Geschichten:Kressenburger Stadtgeflüster - Phexens Anteil

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Phexens Anteil

14. Rahja 1034 BF, Burg Kressenburg

Seit etwa einem Stundenglas saß Phexian zusammen mit dem Sekretär des Kressenburger Lichthüters in seinem Turmzimmer. Um völlig frei und offen reden zu können, hatte der Vogt gegen seine Gewohnheit den Riegel vor die schwere Eichentür geschoben und den Bediensteten durch den Haushofmeister das Betreten des Turms bis zum Ende der Unterredung untersagen lassen. Er war sich sicher, dass der treue Zwerg dafür Sorge tragen würde, dass auch die neugierigste Magd seinen Anweisungen Folge leistete.

„Mein lieber Praiomel. Du bist dir doch im Klaren darüber, dass wir die Forderungen des Praiostann nicht werden erfüllen können. Weder in diesem, noch im nächsten Götterlauf haben wir nur im Ansatz die Dukaten übrig, um ernsthaft über den Bau eines Tempels nachdenken zu können.“

„Das sieht der Lichthüter aber gänzlich anders, lieber Vater. Er weiß von dem Kredit, den die Zwerge dir gegeben haben, und der Verkauf der Fohlen an den Marstall ist ihm auch nicht entgangen. Da musst du nicht staunen; er ist weder dumm noch blind und bekommt von den Tempelgängern Praiostags vieles zugetragen. Badilak muss also davon ausgehen, dass du nur so im Geld schwimmst.“

„Du scheinst zu vergessen, dass es nicht mein Geld ist, von dem wir reden. Ich bin bloß der Verwalter der Kressenburger Lande, auch wenn ich für Ardo alles finanzielle und die allgemeine Verwaltung des Lehens regele. Der Junge hat einfach noch zu viele Flausen im Kopf, mag auch die eine oder andere kluge Idee darin schlummern.“

„Trotzdem oder eben darum bist du es aber letztlich, der entscheidet und weiß, wo das Geld hingeht. Ardo hört auf deinen Rat und lässt dir freie Hand, wenn er in einigen Dingen auch seinen eigenen Kopf hat.“

„Wir haben also festgestellt, dass weder Badilak noch ich dumm sind und keiner dem Anderen etwas vormachen kann.“ Verschnupft wechselte der Vogt das Thema. „Willst du mir dann vielleicht einmal verraten, warum der Praiostann so versessen auf diesen Tempel ist? Das Kloster am Fuße der Burg ist doch sowieso schon das größte Götterhaus der Baronie. Warum noch ein Praios-Tempel und noch dazu in diesen Dimensionen, die dem Lichthüter vorschweben? Ist er so sehr darauf erpicht, sich ein Denkmal zu setzen? Oder legt er es bewusst darauf an, Kressenburg zu ruinieren, um mein Lebenswerk am Ende meiner Tage doch noch zu zerstören?“

„Weder das Eine noch das Andere, Vater. So sehr Badilak unsere Familie und dich im Speziellen auch verachten mag. Der Prätor würde sich niemals derartig in die Nähe des Herrn der Rache begeben. Ganz im Gegenteil ist er davon überzeugt, und darin unterstütze ich ihn aus vollem Herzen, dass er damit ein Werk zum Wohlgefallen des Herrn Praios vollbringt.“

Misstrauisch sah Phexian seinen Sohn an. Bisher hatte er sich der Loyalität und Objektivität seines Jüngsten immer sicher sein können. Doch die fixe Idee des Kressenburger Prätors wider alle Vernunft auch noch zu verteidigen, ließ ihn an Praiomels gesundem Verstand zweifeln.

„Was um Deres Willen soll es denn bitte bringen, einen Tempel zu bauen, der im Moment nicht einmal geweiht und dementsprechend nicht für den Zweck, für den er gebaut würde, genutzt werden kann?“

„Aber gerade das ist doch der Kern des Ganzen.“ Praiomel war fast euphorisch, als er die Pläne des Lichthüters erklärte. „Prätor Badilak hat sich der Quanionsqueste verschrieben. Nur ist er der Meinung, dass all das Suchen nach Herrn Praios’ ewigem Licht auf Dere keinen Erfolg haben wird, bis nicht der Götterfürst selbst es uns sendet.“

„Darin kann ich Badilak sogar einmal zustimmen. Diese sogenannten Abenteurer und Glücksritter verschwenden Zeit und Mühen, wo sie sicherlich alle etwas Nützliches tun könnten. Doch was hat der Tempel damit zu tun.“

