Geschichten:In die Hölle

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"Doch weiter, die interessantesten Teile kommen ja noch.
Je näher wir Baronie und Stadt Höllenwall kamen, desto häufiger kamen uns immer konkretere Berichte und Geschichten über die Vorgänge zu Ohren, die sich an den höchsten Feiertagen des Herrn 1042 BF in der Gegend ereignet haben sollen und in der Region allgemein als "Höllensturz" bekannt sind. Zwei Tage später erreichten wir die kleine Stadt und sahen sofort, woher diese Bezeichnung und die damit verbundenen Gerüchte rührten. Über dem Ort thronte bis dahin eine gewaltige Burg, welche - warum und wie auch immer - beinahe zur Gänze zu Tal stürzte und dabei im Umland große Schäden anrichtete, die nicht nur in dem Städtchen immer noch deutlich zu sehen waren. Ich muss zugeben, mein Kind, dass mich dieser Anblick nicht unbeeindruckt ließ, zumal ich die in dieser Hinsicht bisher vernommenen Gerüchte zuvor als deutlich übertrieben betrachtet hatte. Wie auch immer: Die Macht des Güldenen war hier deutlich zu spüren, ja beinahe mit Händen zu greifen. Dies war der Ort meiner Visionen!"

"Und wie war der Ort Höllenwall so?"

"Langweilig und unbedeutend. Nichts, was unter normalen Umständen einen Besuch oder auch nur einer Erwähnung lohnte. Die kleingeistigen Bewohner vermieden angstvoll, über die Burg und die Hintergründe ihrer Zerstörung zu sprechen, als wenn das Unheil sonst erneut über sie käme. Ach, einen kleinen Tempel des falschen Götterfürsten hat es dort auch. Und anstatt erst mal ihre eigenen Häuser wieder aufzubauen, haben diese Schafe sich zuvörderst um die Instandsetzung dieses nichtsnutzigen Häuschens gekümmert.

"Naja, Praios ist ja auch der selbsternannte Gott der Sonne, nicht der Weisheit. Das wird wohl seinen Grund haben.", warf Janne lakonisch mit einem sardonischen Lächeln ein.

"Wohl war, Liebes, wohl wahr. Meine Reisegefährten und ich nahmen dann Quartier im 'besten Haus am Platz', ein in jeder Hinsicht sehr mäßiges Gasthaus mit dem wenig einfallsreichen Namen "Zur Sonne". Wir Vier kamen überein, den restlichen Tag damit zu verbringen, uns im Ort bezüglich der damaligen Ereignisse einmal genauer umzuhören. War nicht gerade einfach, diese Simpel zum Reden zu bringen und dabei irgendwelchen abergläubischen Unsinn von den wirklich wichtigen Informationen zu trennen. So berichteten erstaunlich viele Bewohner davon, immer wieder Stimmen aus der Klamm zu hören, doch was sie genau sagten, blieb unklar oder widersprüchlich. Nachdem wir uns bei einem gemeinsamen Abendessen noch einmal ausgetauscht hatten, beschlossen wir, gleich morgen früh aufzubrechen, um uns diese Klamm samt den Überresten der Burg einmal näher anzuschauen. Es sollte sich lohnen.
Doch bevor ich weitererzähle, hole uns doch noch einen weiteren Krug mit diesem vorzüglichen Tropfen; mit einer trockenen Kehle redet es sich so schlecht."

Mit einem Nicken erhob sich Janne, die bisher förmlich an den Lippen ihrer Ziehmutter gehangen hatte, um neuen Wein zu besorgen und dann den Rest der Geschichte zu erfahren.

Die Adlige nahm einen tiefen Schluck aus ihrem neu gefüllten Becher, schloss die Augen und atmete einmal hörbar tief durch.
"Vorzüglich. Was für ein herrlicher Tropfen, mein Kind. Eine exzellente Wahl. So, und nun setz´ Dich wieder, damit ich fortfahren kann."

