Geschichten:Kaiserturnier 1041 BF - In einem Wäldchen irgendwo im Nirgendwo

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„Hilf mir bitte noch mal einer auf die Sprünge, ja? Ich hab’s schon wieder vergessen. Warum halten wir es noch gleich für eine gute Idee, an einem Tag wie diesem durch die Gegend zu juckeln, als wär nichts dabei?“

„Wir halten das nicht für eine gute Idee.“

„Nicht?“

„Nein.“

„Puh! Ich dachte schon.“

Williswintha ließ ihren Blick aufmerksam zwischen den beiden Waffenknechten hin und her wandern, die diese Unterhaltung gerade nicht zum ersten Mal führten. Bei weitem nicht. Gestern hatten sie es auch schon mehrfach getan. Und am Tag davor. Sie wusste nicht, warum die zwei so darauf herumritten. Dazu kannte sie sie noch nicht gut genug. Sicher, es war kein Spaß, an den Namenlosen Tagen zu reisen. Aber es ging ja nun mal nicht anders. Es war notwendig. Unbedingt notwendig! Sie ließ den Blick weiter gleiten und heftete ihn an den Rücken Gringors von Högelstein, seit einigen Wochen ihr Schwertvater. Das erfüllte sie mit einem anhaltenden Hochgefühl, obwohl der Anlass eigentlich traurig war: der Tod ihres ersten Schwertvaters nämlich. Nach beinahe einjährigem Ringen war der alte Mittenzwey seinen Verletzungen vom Zug der Herzöge 1039 BF erlegen. Die ganze Zeit über hatte sie treu an seinem Krankenbett gewacht. Alles getan, was in ihrer Macht stand, um sein Leiden zu lindern. Doch es war vergebens gewesen. Danach musste ihre Familie lange suchen, um jemanden Neues für sie zu finden. Seit den Zweiten Weidener Unruhen war der Name von Stockach nicht mehr so klangvoll wie einst. Er öffnete in der Mittnacht keine Türen mehr. Umso größer die Ehre, dass der Erste Ritter der Sichelwacht sie zu sich geholt hatte. Williswintha wusste, dass das im Grunde einzig einem glücklichen Schuss beim Frühlingsschießen in Runhag geschuldet war. Der Högelsteiner hatte sie beobachtet und hielt sie nun irrig für unglaublich begabt. Firun sei Dank!

Dadurch wurde sie von einem freundlichen und ziemlich ansehnlichen jungen Mann ausgebildet, statt von einem launischen alten Fettsack, der sie nur aufgenommen hatte, weil er jemanden brauchte, der Ordnung in seinem schäbigen Wehrturm hielt. Ein Lächeln schlich sich auf Williswinthas Lippen, als sie darüber nachsann. Ihr Leben war jetzt viel besser. So viel besser! Sie durfte sogar mit zum Kaiserturnier. Hatte ein nagelneues Kleid im Gepäck. Konnte es kaum erwarten, die ganzen blitzenden Rüstungen zu sehen. Namenlose Tage hin oder her: Das war es doch wert. Sie wollte diese Erkenntnis mit den anderen teilen, aber die Knechte kamen ihr zuvor.

„Und wenn wir es nicht für eine gute Idee halten, warum machen wir es dann?“, griff der erste das Gespräch nach einer langen, langen Pause wieder auf.

„Weil unser Herr das so will“, die Antwort immerhin kam sofort.

„Ein götterfürchtiger Herr würde so was doch niemals wollen!“

„Von wollen kann ja auch nicht die Rede sein“, Gringolf erhob nun zum ersten Mal selbst die Stimme. Er wandte sich im Sattel um, sodass er seine Knechte sehen konnte, raunzte irgendwas von „Sachzwänge“ und hob die Schultern.

„Ich würde das nicht Sachzwang nennen, sondern ... /Jagdzwang/“, wandte der zweite Knecht ein.

„Ja, ehrlich mal“, meinte der erste. „Weil du da irgendeinen Hirsch ins Feld springen sahst und den Tunnelblick des Jägers gekriegt hast, müssen wir jetzt in den verfluchten Tagen durch die Landschaft stromern und ziehen uns den Zorn der Götter zu.“

„Es war ein Sechzehnender, firunnocheins!“, brummte Gringolf ungehalten. „Da kann man schon mal die Zeit aus den Augen verlieren.“

„Fünf Tage lang?!“, rief der erste Knecht entrüstet. „Du warst fünf Tage lang spurlos verschwunden, Grin. Irgendwo in der Balihoer Walachei. Bärnwald. Da geht man nicht einfach so rein, wenn man richtig im Kopf ist.“

„So wenig wie man an den Namenlosen Tagen reist, wenn man richtig im Kopf ist“, ergänzte der zweite Knecht schlicht.

„Schon gut“, Gringolf hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Ist ja gut. Ich sehe es ein. Es war keine Glanztat.“

„Schwachsinn war das! Unter dem wir jetzt alle leiden.“

„Ja, ich hab es doch begriffen“, seufzte der Högelsteiner. „Was wird es mich diesmal kosten, hum? Was wollt ihr von mir, dass ihr damit immer wieder anfangt?“

„Zwergenbier!“, kam es wie von der Sehne geschnellt und aus zwei Mündern zugleich.

