Geschichten:Schäumende Wasser - Die Wächterin muss sich rechtfertigen

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Alcazaba Zolipantessa, Reichsstadt Perricum, 2. Efferd 1043 BF:

Als die Wächterin vom Darpat von zwei Wachen gedeckt in den Alcazaba Zolipantessa verschwand, hörte sie noch die Rufe einiger aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger. Am schlimmsten war es, wenn sie ein Mitglied der Familien traf, die auf dem Fluss eines ihrer Kinder verloren hatten. Genau deshalb vermied sie es in letzter Zeit in ihrer Kommandeursuniform durch die Straßen Perricums zu gehen, aber die Einladung der Reichsvögtin in den Sitzungspalast verbat selbstredend einen informellen Kleidungsstil. Hoffentlich würde ihr wenigstens hier ein weiteres unangenehmes Treffen mit ihrem Vater erspart bleiben.

In der großen Eingangshalle wurde Yanda von Amalia von Palmyr-Donas, der Leiterin der Schreibstube, persönlich in Empfang genommen. Eine Ehre, die nicht jedem zuteil wurde, wie sie wusste. Die hagere alte Dame mit dem ausdruckslosen Gesicht ließ Yandas Bedeckung mit schriller Stimme wissen hier in der Halle zu verharren und begleitete die Wächterin vom Darpat dann zu den Amtsräumen der Reichsvögtin.

Yanda war hier bereits einige Male gewesen und kannte daher den Weg sehr gut. Durch den offenen Porticus vorbei an der Vielzahl fein gearbeiteten, verzierten Säulen, dann Abbiegen zum großen Raum mit der Prunktreppe aus poliertem Granit. Yanda vermied es die Gemälde anzusehen, für sie hatten diese auf Leinwand gebannten Abbilder von lange Verstorbenen immer etwas Unheimliches. Vermutlich lag es an den toten Augen.

Oben angekommen hielt sie inne und merkte das erste Mal, dass ihr Atem beunruhigend schnell ging. Sie hechelte fast, dabei waren es kaum 50 Stufen bis in den zweiten Stock. Die letzte Tage hatten ihr schwer zugesetzt. Hatte sie heute eigentlich schon etwas gegessen? Unwichtig. Der Ratssaal war gleich am Ende des Fresken geschmückten Gangs.

Laut hörte sie ihr gewohnte strammes Klopfen an der dunklen Kastanienholztür im anscheinend leeren Raum dahinter Nachhallen.

„Herein!“

Nicht lauter als unbedingt nötig ertönte die Stimme von der anderen Seite.

Als wurde sie vom Klang der leicht näselnden Stimme daran erinnert, was sie gleich erwartet, massierte Yanda noch kurz mit zwei Fingern ihr Nasenbein, bevor sie sich über die Uniform strich und die Tür öffnete. In dem mit lackiertem Holz getäfelten Raum saßen zwei Personen am Kopfende des langen Tischs. Eine etwas absurde Szenerie, dachte sich Yanda, während sich die Palmyr-Donas mit einem Nicken zurückzog.

„Kommandeurin Gerben, ich will keine großen Umschweife an den Tag legen, dafür ist die Situation zu ernst.“ Der bekannt überhebliche Blick von Reichsvögtin Sarina von Zolipantessa streifte Yanda und fixierte sie.

„Ihr seid angetreten, um für die Sicherheit auf dem Darpat zu sorgen, der für die Reichsstadt offenkundig große Bedeutung hat.“ Nun erhob die neben der Reichsvögtin sitzende Ratsherrin Alsinthe Barûn-Bari das Wort. „Doch seid Ihr Eurer Aufgabe nur ungenügend nachgekommen, wie der Stadtrat feststellen musste.“

„Besorgniserregende Vorkommnisse, das Verschwinden eures neuen Paradeschiffs, die grauenhaften Ereignisse beim Lichterfest. Gerben, wie konnte es dazu kommen?“ Funkelnd blaue Augen bohrten sich in Yanda, der noch immer keiner der Stühle zum Platznehmen angeboten wurde.

„Geehrte Ratsherrin, auch mich haben die Ereignisse in den letzten Wochen stark umtrieben. Zuerst ging ich von einer ähnlichen Aktion der Schmuggler aus, wie diese bereits vor einigen Götterläufen entlang des Darpats stattfand. Also ließ ich die Patrouillen und die Mannschaft in Wasserburg aufstocken um der Situation Frau zu werden. Der Verlust der Wolfsjäger ist also vielmehr das Resultat unseres unaufhörlichen Bemühens den Ursprung der Geschehnisse zu finden, also das Resultat unserer Untätigkeit. Und ich muss gestehen ich habe anfangs die Bedrohungslage falsch eingeschätzt. Nicht einmal während der dreizehnmal verfluchten Haffax-Invasion kamen die Schiffe der Sonderflottille in so kleinen Stücken den Darpat herunter getrieben.“

Yanda hatte im Laufe ihres Monologes immer mehr an Selbstsicherheit gewonnen. Das war auch nicht verwunderlich. Sie hatte sich den ganzen Vormittag genau auf diese Vorwürfe vorbereitet.

