Geschichten:König Bodars Banner - Ein Plan wird geschmiedet

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Zu Füßen der Kreusenburg, Firun 1035 BF

Er wusste nicht so recht, was er hier tat: Heimlich stolperte er durch die Nacht, schob mit den Stiefeln kleine Schneeberge vor die Schuhspitzen, fluchte über den winterlichen Wettereinbruch, der das Land mit einem weißen Tuch der Unschuld bedeckte. Der Mond durchbrach die Wolkendecke kaum - und Seginhardt hätte sich über den Anblick einer freundlichen Travia-Geweihten, die ihn aus der Kälte bittet, mehr gewundert als über einen Werwolf, der seine Natur an Seginhardts Kadaver ausleben wollte. Als finsterer Schatten erhob sich die Kreusenburg über das kleine Dorf, in dem Seginhardt eine ungewöhnliche Verabredung hatte. Er, des Grafen Onkel, im Herzen des Machtbereichs der Familie Eslamsgrund. Unbewaffnet (was hätte es schon geholfen?) und allein. Fast allein - dass 20 gräfliche Soldknechte nah genug waren, um dem Säckelmeister der Grafschaft womöglich beizuspringen, verstand sich von selbst, wenn man den vorsichtig abwägenden Verstand Seginhardts in Rechnung stellte.

›Rechnung‹ - dieses Wort war der Schlüssel zu dieser nächtlichen Tortur. Seginhardt erinnerte sich genau, wie er seinem Neffen, dem hochwohlgeborenen Grafen Siegeshart, haarklein auseinandersetzen musste, dass die Grafschaft drohte, bankrott zu gehen. Siegeshart hatte wieder sich einmal stur gestellt, als der Onkel ihm die Kosten der Feldzüge im Beilunkschen vorrechnete, die Verluste an Ernten, Menschen, also Stern, am Raschtulswall, die kostspieligen Probleme an der almadanischen Grenze. Doch der Graf wollte nicht hören. »Kümmere dich darum, Onkel, aber verschone mich Einzelheiten! Ich muss beten.« Seginhardt zog geräuschvoll den Rotz in der Nase hoch, als er an diesen kurzen letzten Satz dachte. ›Ein Pfaff auf dem Grafenthron - pah!‹ Die Gattin seines Neffen machte es nicht besser. Da Praios der erste Gott war, schien die Geheime Inquisitionsrätin die Zahl Eins so sehr zu lieben, dass sie es verlernt hatte, bis Zwei zu zählen. Konnte man so einer Fanatikerin beibringen, dass es nicht nur Eins gibt, sondern sogar minus Eins? Und würde sie das niocht viel mehr als Blasphemie missverstehen, denn als unangenehmes Rechenbeispiel aus den Untiefen der gräflichen Schatulle. Erneu zog Seginhardt den Rotz hoch. ›Minus Eins. Ha! Das wäre ja kein Problem! Nur den Nullen zu erklären, sich lieber vor die Eins zu stellen als dahinter …‹ Nullen, Nullen, alles Nullen!

Unvermittelt hielt Seginhardt an. Er war da. Vor ihm war die Schmiede, ein aus wuchtigen Stämmen gebautes Blockhaus, das sich schutzsuchend an einen mächtigen, aus groben Quadern gemauerten Kamin schmiegte: die berühmte Esse von Kreusenburg. Trollarbeit. Der Säckelmeister klopfte an die schwere Pforte, die sich auftat und den Blick in ein warmes Inneres freigab, das von flackernden Flammen in gelbes Licht getaucht war. Seginhardt schüttelte den Schnee aus dem Umhang und von den Stiefeln und betrat die gute Stube. Das Schmiedeehepaar saß auf einer gepolsterten Bank an der hinteren Wand und hatte den Gästen platz machen müssen. Malwarth der Rote begrüßte Seginhardt förmlich und hieß in willkommen. Cordobert, der sanfte Sprössling aus der Kaisermark, schenkte vom gusseisernen Ofen heißen Gewürzwein in einen Becher und reichte ihn Seginhardt, der ihn misstrauisch entgegennahm. Er wärmte nur die Finger an dem Getränk - trinken würde er es nicht.

»Ihr werdet erwartet - in der Schmiede, Herr Seginhardt«, wies ihm Malwarth den Weg in die angrenzende Schmiedewerkstatt, die sich über zwei Stockwerke erhob und von der mächtigen Esse dominiert wurde, in der eine ewige Glut brannte. Drei unterschiedlich große Ambosse standen im Raum, ein riesiger Blasebalg beherrschte den Hintergrund, Zangen, Hämmer und andere Werkzeuge glänzten im Halbdunkel von ihren Halterungen herab. Das Licht war in der großen Schmiede rötlich und verbarg mehr als es enthüllt.

Seginhardt stutzte, als er sah, dass nicht der greisenhafte Landvogt Alrik ihn erwartete, der eigentliche Herr der Kreusenburg.

»Ich dachte, Ihr wäret auf Jilaskan!«, entfuhr es Seginhardt.

