Geschichten:Schimpf und Schande - Teil 3

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3. Am Besten schön kalt

Königlich Garetische Staatscantzeley zu Gareth, Anfang Firun 1033 BF

Das kleine Kabinett im Erker der Staatscantzley wurde durch zahlreiche Kerzen erleuchtet – und durch ein prasselndes Feuer im Kamin. Davor kauerte, begraben unter dicken Decken, Garetiens Staatsrat Horbald von Schroeckh, die Wollmütze über die Glatze gezogen, und zitterte. »Es ist entsetzlich kalt. So kalt. Wenn nur dieses Fieber nicht wäre!« Schroeckh sprach zu seinem Schreiber, der ihm die wöchentliche Post vorlegte. Gsevino vom Prutzenbogen war ebenfalls warm angezogen, denn in der ganzen Staatscantzley gab es kein Feuerholz mehr. Schroeckh hatte es verhökert, nachdem er im Hotel Garetien sein Salär, seine Monatseinkünfte, die Handkasse und die Haushaltskasse verspielt hatte. Niemand wusste davon, hatte Schroeckh gedacht, doch nun hatte Er sich wieder angekündigt.

»Immer rein damit, Gsevino. Das gibt ein lustiges Feuer! Hol noch ein paar Stühle aus der Gesindeküche«, befahl Schroeckh, dem ein kalter Tropfen an der Nasenspitze hing. Der wuselige Secretarius hatte den Raum verlassen, den Schal um den Hals geschlungen.

Eine weitre Pergamentrolle flog in den Kamin, ging Feuer und verbrannte mit hellem Schein. Schroeckh griff nach der Wochenpost, die der eifrige Schreiber auf seinem Platz hatte liegen lassen, und warf nun ein Schreiben nach dem anderen ins Feuer: »Elenvina? Weg damit!«, murmelte er nach kurzem Blick auf den Absender. »Wasserburg – weiß nicht mal, wo das liegen soll. Sturmfels? Auch Giganten können brennen. Natzungen – egal. Waldstein – kann auch w…«

»Den solltet Ihr nicht verbrennen, Schroeckh«, erklang es plötzlich direkt neben ihm. Schroeckh fuhr herum. Er hatte ihn nicht kommen hören. Aber hier war er, lächelte maliziös, als er die feinen Handschuhe auszog und Schroeckh den Brief aus der Hand nahm. Der Staatsrat trug diese wollenen Handschuhe, bei denen die Fingerkuppen herausguckten, »Auf diesen Brief, Schroeckh, warten wir schon eine Weile.«

»Ach ja?« Der Staatsrat wirkte indigniert und warf einen Band der Encylopaedia Aventurica ins Feuer. Sein Besucher hob tadelnd die Augenbraue.

»Ihr solltet keine Bücher verbrennen, Schroeckh. Sie lassen sich nicht so leicht ersetzen wie Menschen. Zum Brief: Er ist aus Waldstein, der Grafschaftsrat erhebt formell Klage gegen Nimmgalf von Hirschfurten. Wegen Verletzung der Lehenspflichten in Leihenbutt. Gefällt Euch das?«

Schroeckh hatte sich aufgerichtet. Auf einmal erhellte sich sein Gesicht, als er erkannte, was er eben gehört hatte. »Aber ja! Da werden wir gleiches mit gleichem vergelten, nicht wahr? Er klagte mich an, ich jetzt ihn!«

»Nicht doch, Schroeckh. Das würde viel zu lang dauern. Und außerdem wäre es ganz und gar ungewiss, ob irgendein Gericht diese Klage überhaupt in Eurem Sinne entscheiden würde. Seht: Mit gleichem Recht könnte man dann ja auch den Markgrafen Throndwig von Warunk anklagen. Der hat sich ja auch nicht so recht um sein verlorenes Lehen gekümmert. Oder – und das wiegt schwerer – man könnte die Kaiserin anklagen.«

»Die Kaiserin«, hauchte Schroeckh ungläubig.

»Ja, gewiss: Sie kümmert sich ja auch nicht überall um ihre Untertanen. Auf dem vorletzten Reichskongress in Weidleth, als man diesen Trottel von einem Helden zum Reichskronanwalt gemacht hat, wurde schon einmal laut Klage gegen die Kaiserin erhoben, von einem Darpatier. Schlaues Kerlchen. Aber nicht das ist interessant, sondern dass viel zu viele der Anwesenden mit ihm einer Meinung waren. Selbst Garetier – Höllenwall beispielsweise. Langer Rede kurzer Sinn: Man wird Nimmgalf nicht verurteilen, weil diese unbedeutende Ritterin von Grabenau sich beschwert oder der so genannte Grafschaftsrat sich dem anschließt.«

»Wer ist die Ritterin von Grabenau?«, fragte Schroeckh dazwischen, der den Faden verloren zu haben schien.

»Ein Detail, Schroeckh, ein Detail, Das muss ich wissen, Ihr aber nicht.«

»Ja, aber wenn es keinen Prozess geben soll, was dann?«

»Nägel mit Köpfen!«

»Nägel mit Köpfen?«

»Nägel mit Köpfen. Mit Köpfchen habt Ihr es zwar nicht so, Schroeckh, aber es wird klappen: Ihr als Staatsrat werdet Nimmgalf entlehnen, namens und im Auftrag der Krone. Und zwar aus genau diesen Gründen, die der Streitzig da geschrieben hat. Die Krone handelt zwar normalerweise nicht so vorschnell, zumal wenn eigentlich nicht genügend Substanz da ist, um den Leihenbutter wirklich zu beschuldigen. Aber die Krone wird auch nicht das Gesicht verlieren wollen, wenn die Entscheidung erst einmal gefallen ist. Also: Ihr entlehnt ihn. Ganz einfach!«

Schroeckh war der Mund offen stehen geblieben. Er leckte mit der Zungenspitze kurz über seine Lippen. »Ganz einfach so?« »Ja. Und damit habt Ihr Euch am lautesten Pförtner von allen gerächt. Das gefällt Euch.« Der Gast erhob sich nun. Mit seinem feinen Stiefel schob er die Bücher vom Feuer weg, die aus offensichtlichen Gründen dort lagen. »Ihr werdet jetzt kein weitres Buch und keinen Brief mehr verbrennen. Ist das klar? Hier sind ein paar Goldstücke, schickt den Schreiber Holz holen.«

Der Gast schritt zur hinteren Wand des Kabinetts, wo eine Geheimtür im Paneel offenstand, von der Schroeckh nicht einmal etwas geahnt hatte. Doch ehe der Gast verschwand, wendete er sich noch einmal um: »Da Ihr nun Eure Rache für Nimmgalf habt, bedenkt, wie gut es sich fügt, dass ihr friert! ›Denn Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird‹, heißt es. Auf bald!« Als Gsevino vom Prutzenbogen von seinem Gang in den Gesindetrakt zurückkam, den Arm voller Stuhlbeine, sah er den Staatsrat murmelnd vor der Wand des Kabinetts knien und mit den Knöcheln auf das Holz klopfen – und schüttelte ungläubig den Kopf.