Das Mädchen ließ sich dies nicht zweimal sagen und schaute, kaum dass es Platz genommen hatte, ihr Gegenüber mit erwartungsvollen Augen an.

Der Rest des Weges gestaltete sich alles andere als einfach. Das lag nicht nur an der Steigung sondern vor allem an den zahllosen Trümmern jedweder Größe und deren bei ihrem Niedergang verursachten tiefen Schneisen im Boden. Als Wegmarke diente uns später ein Bach, den die Einheimischen "Niffel" nennen. Viel gesprochen wurde auf dem beschwerlichen Weg bergauf nicht; zu sehr waren wir damit beschäftigt, darauf zu achten, wohin wir unsere Füße setzten. Der Bach hatte sich tief in das Gestein geschnitten, sodass wir später durch eine Klamm wanderten, in die nur wenig Tageslicht fiel. War allein schon deren Anblick recht beeindruckend, so konnten ich und die anderen dort immer wieder einzelne Wortfetzen oder kaum verständliches Gewisper vernehmen. Wir hatten die "Sprechende Klamm" gefunden. So sehr wir uns auch bemühten, konnte doch keiner von uns Genaueres verstehen, obgleich ich hierfür sogar ein Wunder des Herrn erflehte. Wie mir erst im Nachhinein klar wurde, musste ich dabei trotz aller Vorsicht die Aufmerksamkeit des Firunpfaffen erregt haben, denn er schien mich von da an beständig zu beobachten. Zuletzt galt es noch einen größeren Steinschlag zu überklettern, der wohl durch die Zerstörung der Burg entstanden war."
Fredegard machte eine kurze Pause, um sich einen weiteren Schluck Wein zu gönnen, bevor sie fortfuhr.
"Der Zwerg sah es als erstes: Der Steinschlag hatte dort, wo er mit ganzer Wucht auf den Boden getroffen war, diesen durchbrochen und eine große Höhle freigelegt, der offenbar die Niffel entsprang. Gut, dass wir Fackeln und Laternen dabei hatten, war es da drinnen doch stockfinster. Je weiter wir vordrangen, desto stärker wurde ein unangenehmer Geruch, den ich zuerst nicht zuordnen konnte. Später waren auch eine Art von Schnaufen und das Schaben von etwas Schwerem über Stein zu vernehmen. Ich ging am Ende unseres kleinen Zuges, als ich im Fackelschein rechts von mir kurz etwas aufblitzen sah. Ich entschloss mich kurzerhand dazu, nachzuschauen und fand etwa ein dutzend Schritt von mir entfernt einen bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Körper. Offenbar ein Krieger oder Ritter, den Resten seines Kürass´ nach zu urteilen. Viel interessanter war aber die neben ihm liegende Waffe: Ein Schwert aus reinem Erz! Nach einem kurzem Dank an den Herrn nahm ich die Klinge an mich und eilte zu den anderen zurück, um nicht gänzlich den Anschluss zu verlieren. Der Firunknecht erwartete mich bereits auf halbem Wege mit einer noch finstereren Miene als er ohnehin schon zur Schau trug. Der Anblick der Waffe schien seine Laune, sofern überhaupt möglich, noch weiter zu verschlechtern. Dann zischte er mir zu, dass wir uns später dringend über die Klinge und wo sie hingehörte, unterhalten müssten."

"Wie? Glaubte der Kerl allen Ernstes, dass Du sie ihm einfach so überließest?", warf Janne gleichermaßen verblüfft wie empört ein.

