Geschichten:Kumpanenhatz - Im Schatten des Reichsforstes

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Im Boron 1038, in der Baronie Tannwirk:

"Herrin, es kommen noch Gäste!" Der hineineilende Stallbursche der Drachenmagd-Schänke drängte sich an einem trunkenen Gast vorbei, der seiner Blase das dringende Verlangen nach Wasserlassen nicht abschlagen konnte.

Kurze Zeit später war der Schlag schwerer Hufe zu hören und alsbald kam ein Schwall kalter Luft in die Schankstube, als die Tür erneut geöffnet wurde. Die zechenden Tagelöhner und Bauern an den Tischen hoben aufmerksam den Kopf, als die neuen Gäste eintraten, und. einige Gäste unterbrachen ihr Gespräch. So war es für die, die der Türe näher waren, sehr wohl auch hörbar, daß die Eintretenden keine Leute der Scholle waren. Das Knirschen, welches der Dreck unter den Sohlen schwerer Stiefel erzeugt und das Knarzen von steifem Lederrüstzeug unter abgewetzten Umhängen kündeten von Kriegsvolk, noch ehe man die beiden Männer und die Frau gesehen hatte. Für manchen Gast waren die Erinnerungen an die Zeit der Wildermark so frisch, daß die Kehlen vor Sorge eng wurden.

"Heda, Bursche!" sagte die Kriegsfrau mit rauer Stimme zum Stallburschen. "Wo finden wir Meister Gemswein?" Der Angesprochene blickte hilfesuchend zur Wirtin. "Travia zum Gruße!", sagte die Wirtin mit den leicht schräggestellten Augen und fragte sogleich: "Mögt ihr etwas trinken, während ich nach dem Mann schicken lasse?" "Ja, bring uns Bier," entgegnete die Kriegsfrau und blickte die Wirtin unverwandt und musternd an. Die beide Krieger musterten die Wirtin und ihre Vorzüge unverhohlen aus anderen Gründen. "Bier kann nicht schaden," fuhr die Söldnerin fort. "Nehme an, er wird wohl eine Weile zum Packen brauchen!" "Wie, will er schon abreisen? Um diese Tageszeit?" Die Wirtin war sichtlich irritiert und legte den Kopf schräg. "Ja, will er!", entgegnete die Kriegsfrau trocken. "Wir sind seine Bedeckung." "Geh, hol ihn, Tsadan," sagte die Wirtin und stellte drei Krüge auf den Tresen..

Kaum eine halbe Stunde später begleiteten die drei Söldner einen älteren Mann und einen schlaksigen Burschen, der ein bepacktes Maultier zog, zu der Stelle unweit des Gasthauses, wo der Weg einen großen modernden Baumstumpf umrundete. Vom nahen Sumpf stieg Nebel auf und Praios tiefstehender Schild ließ die Bäume lange Schatten werfen. In diesen Schatten wartete eine gute Handvoll Leute. Überwiegend war es Kriegsvolk, welches am Boden rastete. Überragt wurden sie von einer schlanken Gestalt auf einem Roß, deren Gesicht von der Mantelkapuze beschattet wurde.

Der als Meister Gemswein bezeichnete Mann trat mit festem Schritt, der von Unmut kündete, auf die Reiterin zu. "Hesinde zum Gruße! Werte Frau ti Plo..."

"Nennt diesen Namen nicht!" Auch wenn im Schatten der Kapuze nur ein Mundwinkel zu sehen war, so kündeten die zusammengepreßten Lippen vom plötzlichen Zorn." "Oh verzeiht, hochgelehrte Frau, aber diese Untätigkeit ist nicht meine Stärke. Mein Geist rastlos, will gefordert werden. Und warum ausgerechnet dieser Ort? Da hättet ihr uns gleich in Greifenfurt warten lassen können. Mein Geist ist hier verschwendet und Odil wird angesichts der Wirtin lustblöde. Und er taugt auch so schon nur mäßig zum Schüler." Der so gescholtene Schüler sengte den Kopf, die eigentliche Adressatin wirkte unberührt. "Sehr bedauerlich, aber notwendig", sagte die Reiterin mit kalter Stimme und fuhr dann fort: "Aber ich habe etwas, daß euch für euer Warten vollauf entschädigen dürfte."

Sie zog ein Ledermappe hervor und reichte diese an Meister Gemswein herab. "Odil, Licht!" blaffte Gemswein seinen Schüler an. Der Gelehrte öffnete die Mappe, zog umgehend seine Stoffhandschuhe über und entnahm vorsichtig ein Pergament. Er faltete es zur vollen Größe auf und studierte es aufmerksam. Nach einer Weile entfuhr es Gemsweins: "Was? Hier? Kann es denn sein? ... Bei Hesinde! Woher habt ihr das?" "Wenn ihr auf eine Antwort besteht, muß ich auf euren Tod bestehen." Die Reiterin sagte es so beiläufig wie klar und im Licht der Laterne schimmerte das Gesicht der Reiterin silbrig-fahl. "Nun, so unbändig ist mein Wissensdurst nun auch nicht", sagte Gemswein, während er zittrig das Pergament wieder zusammenfaltete. Um ein unverfänglicheres Thema vorzuschieben fragte er: "Ach, habt ihr mein Schreiben bezüglich Kloster Perainenfried erhalten?" "Aber ja", sagte die Frau, "es war sehr hilfreich".

Unweit der Schänke knackte und krachte es, als ein trunkener Gast mühsam wie auch wahrscheinlich ungeplant seinen Weg ins dichte Gehölz torkelte. Die Reiterin saß aufrechter im Sattel: "Er könnte etwas gesehen haben!" Die Söldnerin mit der rauen Stimme schaute prüfend Richtung Gasthof und antwortete mit gesenkter Stimme: "Unwahrscheinlich. Die wandelnde Bierleiche ist noch recht weit weg." Die Stimme der Reiterin wurde weder leiser noch lauter, gleichwohl bekam sie einen eisigen Klang: "Kennst du den Unterschied zwischen Vermutung und Feststellung? Kümmere dich besser drum!"

Die Söldnerin zuckte mit den Schultern und sprach dann eine andere Söldnerin an: "Cella, das ist ein gefährlicher Weg. Sorg dafür, daß ihm nichts mehr passieren kann." Die angesprochene Söldnerin nickte knapp und ging in Richtung Gasthaus davon. Odil, der das Geschehen aufmerksam verfolgt hatte, schaute seinen Meister mit aufgerissenen Augen an. Der vermied jedoch davon Notiz zu nehmen. "Angesichts dieser Beschreibung kann ich eure Vorsicht verstehen", sagte Gemswein, als er die Ledermappe wieder an die Reiterin gab. "Ich hoffe, ihr könnt mir meine Ungeduld und Neugier vergeben, die mich vorhin nach der Quelle dieses Dokuments fragen ließ?" Die Reiterin, die die Mappe entgegennahm, sah sie ihm ins Gesicht und sprach: "Nun Meister Gemswein, Verständnis habe ich wohl. Doch wisset, Vergeben gehört nicht zu meinen Stärken."