„Der Prätor ist davon überzeugt, dass wir die Gnade des Götterfürsten verloren haben und sie uns erst wieder verdienen müssen. Es ist eine Prüfung unseres Glaubens und Badilak will ein Zeichen setzen! Für den Götterfürsten, aber auch für all jene, die in diesen dunklen Tagen zweifeln und wanken mögen. Das Volk braucht nach den schweren Prüfungen der letzten Götterläufe und auch in Anbetracht dessen, was uns noch erwartet, in erster Linie Hoffnung. Nur Herzen, in denen Hoffnung lebt, sind wahrhaft stark!“

Phexian fürchtete noch immer ein wenig um Praiomels Geisteszustand, aber langsam begann er zu verstehen, was den Lichthüter so verbissen vorantrieb. Der Glaube war sicherlich eine starke Kraft und es mochte sein, dass dieses Schwert in der letzten Zeit nicht genug geschärft worden war. Trotzdem konnte er bloß resignierend die Schultern heben, als er antwortete.

„Nun gut. Nehmen wir einmal an, wir würden diesen Tempel bauen wollen. Wir können es uns schlicht nicht leisten. Was auch immer Badilak glaubt, der Kredit der Zwerge und der Erlös der verkauften Fohlen reichen gerade so aus, um die Kosten für Ardos Traviafeierlichkeiten zu begleichen und uns einigermaßen unbesorgt über den Sommer kommen zu lassen. Trotzdem wartet ein Hungerwinter auf uns, denn es gibt nach dem letzten harten Winter bei weitem nicht genügend Schlachtvieh. Wir werden bis ins nächste Jahr auf Getreide aus Hexenhain angewiesen sein, um unser täglich Brot backen zu können. Mancher kann sich trotz der moderaten Preise nicht einmal mehr das leisten und im Forst nehmen die Fälle der Wilderei merklich zu. Was die Kressenburger im Moment vor allem brauchen, ist Nahrung. Ein neuer Tempel kann später noch immer gebaut werden.“

„Ich glaube, das ist ein Trugschluss, werter Vater.“ Praiomel widersprach mit dem Brustton der Überzeugung. „Gerade jetzt müssen wir ein Zeichen setzen. Das Vertrauen der Leute in die Obrigkeit ist nach dem Verrat des Nebelsteiners schwer erschüttert. Man freut sich zwar über die Rückkehr der Greifin, aber bei vielen halten sich hartnäckig Gerüchte, sie wäre noch immer nicht klar im Kopf, vielleicht gar besessen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen anfangen, die Ordnung der Dinge zu hinterfragen! Deswegen muss dieser Tempel für den Götterfürsten so bald als möglich gebaut werden, ob er dann geweiht werden kann oder nicht. Aber er wird das Zeichen der Hoffnung sein, welches das einfache Volk braucht! Egal was es kostet!“

„Du denkst also, um dem Götterfürsten einen Tempel zu errichten, wäre es angebracht, sich mit dem schlimmsten Vertreter des Herrn der Gier auf Dere einzulassen?“

„Niemand redet davon, dass du zum Svellter gehen sollst. Wie gesagt, Badilaks Ziel ist es nicht, Kressenburg zu ruinieren, und es würde ihn sicherlich nicht glücklich machen, wenn sein Versuch, die Ordnung zu unterstützen, ein finanzielles Chaos anrichten würde. Doch ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, das alles unter einen Hut zu bringen.“

„Du?“ Ungläubig zog Phexian die Augenbrauen nach oben. „Ohne dich gering schätzen zu wollen, mein Sohn, aber ich beiße mir seit fast einem Götterlauf die Zähne daran aus, wie ich Kressenburg vor dem Ruin bewahren soll. Alles was ich finde sind Tropfen auf den heißen Stein, die uns immer nur von Mond zu Mond retten, immer in der Hoffnung, dass unsere großen Projekte endlich Früchte tragen. Wie kommt es, dass ausgerechnet du jetzt eine Lösung haben willst?“

Praiomel lächelte schelmisch. Er nahm dem Vogt seine Worte nicht krumm, wusste er doch, dass er mit einem der gewieftesten Händler und versiertesten Verwalter der Mark sprach. „Was uns retten wird Vater, ist nicht nur der reine Glaube, sondern vor allem die von Praios gegebenen Gesetze. Solche des Reiches und solche der Mark. Ich habe die letzten Jahre kaum etwas anderes getan, als Gesetzestexte und Verträge zu lesen, um dem Lichthüter mit gutem Rat zur Seite stehen zu können. Alles, was wir brauchen, ist das Wohlwollen der Markgräfin und Ardo hat bei ihr ja, soweit ich informiert bin, einen dicken Stein im Brett. Die Greifin ist der Schlüssel zu allem!“