Geschichten:Schattenzug – Zehrende Gier

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Markt Branningsgrund, Baronie Retogau, Anfang Rahja 1040 BF:

Ja, ich gebe es unumwunden zu, meine von der holden Rahja gesandten Fantastereien sollten meinen Geist auch noch am nächsten Tage benebeln, so sehr sehnte ich mich nach den Liebkosungen dieses einen, meinen Helden. Schämen tue ich mich dafür nicht, warum auch? Wie sollte ich die Zeit, eingepfercht in einen engen, dunklen Wagen, auch sonst tot schlagen? Den wissenden Blicken des Magiers konnte ich eh nicht entgehen. Auch bin ich mir sicher, dass er mich längst durchschaut hat, zeigten meine schmachtenden Blicke doch deutlich meine Zuneigung zu dem jungen Händler. Um so schmerzlicher war für mich, dass das Objekt meiner Rahja gefälligen Begierde sich keinen Deut für mich zu interessieren schien. So war es auch, als wir unsere nächste Station erreichten, den Marktflecken Branningsgrund, unweit der kaiserlichen Pfalz Goldenstein. Das Handelshaus Munter besaß hier einige Scheunen und Lagerhäuser – da wir uns als gewöhnlicher Handelszug ausgaben, eine passende Tarnung. Ächzend, wie der Schlund eines Unholdes, öffneten sich die weiten Tore und ein Fuhrwerk unseres Schattenzuges nach dem nächsten verschwand im dunklen Bauch dieser hölzernen Ungetüme.

Verstohlen schaute ich zu ihm herüber, aber wie gewohnt beachtete er mich nicht weiter. Wie so oft war er im Gespräch mit dem Feenwasser und dem Ehrensteiner. Die Kundschafter waren ebenfalls zurückgekehrt und brachten die neusten Informationen. Nun hieß es für mich klaren Kopf bewahren, denn ich hatte von meinem Herren einen Auftrag erhalten, wenn wir denn dieses verschlafen Nest erreichen würden.


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Es dämmerte bereits und ein leichter Wind pfiff um die Ecken als ich mich in einer der Scheunen am anderen Ende dieses grässlichen Weilers wiederfand. Ich hatte den Auftrag, mich mit meiner Schwester zu treffen. Diese war Kastellanin auf dem nahen Goldenstein. Die kaiserliche Festung hatte vor wenigen Tagen den eigentlichen Spendenzug beherbergt und somit hatte sie dort auch meinen Herrn getroffen. Iralda sollte mir seine neusten Instruktionen übermitteln.

In der Scheune roch es nach trockenen Stroh und Mist. Augenscheinlich hatte sie vor kurzem noch irgendwelches Viehzeugs beherbergt. In einer Ecke türmte sich das Stroh mannshoch auf, in der anderen standen diverse Kisten und Kasten, sowie Gerätschaften die Bauern wohl für ihre Feldarbeit benötigten. Der aufbrausende Wind zerrte an den hölzernen Wänden und ließ eine unverschlossene Klappe ächzend auf und zu schlagen.

Zum verabredeten Zeitpunkt erschien dann auch Iralda. Das Wiedersehen mit meiner Schwester verlief kurz und sachlich. Sie berichtete mir von der feierlichen Ankunft des Spendenzuges in Goldenstein und gab mir einen gesiegelten Brief von meinem Herrn. Dann war sie auch schon wieder weg. Wir stehen uns nicht besonders nahe, doch haben wir auch keine große Abneigung gegeneinander. Wir nehmen die familiären Bande zur Kenntnis und lassen einander das Leben leben. Eine sachliche Geschwisterbeziehung, wie unser Vater immer sagt, ohne viel Tamtam und Gefühlsduselei, dabei aber stets auch das Wohl der Familie im Blick.

So hielten wir die Zusammenkunft so kurz wie möglich. Selbstverständlich gratulierte ich meiner Schwester artig, denn sie war nun schon sichtbar von Tsa gesegnet. Einen Kommentar zur möglichen Vaterschaft konnte ich mir natürlich nicht verkneifen, doch prallte dieser an ihr ab wie Madas Wirken an Koschbasalt. Nach der Verabschiedung verstaute ich den Brief meines Herren in der Innentasche, schaute mich hektisch um und bewegte mich in Richtung Scheunentor. Von draußen hörte ich das Brausen und Pfeifen des an Stärke zunehmenden Windes. Die unverschlossene Klappe oberhalb des Scheunentors war völlig außer Rand und Band – als befände sie sich in einem Todeskampf. Kaum im Freien, drückte eine Windböe ihre unsichtbare Faust in mein Gesicht. Ich begann zu taumeln, fing mich aber augenblicklich wieder. Der Sommerwind war angenehm warm, doch etwas zu stark für meinen Geschmack.

