Geschichten:Korisandes Kletterpartie - An der Mauer

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Burg Oberhartsteen, Herbst 1041 BF

„Du schaffst das Kori!“, war das Letzte, was Korisande von Rothermund von Wulfriks Anfeuerungen hörte, als sie die Südostecke des Oberhartsteener Bergfrieds umklettert und damit die erste Etappe ihres Abenteuers gemeistert hatte.

Doch nun war sie aus dem Windschatten der Mauer heraus und sofort zerrten die Böen an ihr – weit mehr, als ihr lieb war. Immerhin hatte sie nun ihr eigentliches Ziel im Blick. Das einsame Fenster im Turm, das zu einer von innen unzugänglichen Kammer in der Mauerdicke gehörte. Vier oder fünf Schritt zu ihrer Linken ragte der Sims an genau der Stelle aus der Mauer hervor, an der die nahezu fugenlos aufeinandergesetzten fast riesenhaft großen Blöcke der Turmbasis, an denen man kaum einen Halt fand, durch ein viel weniger kunstfertiges Mauerwerk abgelöst wurden, das zwar mehr Griff- und Trittmöglichkeiten bot, jedoch zum Abbröckeln neigte. Sie musste höllisch achtgeben, dass nicht plötzlich ein poröses Mauerstück unter der Belastung wegbrach und sie stattdessen nur noch von Luft gehalten wurde – eine Übung, die noch keinem gut bekommen war, insbesondere in sieben oder acht Schritt Höhe über dem Zwinger.

Die Kletterpartie war eine Mutprobe der besonderen Art, freilich eine, von der ihr hochwohlgeborener Knappenvater oder die Zuchtmeisterin möglichst nichts mitbekommen durften, denn die Erlaubnis zu solch einer halsbrecherischen Aktion hätten sie niemals gegeben. Und so war es ein Glück, dass sich das besagte Fenster, der einzige Zugang zur geheimen Kammer im Bergfried, auf der vom Burghof abgewandten Seite des Gemäuers befand. Begonnen hatte damit vor Urzeiten die spätere Ratsritterin Thaliona von Ruthberg, und hatte eine geheime Tradition unter den jungen Oberhartsteener Knappen begründet, die sich seitdem gehalten hatte. Als Beweis für die bestandene Probe galt das Zurückbringen eines Gegenstandes, den der vorige Prüfling in der Turmkammer hinterlassen hatte. Es war ein Geben und Nehmen. Manche hinterließen hier einen Dukaten oder Silberling, andere ein Messer oder einen Ring. Aber man erzählte sich auch, dass Moribert von Gneppeldotz einen angebissenen Apfel dort oben gelassen hatte und Barthelm Rondrik von Windischgrütz einen Ogerzahn, den er nach der Ogerschlacht an der Trollpforte aus seinem lädierten Brustharnisch gepult hatte.

Natürlich war es bei der Kletterei auch schon zu Unfällen gekommen und ohne ein paar Schürfwunden oder abgebrochene Fingernägel kam wohl keiner zum Ziel. Der berüchtigste Fall – im wahrsten Sinne des Wortes – war der des Ludomar von Gnisterholm gewesen, wenngleich die offizielle Version der Geschichte ganz anderes glauben machen wollte. Aber dergleichen Vorfälle waren die Ausnahme geblieben und auch Korisande hatte keine Lust, solch einen Preis für unbedachte Waghalsigkeit zu bezahlen. Das einerseits um ihre Hüften geschlungene und andererseits am nun außer Sicht befindlichen Fensterkreuz der Knappenkammer befestigte Seil behinderte sie zwar, doch sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen, würde es ihren Sturz doch aufhalten.

Zum wiederholten Mal blies sie die vorwitzige Haarsträhne aus ihrem geröteten Gesicht und ertastete den nächsten sicheren Griff, um sich Stück für Stück weiter an der Turmmauer entlang zu schieben. Gefährlich zerrte eine Böe an ihr und für einen Moment schien es ihr, als würde sie von der Mauer weggerissen, doch dann fanden Korisandes Finger den Sims. Eine letzte Anstrengung noch, als sie sich daran hochzog und dann hatte sie es geschafft. Endlich!


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Texte der Hauptreihe:
Herbst 1041 BF früh am Abend
An der Mauer


Kapitel 1

In der Kammer
Autor: Steinfelde