„Das sind keine besorgniserregenden Vorkommnisse mehr. Das ist Krieg.“

Die Reichsvögtin hört den Ausführungen der Wächterin vom Darpat regungslos zu. Hin und wieder zuckte jedoch eine Augenbraue nach oben. Doch sie schwieg. Ein so unverblümtes Schuldeingeständnis die Lage unterschätzt zu haben, hatte sie nicht erwartet; vielmehr ein herum lavieren und Schuld wegschieben. Die Aufrichtigkeit Yandas gefiel ihr. So was fand man in der Reichsstadt selten.

Es war an Ratsherrin Barûn-Bari mit ihrem gefürchtet bissigen Unterton wieder das Wort an Yanda zu richten.

„Wenn wir uns, wie Ihr sagtet, im Krieg befinden, wer ist dann unser Feind?“

Jetzt kam die selbstsichere Kommandeurin das erste Mal ins Stocken. Sie war sich nicht sicher ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, dass ihre beiden Gegenüber ihre Erklärungsversuche einfach so hinnahmen.

„Nun.. das versuche ich bereits seit Längerem herauszufinden. Ich kann auf jeden Fall die Schmugglerbanden ausschließen, die das letzte Mal für diese Vorkommnisse verantwortlich waren. Ich habe mir außerdem die gesamten Auslieferungslisten für Schiffsrotzen und Hornissen der letzten Götterläufe geben lassen und alle wurden in der Perlenmeerflotte selbst verwendet um die desaströs verfallene Sollstärke wiederherzustellen. Es gibt also keine Flotte und kein Schiff in der Umgebung von Perricum, das es mit profanen Waffen mit unserer schwer gerüsteten Flussgaleere hätte aufnehmen können.“

Sie legte eine bedeutungsschwangere Pause ein um der Reichsvögtin die Möglichkeit zu geben, den logischen Schluss aus dieser Aussage selbst zu ziehen. Diese Pause nutzte sie um mit kurzen Schritten an den nächsten freien Stuhl heranzuschreiten. Es war jetzt unmissverständlich, dass sie sich gerne setzen wollte, doch die Etikette verbat dies ohne Aufforderung zu tun und daran hielt sich die Kapitänin.

„Wenn es nicht die Schmuggler waren, wie Ihr behauptet und auch kein profaner Angriff einer anderen Seemacht.“ Wieder war es die schneidende Stimme der Barûn-Bari, die durch die Ratskammer hallte. „Wollt Ihr uns dann also weis machen, eine wie auch immer geartete Wesenheit würde den Darpat unsicher machen und Ihr lasst Euch von dieser vorführen? Denn, offenkundig, seit Ihr nicht Eurer Berufung nachgekommen, die … .“ Eine Handbewegung der Reichsvögtin ließ die Ratsherrin verstummen.

Unerträglich lange blickte die Zolipantessa die nun neben dem Stuhl stehende Wächterin vom Darpat an. Ihr Blick schien Yanda zu durchbohren, während ihre Gesichtszüge regungslos blieben.

„Setzt Euch, Gerben!“ Die Stimme der Reichsvögtin klang eigentlich zu freundlich. „Das ist es doch, was Ihr wollt, nicht wahr? Mit uns an einem Tisch sitzen.“ Ein aufforderndes Lächeln umspielte die Lippen der Zolipantessa.

„Vielen Dank, Reichsvögtin.“

Mit lautem Knarzen zog sie den Stuhl heraus und setzte sich schräg gegenüber ihrer beiden Gesprächspartner. Jetzt fühlte sie sich das erste Mal nicht wie eine junge Kadettin, die von ihren Vorgesetzten getadelt wurde. In ihrem Bauch kribbelte es, als sie zu Zolipantessa aufsah und zu sprechen begann.