Sein Gegenüber, auf einem Amboss hockend, brummte und stieß eine dunkle Rauchwolke aus seiner großkopfigen Pfeife. »Da war ich nie; hab in Perricum meine Verbannung beendet«, erläuterte Narbosios von Eslamsgrund und zog an der Pfeife. »In Jilaskan hätte mir die gute caldaische Luft gefehlt.« Sprach’s, und verpestete dieselbe mit dem Rauch seines Knasters.

»Das Gerücht war mir nicht unbekannt«, gab Seginhardt zu und platzierte seinen knochigen Hintern auf den größeren Amboss, dessen kaltes Eisen sofort daran erinnerte, dass es nicht zum bequemen Sitzen erschaffen worden war. »Ich habe dennoch nicht mit Euch gerechnet. Sprecht Ihr für das Haus Eslamsgrund? Und wenn ja: für welches, das wilde oder das zahme?

»Für beide«, paffte der ehemalige Oberkanzleirat, der in der Answinkrise auf der falschen Seite gestanden hatte und 1026 BF über seine Unterstützung Yppolitas bei ihrem Ehrgeiz nach dem Thron gestolpert war.

»Nun gut, Dom Narbosios. Ich hatte Eurem Haus einen Vorschlag unterbreitet, über den ich hier verhandeln möchte.« Seginhardt stellte den erkaltenden Becher auf das Horn des Ambosses.

»Ich auch, Dom Seginhardt. Wisst Ihr, wäre mein Vater nicht weit über das Ziel hinausgeschossen, die Welt ein wenig gerechter zu gestalten, dann wäre ich heute Graf von Eslamsgrund und Ihr wahrscheinlich längst in Tobrien verreckt.« Eine rötliche Rauchwolke strömte aus dem Pfeifenkopf.

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Dass mir noch immer sehr viel an diesem von den Magierkriegen gebeutelten Hochland liegt, an meinem Eslamsgrund, an Obercaldaia.« Narbosios drückte mit einem Stopfer die Tabakglut wieder fester, die sich in der Hitze knisternd gestreckt und gelockert hatte. Hellerer Dampf entfuhr der Pfeife, ein weißes Wölkchen, das an der Unterseite von der Glut der Esse blutig angestrahlt wurde. Weiß und Rot - die Farben Eslamsgrunds. »Deshalb spreche ich für beide Häuser Eslamsgrund; wir sind uns einig, Euch zu stützen um der Grafschaft willen.«

»Es kommt auch Euch zugute, Dom Narbosios. Als Erstes wäre da, dass ich nicht nach Euch fahnden lasse, jetzt, da ich weiß, dass Ihr hier seid.«

»Was heißt schon hier sein«, unterbrach ihn Narbosios. »Wenn Ihr anfangt, mich zu suchen, werde ich nicht hier sein, sondern dort. Doch dort sein bedeutet hier sein. Ihr werdet mich nicht finden.«

»Nun gut, sei’s drum«, lenkte Seginhardt ein. »Zum zweiten: Sollte es gelingen, das Große Kabinett in unserem Sinne zu beeinflussen, dann kann das Haus Eslamsgrund seine Lehen ebenfalls entschulden.«

»Erst danach?«

»Ja, erst danach«, bestimmte Seginhardt. »Erst wenn es gelungen ist, das Eslamsgrunder Addendum auch durchzusetzen, übertragen wir die Schulden ausgewählter Baronien und Afterlehen auf die Grafenkrone - nicht davor. Nicht verhandelbar.«

Narbosios nickte. Sein weißes Haar glitzerte im Schein der Esse. Er war alt geworden, hatte das Greisenalter erreicht. Vielleicht das Einzige, was er seinem Leben bisher erreicht hatte.

Seginhardt stand auf und reichte Narbosios die Hand: »Auf Ehre und unter Phexens Huld. Ich werde das Eslamsgrunder Addendum vorbereiten und im Frühjahr einreichen.« 

»Aug Ehre und unter Phexens Huld.« Narbosios schlug ein, doch hielt er die Hand des Säckelmeisters fest: »Eure Idee ist gut, Dom Seginhardt. Ich freue mich darauf, mit Euch meine Ideen zu verhandeln.«

»Welche?«

»Ich werde sie Euch mitteilen, aber denkt doch selbst schon einmal in die richtige Richtung: Das Haus Eslamsgrund ist aus dem Haus Grafenfels hervorgegangen, das mithin die ältesten Ansprüche auf Caldaia hat.«

»Ja, aber das Haus Grafenfels ist ausgestorben - und das Haus Eslamsgrund entlehnt.«

Noch immer hielt Narbosios die Hand. »Aber es gibt Ansprüche aus der Zeit vor der Entlehnung; Ihr wisst, wen ich meine.«

Seginhardt entwand seine Hand. »Ja, ich weiß. Doch das ist irrelevant. Gehabt Euch wohl, Dom Narbosios, und verkriecht Euch wieder unter Euren Stein.«


GG&P-Con 2012 Garetien-, Greifenfurt- und Perricum-Con 2012


Dieser Artikel verweist auf die Handlung des GG&P-Cons 2012.