Geschichten:Meister Hilgert bei der Henne

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“Langsam öffnete sich die große, doppelflüglige Tür und gab den Blick auf den dahinter liegenden Gang frei. Faduhenna von Gluckenhagen runzelte ärgerlich die Stirn und blickte von den, vor ihr auf dem Schreibtisch ausgebreiteten Papieren auf. Verdammt. Hatte sie nicht darauf bestanden, heuer auf keinen Fall gestört zu werden? Aber das passierte eben, wenn man auf unfähige Wachen und Hofschranzen ange-wiesen war. Sie hatte nun wahrlich keine Zeit, sich von irgendwelchen Plagegeistern belästigen zu lassen, diese Briefe forderten alle ihre Aufmerksamkeit, und im übrigen war sie sowieso nicht gewillt, sich die Klagen der überall herumschwänzelnden Bittsteller anzuhören. Sie hatte – bei den Göttern! – anderes zu tun. Sollte sich doch der Haushofmeister um solche Dinge kümmern.

Leise diskutierende Stimmen drangen an das Ohr von Gluckenhagens. Ein zufriedenes Lächeln zuckte über das Gesicht der altgedienten Meisterin der Mark. Augenscheinlich hatte die Wache doch begriffen, daß sie nicht gestört werden wollte. Wieder glitt ihr Blick auf die auf ihrem großen Schreibtisch ausgebreiteten Papiere. Wo war sie noch einmal stehen geblieben? Ein trockenes Räuspern riß sie aus seinem Studium. Ärger spiegelte sich in den Zügen Faduhennas, als sie, ohne auch nur aufzublicken, die Stimme erhob: ›Ich bin heute für niemanden zu sprechen. Kommt morgen wieder oder wendet euch an den Haushofmeister, er wird euch gerne anhören. Und nun laßt mich allein!‹

Einen Augenblick herrschte Stille und Faduhenna hoffte inständig darauf, das leise Rascheln von Stoffen zu vernehmen, welches den Rückzug des unliebsamen Besuchers angekündigt hätte, doch in ihren Ohren schien die Stille eine fast hörbare Dimension zu erreichen.

›Jeder von uns muß ab und an zu seinem größten Mißvergnügen erfahren, daß eine scharfe, aber unausweichliche Trennlinie zwischen unseren Wünschen und den Erfordernissen unseres Dienstes an König und Reich besteht, liebe Frouwe Faduhenna.‹ Die trockene Stimme ließ nicht den Hauch einer Andeutung von Ironie erahnen, gleichwohl Faduhenna innerlich fest davon überzeugt war, daß der Mann, der steif wie ein Stock vor ihr aufragte, eine solche durchaus beabsichtigt hatte.

Langsam musterte Greifenfurts Kanzlerin die hagere Gestalt, die da vor ihr stand. Stark ergraute Haare und ein paar starke Augengläser wiesen deutlich auf die Gelehrsamkeit hin, die sich von Gluckenhagens Gegenüber angeeignet hatte. Die schlichte, fast ein wenig altmodische Kleidung und die steife Haltung unterstützten den Eindruck der völligen Deplaziertheit eines solchen Mannes an einem fürstlichen Hof und doch offenbarten der klare Blick und die Geradlinigkeit seiner Bewegungen jeden Beobachter, daß dieser Mann am Hofe der Markgräfin über einen nicht geringen Einfluss verfügte und sich seiner Position durchaus bewußt war.

Ergeben seufzte Faduhenna in sich hinein, legte die ausgebreiteten Papiere auf einem ordentlichen Stapel zusammen und wies dabei mit einer zwanglosen Handbewegung auf einen freien Stuhl.

›So setzt euch, werter Hilgert von Finsterkamm. Was führt den Kämmerer Greifenfurts in mein bescheidenes Büro, noch dazu mit einer Sache, die augenscheinlich keinen Aufschub duldet?‹ Der letzte Satz schwebte, einer angedeuteten Frage gleich einige Sekunden im Raum. Dann zog der Kämmerer ein Papier aus seiner Manschette und hielt es der Kanzlerin entgegen: ›Ihr wißt, um was es sich hierbei handelt?‹ Faduhenna entfaltete das Schreiben langsam und überflog es kurz: ›Dies ist der Aufruf Marschall Guneldians von Durenwald zur Aufstellung einer Landwehr.‹

Der Blick Hilgerts ruhte einen Augenblick prüfend auf der Frau hinter dem Schreibtisch, dann zog er fragend eine Augenbraue nach oben: ›Könntet Ihr bitte die Güte haben, mir zu erklären, was es damit auf sich hat?‹”