„Nun, wenn man an einem Tisch sitzt lässt sich oft leichter Diskutieren und eine Lösung finden. Ihr habt meine eigenen Vermutungen bereits ganz richtig ausgesprochen, verehrte Rastherrin. Irgendeine Wesenheit, die ich in meinen langen Jahren auf dem Darpat noch nicht zu sehen bekommen habe, hat mich eines meiner besten Schiffe und eine Menge guter Frauen und Männer gekostet, die ich um jeden Preis und Auge um Auge rächen will. Dazu muss ich aber zuerst wissen womit ich es zu tun habe und wessen Unterstützung ich bei der Tilgung des Problems anfordern muss. Und dazu brauche ich Euren umsichtigen und weisen Ratschlag. Um als bewaffneter Arm der Markgrafschaft nicht gegen den Willen des ehrenwerten Markgrafen oder dem der Reichsvögtin zu arbeiten, würde ich gerne wissen wen ich zur Untersuchung und schlussendlich auch Bekämpfung dieses zweifelsohne widernatürlichen Dings hinzuziehen sollte. Die Efferd-Kirche, den Ordo defensoris Lecturia oder gar die Halle der Austreibung?“

Gespannt blickte sie ausschließlich Zolipantessa an. Die Kommandeurin fühlte sich der Ratsherrin nur zweitrangig verpflichtet. Und sie musste gestehen, sie erlag bereits nach diesem kurzen Gespräch etwas deren Art.

Ein vielsagendes Lächeln umspielte die Lippen der Reichsvögtin. Offenbar gefiel ihr was sie hörte, oder gefiel ihr vielmehr was sie sah? Mit ungewöhnlich sanfter Stimme, frei von der sonst üblichen Überheblichkeit und Arroganz, fuhr sie fort – ohne dabei ihren Blick von Yanda zu wenden.

„Der Markgraf weilt in der Ferne und sein Hof besteht hauptsächlich aus stümperhaften Tölpeln, oder sehe ich das falsch?

Eine arkane Untersuchung der Ereignisse hingegen erscheint mir als weise, da habe ich keinen Zweifel. Die Kirche des Launenhaften wird an einer Klärung ebenfalls großes Interesse haben. Nun, sie muss, denn das Fest der bunten Lichter ist das größte und bedeutendste Fest der Reichsstadt und wird hier ebenso hoch gehalten wie der Herr Efferd. Ich will mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn beide in der Gunst der braven Bürger der Reichsstadt sinken würden.“

Beim letzten Satz wurde die Stimme der Reichsvögtin wieder etwas schärfer, nur um sogleich wieder zu entspannen.

„Ich halte Euch für eine fähige Frau, Gerben! Ihr allein habt das Zeug und das Vorrecht diese Untersuchung zu leiten! Meine Unterstützung soll Euch dabei gewiss sein.“

Yanda wurde rot. Nicht aus Verlegenheit, sondern weil sie von den letzten Worten so emotional gerührt war. Die letzten Wochen und vor allem Tage war sie mit so heftiger Kritik konfrontiert worden, sowohl von außen als auch von sich selbst, dass es gut tat zu hören, dass jemand an sie glaubte. War es auch früher eine ihrer besten Eigenschaften, hatte sie in letzter Zeit das Vertrauen auf ihre Fähigkeiten verlernt zu haben. Doch die Reichsvögtin gab der Kommandeurin neuen Mut und dafür war sie der vollendeten Edeldame sehr dankbar.

„Ich danke Euch für Euer Vertrauen und werde Euch sicher nicht enttäuschen, Exzellenz. Noch heute veranlasse ich die Untersuchungen unter Einbeziehung der heiligen Efferd-Kirche, sowie den Grauen Stäben. Sobald die Ergebnisse von dort eintreffen beginne ich mit den Vorbereitungen zur Säuberung der Darpats.“

Yanda erhob sich knarzend aus dem fein gearbeiteten Holzstuhl. Während der ernste Blick der Ratsherrin Barun-Bari unverhohlene Abneigung widerspiegelte, wusste Yanda den Blick der gutaussehenden Edeldame nicht zu deuten. Vor allem wegen ihrer geröteten Wangen wich sie nach kurzem Kontakt dem Blick der tiefblauen Augen der Schwarzhaarigen aus. Sie blickte an ihrer tadellosen weiß-blauen Uniform hinab und nestelte kurz an den goldenen Knöpfen herum.

„Verehrte Ratsherrin, Eure Exzellenz. Falls dies alles ist, gehe ich direkt an die Arbeit.“

„Das könnt Ihr, Gerben. Ich gehe davon aus von Euch stets über den aktuellen Stand der Untersuchungen auf den Laufenden gehalten zu werden! Enttäuscht das in Euch gesetzte Vertrauen nicht. Mögen die Götter auch vergeben, ich tue es nicht!“

Die Reichsvögtin legte bei den Worten ihren Kopf leicht zur Seite.

„Kapitänin Gerben, melde mich ab.“

Das Zusammenschlagen der Hacken in den polierten Stiefeln hallte durch den Ratssaal.


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Texte der Hauptreihe:
Autor: Bega, DreiHund