Ein Knacken im Gebüsch ließ mich zusammenzucken. War mir doch jemand gefolgt? Dann erinnerte ich mich an den gestrigen Tag. War da nicht auch Wind im Spiel? Entschlossen blickte ich zu dem wild verästelten Gebüsch. Die Zweige bogen sich im Wind, die Blätter raschelten als sängen sie ein schwermütiges Lied. Ich war mir sicher: Bestimmt war es wieder dieser Magier.

Nun, ich hätte mich wohl nicht mehr täuschen können. Mal wieder! Ich wage es kaum in Worte zu fassen, aber zu meinem Bedauern war es nicht der Magier, sondern zwei Strauchdiebinnen, die unvermittelt hinter dem Geäst hervorgesprungen kamen. Beide richteten ihre Dolche auf mich. Aus nahezu zahnlosen Mund forderte mich die eine auf, ihr meine Wertgegenstände auszuhändigen. Der fauliger Geruch ihres Atems kroch in meine Nase und ließ mich angewidert meine Gesichtszüge verziehen. Ihr vernarbtes Gesicht verzog sich zu einer grimmigen Fratze, die ich sonst nur aus meinen Albträumen kannte. Die Andere, nicht weniger unansehnlich, starrte mich mit einem Blick an, den man wohl sonst nur in Brabaker Hafenbordellen sah – und ich war das Frischfleisch. Ich konnte mich kaum rühren. Mein Körper war so angespannt wie eine Schlange, die sich nach Häutung sehnte. Ich trug zwar auch einen Dolch bei mir, aber was konnte der gegen diese finsteren Gesellinnen schon ausrichten?

Also versuchte ich es mit gutem Zureden. Ich kramte ein paar Münzen hervor und bat darum mich zu verschonen. Nun, die zwei Halunkinnen wirkten wenig beeindruckt von meiner diplomatischen Großoffensive. Sie kamen mir beängstigend nahe, als … ja, wie soll ich das in Worte fassen. Alles ging so schnell. Auf einmal sausten zwei Wurfmesser heran und trafen die beiden Weibsbilder, die eine in den Rücken, die andere in den dreckigen Hals. Mir stockte der Atem und als ich ihn sah, fiel aller Ballast von mir ab und ich empfand große Dankbarkeit. Mehr als das, ich ging in Flammen auf und erfuhr was es bedeutete, die Welt um mich herum zu vergessen.

Da stand er nun vor mir, mit seinem schelmisch-kecken Blick. Seine eisblauen Augen schienen mich nahezu zu durchbohren. Seine strohblonden Haare tanzten wild im Wind. Ich brachte kein Wort heraus.

'Junger Agur', sprach er in die stürmischen Böen, 'ich wusste doch, dass ich nach dir sehen muss'. Seine Worte prasselten wie Hagel auf meine Haut. Einerseits schmerzhaft, andererseits so wohltuend befreiend. In einem Moment des Überschwanges fiel ich ihm dankbar in die Arme. Welche ein Gefühl seinen Körper zu spüren. Ich war wie benommen. War ich ihm also nicht egal? Erwiderte er gar meine Gefühle? Ich sollte darauf keine Antwort bekommen. Statt dessen versteckten wir die Leiber der Frauen im Unterholz und kämpften uns gegen den Wind zurück zu unserem Lager.


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In unserem Versteck angekommen, übergab ich die Geheimbotschaft dem Ehrensteiner. Der zog sich mit dem Helburger und dem Feenwasser zurück. Ihre Aufgabe war es nun, das Geschriebene zu dekodieren. Ich kannte meinen Herrn, seine Briefe lasen sich wie eine Aneinanderreihung von Nichtigkeiten, doch wer wusste wie er seine Botschaften zu lesen hatte, wusste was er mitteilen wollte.

Nach einem Stundenglas traten sie vor die versammelte Mannschaft und berichteten von den Plänen meines Herrn. Der Zug sollte getrennt werden. Der Feenwasser sollte mit seinen Mannen zwei der mit kostbarer Fracht beladenen Wagen an einen anderen Ort bringen. Sie waren nicht mehr für Rommilys bestimmt. Ich begann zu ahnen, was mein Herr vor hatte, doch mein Blick wanderte wieder zu meinem Retter. Mein tollkühner Blondschopf blickte einen Augenblick lang zu mir und zwinkerte mir keck zu. Bei Rahja, nun war es vollends um mich geschähen.