadane von Rothammer-Gorsingen, lag besudelt mit mittlerweile getrocknetem Blut, im Stroh. Das Gesicht blass und schier blutleer, das sonst wohlgepflegte Haar, strähnig, aufgelöst und zerzaust. Doch seine Lider flatterten und als der Magus von der contramagischen Schule zu Gareth die ihm bekannten Stimmen vernahm, öffnete er die Augen.

„Tirus ...“ Greifmar beugte sich herunter und nahm die schwache Hand seines Vetters. „... Tirus, was ist dir geschehen? Sag es mir! Du warst doch in Punin?!“ Er drückte die Hand des Zauberers und sah ihn mitleidsvoll an. Tirus atmete flach, doch er war nur erschöpft, nicht ohne Bewusstsein. Sein Kopf war voller albtraumhafter Erlebnisse, Bruchstücken von Erinnerungen an Kämpfe mit Zauberei und gesegnetem Schwert. Er wollte sich nicht daran erinnern, doch er musste. Er musste es berichten und er berichtete. Er berichtete unterbrochen von tiefen Luftzügen und von Augenblicken des panikerfüllten Schweigens von den Geschehnissen, die er erlebt hatte. Ja, er war in Punin gewesen – als die Nachricht vom Angriff auf Wehrheim die Zauberer ereilte. Saldor Foslarin, der zwergische Convocatus Primus der Weißen Gilde, war mit vielen Zauberern seiner Gilder aufgebrochen, um gegen die dunklen Mächte zu kämpfen. Doch in Gareth ereilte sie der Tod in Gestalt einer gewaltigen Fliegenden Feste. An diesem Punkt stockte allen der Atem, das konnten sie kaum glauben. Tirus hatte seine Brüder ausgemacht, die drei Söhne einer Mutter fochte mit leuinnenhaftem Mut, gesegneten Schwertern und der Zauberei ihres jüngsten Bruders gegen die Schwergen des Bösen. Sie suchten Priester der Travia zu schützen und es gelang ihnen auch.

Tirus stockte in seinem Bericht. Sofort reichte der Priester ihm einen Wasserschlauch und gierig trank der junge Zauberer, der doch schon soviel miterlebt hatte. Er zögerte, zu stark waren die Erinnerungen an das folgende.

„Wir kämpften gegen voranschreitende Dämonen, Hesthotim und Zantim. Sie waren zuviele und mein magischer Schild brach zusammen. Carolan wehrte einen Hieb nach dem anderen ab, ließ die Unkreaturen nicht einen Schritt näher an die Priester der Travia und die Bürger der Stadt, die Zuflucht bei den Priestern gesucht hatten. Plötzlich schrie Carolan: 'Flieh! Wir halten sie auf. Flieh mit den Priestern. Los!' Er duldete keinen Widerspruch und so nahm ich all meine Kraft zusammen und brachte die Menschen in Sicherheit.“

Tirus hustete, keuchte schwer. Aidaloê spürte den Stich einer bisher nie gekannten Angst in ihrem Herzen. Sie spürte die Angst des Zauberers deutlich in ihrem Geiste. Doch sie spürte auch eine Leidenschaft, eine Zähigkeit und einen Lebenswillen. Tirus hatte das Grauen überlebt, nichts mehr würde ihn schrecken können...

„Ich floh mit den Priestern, den Männern und Frauen, den Kindern und Greisen aus der Stadt auf das Land. Wir ließen Gareth hinter uns. Nur wenig Habe hatten sie mitgenommen und so suchten wir Sicherheit in den Dörfern. Die Priester Isida und Jolmir übernahmen die Verantwirtung. Sie würden die verletzten und verängstigten Menschen in Sicherheit bringen.“

Wieder keuchte Tirus und lehnte sichm im Stroh zurück. Die sechs Menschen um ihn herum hingen gebannt und schreckerfüllt an seinen Lippen. Lorderin strich dem Zauberer mit einem nassen Tuch den Schweiß von der Stirn, gab ihm noch einen Schluck zu trinken.

„Ich sagte: 'Geht nach Syrrenholt. Geht nach Maarblick. Immer gen Efferd. Dort wartet Hoffnung.' und nahm mir dann ein Pferd, das herumstreunte, um voranzureiten.“

Und hier war er nun, geschwächt, aber lebendig, obwohl in seinem Geist die schrecklichsten Bilder tobten. Tirus hatte überlebt, als letzter und einziger von Traviadanes Söhnen. Und von Lysilla am Arvepass hatte er keine Kunde. „Und Carolan, Lucardus?“ flüsterte Greifmar mit einem letzten Anflug von Hoffnung. Doch Tirus senkte nur den Blick und schwieg. Wer würde es Traviadane sagen?