Geschichten:Moderne Zeiten - Zu teuer ein Sieg

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Aus der ganzen Grafschaft zogen die Wimpel und Banner, Standarten und Feldzeichen, Wappen und Signa gen Luring, gerufen nicht nur zum bedeutendsten Turnier der Region, sondern auch befohlen unter ein Banner: das des Reichsforster Grafen. Da Graf Danos in ungewohnter Deutlichkeit gesprochen hatte, folgten seine Vasallen zum Teil pflichtschuldig, zum Teil neugierig. Wann geht es schon einmal gegen eine Stadt? Wie oft würde man noch die Gelegenheit bekommen, unter dem Befehl des ›Königs der Ritter‹ ins Feld zu ziehen? Danos dem Ritterlichen zum Sieg zu folgen? Denn an diesem Siege zweifelte niemand. In den Schankstuben, auf den Gassen, der Reichsstraße, auf den Märkten, an den Toren, am Brunnen und in jedem weiteren Gespräch war dieses das Thema: Dass die stolze Reichsstadt Luring keine Wahl haben würde, als sich ihrem Herrn zu beugen. Und das sei auch recht so – beuge sich doch die Stadt doch keinem Tyrannen, sondern einem Herrscher, auf den man stolz sein konnte und dessen Untertan zu nennen man sich rühmen durfte.

Innert weniger Tage füllte sich der nördliche Rand des Erlgardsfeldes mit Zelten jeder Farbe, mit Bannern und Wimpeln, Standarten und Feldzeichen, Signa und Wappen: Die Reichsforster Ritterschaft, die zum Teil vor den Namenlosen Tagen schon angereist war, zum weitaus größten Teil aber am ersten Tag des Jahres aufgebrochen war, versammelt sich unter dem Zeichen des grünenden Zweiges. Turnierritter, die sich auf ein großes Ereignis freuten, vor dem sie allerdings noch einmal ihrer Vasallenpflicht nachkommen mussten. Einer womöglich blutigen Pflicht. Diese Pflicht erfreute die meisten Ritter mit einer aufgereizten Aufregung, einer unruhigen Erwartung und fast schon einer kollektiven Vorfreude.

Am 9. Praios, dem Tag des gräflichen Ritterbannes, bot die Reichsforster Ritterschaft ein erhebendes und einschüchterndes Bild zugleich: Bunt, doch waffenstarrend, kein Ritter glich dem anderen und doch waren sie alle Teil einer großen und schlagkräftigen Waffe: eine schwere Reiterei aus adligen Rittern und professionellen Kämpfern, deren Berufung Lanze und Schwert waren.

Malt man sich aus, wie der Blick hinab von Lurings Hügel und von der Stadtmauer auf das nördlich gelegene Erlgardsfeld gewirkt haben mag? Welche Sorgen und Gedanken jene befielen, die auf den Zinnen mitansahen, was sich an Kraft und macht versammelte, um gegen die Stadt und ihre Einwohner vorzugehen? Wen verfluchte man – den Rat oder den Grafen? Was wünschte man sich – die Freiheit oder den gehorsam? Wollte man dazugehören zu jenen da unten, Teil Reichsforsts sein – oder abseits stehen, für sich, einem ›Reich‹ allein untertan? Wen fürchtete man mehr – die Büttel, den Grafen oder gar den Blutigen Ugo und seine Horden? Von jenen hieß es, von der ›Goldenen Lanze‹, sie sei unterwegs, um den Rittern Lurings Sitten zu lehren. Man kann den Menschen nicht ins Herz schauen, erst recht nicht jenen, die hoch oben auf den Zinnen starrten oder jenen, die hinter der Stadtmauer harrten, aber man darf sicher annehmen, dass dort oben in der Stadt keiner ruhig war und ohne Aufregung.

Doch jenen unten erging es nicht anders – ob sie auf ihren Streitrössern saßen und in der Sonne unter ihren Rüstungen schwitzen, ob sie die Waffen der Herrschaften trugen und schärften oder ob sie nur Mägde und Knechte waren. Auch hier rätselte man, wie der Konflikt ausgehen würde. Immerhin – und das war selbst den jüngsten Knappen klar – war ein Ritterheer nicht das rechte Instrument zur Eroberung einer durch Mauern geschützten Stadt. Doch darum mochte es dem Grafen auch nicht gegangen sein, sondern nur um die Demonstration des Möglichen? Und was war mit der ›Goldenen Lanze‹? Das Gerücht hielt sich hartnäckig, dass das reiche Luring die gefürchtete Truppe angeworben habe. Leisten konnte sie es sich ja!

Eben preschte Baron Raulfried von Schwarztannen mit seinen Getreuen von einem Ende des Erlgradsfeldes zum anderen, während Ritter Ibramur von Schack sein Ross neben das der Ritterin Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels lenkte. Der Recke nahm den Helm ab und wischte sich mit einem Tuch, das er aus der Helmberge gezogen hatte, den Schweiß von der Stirn.

»Was meint Ihr, Jurfinde, wann wird der Graf kommen?«, brummte der Ritter, schon leicht erschöpft allein von der Temperatur.

»Sicherlich bald. Er hat seinen Vasallen befohlen, bis heut zu erscheinen. Nach alter Sitte heißt das: bis Mittag. Der ist nun bald heran.« Die Ritterin hatte das Visier ihres Helms hochgeklappt, unter dem ihr Gesicht rot glühte vor Hitze.

»Ich frage mich nur, was wir hier machen? Sollen wir mit den Lanzen gegen das Stadttor rennen?« Ritter Ibramur schnaubte

»Wohl kaum, Ibramur, aber wenn Ritter Danos es befehlen würde, würd ich’s tun. Ich war mit ihm schon auf den Vallusanischen Weiden. Keines Feldherrn befehl folge ich lieber.«

»Ja, aber Stadttore?«, runzelte Ibramur die Stirn.

»Ritter Danos hat einen Plan, da bin ich sicher.« Die Ritterin sagte dies im Brustton der Überzeugung (und diesen Ton hörte man oft in diesen Stunden).

»Tja, meine Beste. Und wenn die Tore zubleiben? Wenn wir hier in der Sonne gesotten erden, währen die sich auf den Zinnen 'nen Buckel lachen im lauen Lüftchen? Der Graf kann sich nach dieser Ansage keine Niederlage leisten!«

»Ja, Ritter Ibramur. Aber das Entscheidende ist: Die Stadt kann sich keinen Sieg leisten!«

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Des Grafen Ritterbann