Geschichten:Nicht mit leeren Händen - Keine Rettung mehr

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Sigmans Bedeckung waren zwei Mitglieder der Raulsmärker Garde. Auf Sibelas erste Warnung zur Vorsicht hatten sie noch gehört, hatten ihre Pferde nicht zu nah an den Straßenrand geführt, bevor sie abgestiegen waren. Auf die Suche nach einem Seil machten sie sich hingegen nicht - die Böschung fiel in einem Winkel ab, dass man sie mit vorsichtigen, seitlichen Schritten ohne Hilfsmittel hinabklettern konnte.

Unten angekommen näherten sie sich behutsam dem Pferd, bis sie die Zügel ergreifen konnten. “Er lebt!”, rief der Soldat laut. Die Klinge seines Dolches blitzte im Mondlicht auf - er schnitt den Zügel durch, um die Hand seines Herrn rasch zu befreien. Seine Kameradin hatte ihren Umhang kurzerhand im Schnee ausgebreitet. Als sie den Erbjunker vorsichtig hinlegen wollten, kam eine Regung in den schlaffen Körper. Ein gequältes Husten war zu hören, gefolgt von einem röchelnden, verzweifelten Atemzug.

“Korverdammte Orkenscheiße”, sagte die Soldatin. Es klang nicht wie ein Fluch. Eher wie eine trockene Feststellung. Sibela indes beschaute sich das Ganze von oben und rief nach warmen Decken und ähnlichen Gegenständen, um Sorge vorzutäuschen und ihre eigenen Leute beschäftigt zu halten. Der Weyringhauser lebte, aber der Fluch seiner Gardistin zeugte von großer Sorge. So oder so, Sigman würde nicht mit zu dem Treffen kommen können, aber man konnte sich als Helferin aufspielen. “Nun gebt ihnen doch Decken und Seile an, damit er hochgezogen werden kann.” Dabei stellte sie sich selber etwas ungeschickt in den Weg.

Auch die Vairningen gab sich besorgt und versuchte mit klugem Rat zur Seite zu stehen. “Haben wir etwas um eine Trage zu bauen?”, fragte sie nach, auch weil Sigman nicht so aussah als wäre er noch reisefähig.

Während ihr Kamerad den wärmenden Umhang um den Verletzten legte, erhob sich die Soldatin wieder. Kaum war sie aus Sigmans direktem Blickfeld getreten, machte sie ein paar eilige Schritte zum Fuß der Böschung und ein Stück den Hang hinauf. Den Rücken wandte sie ihrem Herrn zu, damit ihre Stimme nur zu den Reisenden oben auf der Straße drang.

“Herr Sigman steht nicht wieder auf”, sagte sie, um Nüchternheit und Gefasstheit bemüht. “Ich habe sowas schon mal bei der Schweren Reiterei gesehen. Es hat die Lunge erwischt, wahrscheinlich mit ein paar gebrochenen Rippen. Die Luft geht noch rein, aber nicht wieder raus. Das drückt aufs Herz, bis es stehenbleibt. Ihm bleibt keine Viertelstunde mehr, wahrscheinlich noch viel weniger.”

Sie blieb noch einen Moment stehen, um eine Reaktion der adligen Damen abzuwarten. Sigmans Leibdiener stieß einen unterdrückten Schreckensruf aus und eilte nun zum Weyringhaus - halb kletternd, halb rutschend die Böschung hinunter.

Sibela vertiefte die Bestürzung in ihrem Gesicht und trat wieder beiseite, nun gab sie ihren Leuten auch den eindeutigen Befehl, selbst samt Decken und Seilen die Böschung herunter zu steigen. Im Flüsterton wandte sie sich an die Gardistin zurück: “Welch Katastrophe und Trauer. Dann sollten wir ihm seine letzte Zeit so angenehm wie möglich machen. Ich habe ein Mittel gegen meinen gelegentlichen Kopfschmerz dabei, es sollte seine Sinne etwas benebeln und den Schmerz erträglicher machen. Er sollte nicht dort Unten im Dreck vergehen und er soll wissen, dass wir seine Mission zu Ende bringen.” Tatsächlich wollte Sibela nicht, dass der Weyringhauser leiden müsste, doch was sich hier fügte, war absolut zum Vorteil von ihr und ihren Verbündeten, welche nun selber nur reagieren, aber nicht mehr selbst aktiv werden müssten.

Einem Tier - dachte Leonore - würde man in einer solchen Situation die Gnade eines leichten Todes erweisen, aber das war nicht ihre Entscheidung. Wenn seine Leute wollten, dass Sigman die letzten Minuten seines Lebens qualvoll um Luft ringen sollte, dann war das ihre Entscheidung. Betroffen blickte sie die Böschung hinunter. “Welch schreckliche Tragödie”, beteuerte sie halblaut, während sie zugleich überlegte welchen Nutzen die Kaisermark aus diesem Verlust schöpfen könnte. Sicher war jedoch, dass ihr Bund nun ihre Interessen besser vertreten konnte.