„Hä?“

„Wir haben gehört, dass es das auf dem Turnier gibt. Das wollen wir“, sagte Knecht eins.

„Du hältst uns aus, solange wir da sind“, Knecht zwei.

„Würden uns gern einmal durch das Angebot trinken“, Knecht eins wieder.

Gringolf hob ungläubig die Brauen und sah Williswintha an: „Du etwa auch?“

Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie einen Wunsch frei hatte, wollte sie lieber mit ihrem Schwertvater tanzen. Doch bevor sie das zum Besten geben konnte, tat es einen Schlag. Etwas Kleines, Pelziges brach aus dem Unterholz zu ihrer Rechten, fuhr quiekend unter die Pferde und löste Panik aus. Köpfe flogen, Nüstern blähten sich, Hufe wirbelten – und der Wallach des Högelsteiners machte einen Satz zur Seite. Leider ohne seinen Reiter, der gerade ziemlich quer im Sattel gesessen hatte und dadurch augenblicklich den Halt verlor.

Das pelzige Tierchen war noch nicht ganz im Gebüsch zu ihrer Linken verschwunden, als Gringolf auf dem Boden aufschlug. Mit der Schulter voran. Der Sturz sah ziemlich spektakulär aus und der Aufprall war ziemlich laut. Anschließend herrschte für einen Lidschlag Totenstille – und dann begann der Ritter zu brüllen wie ein wildgewordener Stier.

So sehr sie ihn gerade getrietzt hatten: Jetzt sprangen seine Waffenknechte mit besorgten Mienen aus den Sätteln und eilten an seine Seite. Allein Williswintha blieb auf dem Pferd sitzen, zur Salzsäule erstarrt. „Ist sie gebrochen?“ Gringolfs Stimme drang wie aus weiter Ferne an ihre Ohren.

„Ich glaube nicht. Aber ausgerenkt bestimmt. Und gestaucht.“

„SO EINE NEUNMAL VERFLUCHTE SCHEISSE!“

„Psssssst! Pst, Herr, bitte! Doch nicht heute.“

„Das ist meine rechte Schulter, VERDAMMICH! Warum denn bloß die rechte?“

„Wär die linke vielleicht besser? Wollt Ihr ohne Schild ins Gestech reiten?“

„ARGH!“

„Das wird so schnell nicht wieder. Wir kehren besser irgendwo ein“, schlug der zweite Knecht vor. „Lassen wir das mit dem Turnier einfach. So brauchen wir da nicht hin. Ihr tut Euch nur noch mehr weh, Herr!“ Williswinthas Herzschlag setzte aus, als sie diesen unfassbar dämlichen Vorschlag vernahm. Das ging nicht! Sie hatte noch keine blitzenden Rüstungen gesehen. Ihr Kleid noch nicht angehabt. „Also ...“, hob sie an und schob ein extrem eloquentes „ ... äh ...“ hinterher. Ihr fiel nämlich gerade auf, dass die Anmerkung, die sie machen wollte, leicht als Ausdruck von Eigensucht missverstanden werden könnte. „Ja, aber ... Bier können wir doch immer noch trinken?!“, stammelte sie deshalb. „Und die ganzen anderen Ritter treffen, von denen ihr erzählt habt. Was würden die wohl sagen, wenn der Erste Ritter der Grafschaft Sichelwacht nicht auftaucht, obwohl er sich angekündigt hat?“

„Der Erste Ritter der vermaledeiten Sichel hat es gerade geschafft, ohne Feindkontakt kampfunfähig zu werden“, stöhnte Gringolf gequält.

„Naja ... da war diese riesige Ratte“, grinste Knecht zwei.

„Die glauben doch eh alle, dass wir Sichler nicht reiten können“, brummte Gringolf. „Soll ich denen etwa erzählen, dass ich vom Pferd gefallen bin, oder was?“

Knecht eins hatte Williswintha unterdessen nicht aus den Augen gelassen. Er musterte sie, begann zu schmunzeln und lachte schließlich lauthals los. „Richtig, das Bier!“, krähte er. „Das nenn ich mal ne praktische Veranlagung! Das Mädel denkt mit! Wo hast du die noch mal aufgegabelt?“ Er versetzte Gringolf einen mutwilligen Stoß und kassierte dafür einen weiteren unflätigen Fluch. „Schulligung“, murmelte der Kerl daraufhin. „Ist aber wahr: Die hier gefällt mir besser als der langgesichtige Kerl, den du bisher immer dabei hattest! Ich mag sie fast so sehr wie Zwergenbier. Auf das werde ich übrigens nicht verzichten, nur weil du dir ein Wehwehchen zugezogen hast, klar?! Bist doch selbst dran schuld. Oder warum reisen wir noch mal in den Namenlosen Tagen?“




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Texte der Hauptreihe:
Autor: nics