Geschichten:Nicht mit leeren Händen - Der Todesfall

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Zwei Stunden später war die Dunkelheit schon längst hereingebrochen. Immerhin stand der noch fast volle Mond am Himmel, nur ab und zu von langsam ziehenden Wolken verdeckt. Die gepflasterte Straße war als glattes, schmutziggraues Band zu erkennen, das sich durch die schneebedeckten Felder zog.

Die Umrisse von Gebäuden schälten sich aus dem nächtlichen Grau. Als kleiner leuchtender Punkt war schon die Laterne auszumachen, die der Gruppe den Weg zum Gasthaus wies. Die Straße stieg leicht an. Offenbar verlief sie ein Stück auf einem Damm, damit die Reisenden im Frühjahr und im Herbst trockenen Fußes in den Ort gelangen konnten.

Sigman von Weyringhaus schob sich mit der rechten Hand die Kapuze vom Kopf. “Dann hätten wir es ja beinahe geschafft”, sagte er, sich im Sattel zu seinen Begleiterinnen umwendend.

Sein Pferd trat fehl: Der Huf glitt aus, rutschte ab vom Pflaster. Das Tier suchte festen Grund. Vergeblich! Es verlor das Gleichgewicht, stürzte. Die Böschung hinab und riss seinen Reiter mit, überschlug sich. Zermalmte Sigman unter sich.

Unten auf der schneebedeckten Wiese, knapp drei Schritt tiefer als die Straße und keine acht Schritt von ihrem Rand entfernt, endete der Fall. Das Pferd rappelte sich panisch wieder auf, kam mühsam auf die Beine. Sigman von Weyringhaus baumelte reglos an der Seite. Die Stiefelspitzen hatte er noch aus den Steigbügeln lösen können. Aber seine metallene linke Hand hielt die Zügel fest umklammert.

“Herr Sigman!”, rief sein Leibdiener entsetzt.

“Halt!”, rief Sibela, eher unbewusst geistesgegenwärtig, “Wir könnten ebenso zu Fall kommen und uns Bein oder Genick brechen. Sortiert euch vorerst.” Noch in dem Moment erkannte Sibela, dass die Art, wie Sigman von Pferd hing, nicht “natürlich” und schon gar nicht mehr bei Bewusstsein oder lebendig wirkte. Und mit dieser Erkenntnis folgten düstere, aber durchaus unintendiert hilfreiche Gedanken. Der Plan war ein anderer gewesen, aber diese Situation könnte - in all ihrer Tragik - äußerst vorteilhaft für sie sein: ein indisponierter, tragischer Sigman könnte sie nicht überstrahlen, ein Sigman, den man versucht hatte - unter aller Vernunft natürlich - zu retten, würde die unglücklichen Retterinnen strahlen lassen.

Sibela tauschte Blicke mit Leonore aus. Ihre erste Reaktion hatte ihnen Zeit gegeben, Zeit die Sigman nun verlor, wenn er sie nun hatte. Evtl. könnten sie noch etwas Zeit rausschlagen, ein mulmiges Gefühl kam in ihr auf, doch sie drückte es zurück. Für Sentimentalitäten blieb nun keine Zeit, das Gewissen dürfte sie dann später plagen. Etwas ungelenk, als hätte sie selbst das Pferd auf dem glatt-naßen Boden nicht mehr recht unter Kontrolle, lenkte das Tier an den Kopf der Gruppe, den Weg halb verdeckend. “Wir sollten absteigen und seiner Wohlgeboren sicheren Fußes folgen, er wird sicherlich Hilfe benötigen, aber es nützt ihm nichts wenn wir selber zu Fall kommen.” Erneut blickte sie Leonore entgegen, während sie selber abstieg und vorsichtigen Schrittes dem Unglücklichen nach”eilen” wollte.

Die Vairningen hatte erst im Sattel gestanden um sich einen Überblick zu verschaffen und war nun abgestiegen. “Hat jemand ein Seil, dass wir an einem Sattelknauf festmachen und zum herunterklettern nutzen können?” Fragte sie mit besorgter Stimme in die Runde. Ihr Vorschlag würde kostbare Zeit kosten, Zeit die Sigman vermutlich nicht hatte. Zugleich war er derart naheliegend, dass jeder verstehen musste, wieso sie ihn machte. “Herr Sigman?”, rief sie dem Gestürzten hinterher, bevor scheinbar besorgt nachschob: “Nun beeilt euch doch!”