"Was weiß ich, was in seinem kranken Kopf vorging! Aber ganz bestimmt hatte ich nicht vor, mir von dem Kerl irgendwas sagen, geschweige denn, die Waffe aus der Hand nehmen zu lassen", entgegnete Fredegard etwas unwirsch. "Aber dieser Streit trat rasch in den Hintergrund, als wir wenige Zeit später die Quelle des zunehmenden Gestanks und Lärms erkannten. Nicht weit vor uns lag ein ausgewachsener Purpurwurm, welcher gerade sein Haupt erhob und uns der Reihe nach ansah! Ehrlich gesagt war ich von diesem unerwarteten Anblick dermaßen beeindruckt, dass ich die Gefährlichkeit dieser Kreatur für einen Augenblick glatt vergaß. Ist eigentlich noch was von diesem großartigen Linseneintopf da? Ich glaube, ich könnte noch eine Portion vertragen, Liebes."

Janne, die bis gerade förmlich an den Lippen ihrer Ziehmutter gehangen hatte, war ob des abrupten Themenwechsels schier sprachlos und starrte Fredegard für eine Weile konsterniert an, ehe sie ihre Worte wiederfand.
"Äh, ja doch. Ich hatte extra etwas mehr gekocht. Ich hole Dir sofort eine Portion." Rasch eilte die Halbwüchsige in die Küche, um der Adligen ihren Wunsch zu erfüllen, rannte dann beinahe zurück zu der Alt-Baronin und stellte den gefüllten Teller vor ihr auf den Tisch.

"Vielen Dank, Töchterchen."
In einem, für Janne, unendlich langsamen Tempo leerte Fredegard ihren Teller und wandte sich dann wieder ihrem Gegenüber zu.

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Höllenwall war eine typische Menschensiedlung, schmutzig und obendrein hässlich. Es gab lediglich einen Tempel und der war demjeniegen der menschlichen Götter gewidmet, den die Irrgläubigen als vermeintlich obersten der Götter bezeichneten. Naja, zumindest stand noch einen Rest von dem Sakralbau, war er doch infolge des Höllensturzes stark beschädigt worden. Allein das Panorama auf den Raschtulswall, an dessen Füßen die Ansiedlung gegründet worden war, vermochte das trostlose Gesamtbild aufzuwerten.
Der Felsrutsch jedoch, mit dem die Helburg die Bergflanke hinab bis nach Höllenwall gestürzt war, raubte Thorin selbst im Nachhinein für einige Momente den Atem. Es musste ein epochales Ereignis gewesen sein. Welche gigantischen Kräfte mochten hier am Werk gewesen sein, dass eine so enorme Masse Fels abgegangen war? Der halbe Ort war verschüttet worden.
Man wählte eine Gaststätte, um sich zu stärken und um dort die Nacht zu verbringen, denn schnell war klar gewesen, dass man den Weg hinauf, zur ‘seufzenden, oder sprechenden Klamm’, wie die Einwohner den Weg hinauf seit neuestem nannten, erst am kommenden Tag würde antreten können, wollte man nicht in absoluter Finsternis am Berg feststecken.
Die Unterkunft war wie für die Menschen üblich nur an deren Maßstäben orientiert. Ein Umstand, den Thorin zwar erwartet hatte, der seine Laune aber dennoch noch weiter trübte. Vielleicht brach er deswegen auch noch am Abend in die Stadt auf, um entsprechende Ausrüstung für den Aufstieg zu erstehen. Dazu gehörten gleichwohl auch Fackeln.
Nach einer zumindest aus Sicht des Zwergen eher unruhigen Nacht in einem riesigen Bett, brach man wohl gestärkt auf, dem Berg entgegen.
Zunächst stieg das Gelände nur leicht an, doch schon nach etwas mehr als zwei Stundengläsern erreichte man den Eingang zu einer engen Klamm. Steil schnitt sie sich in die umgebenden, teilweise überhängenden Felswände.
Mit Meister Zottelbart übernahm gemeinsam mit Thorin die Führung in die Klamm hinein. Der Zwerg, der im Hochgebirge geboren und aufgewachsen war, kannte sich vermutlich am besten aus, wusste um Gefahren und vermochte das Gelände am besten zu beurteilen. Der Diener des Weißen Mannes jedoch schien so etwas wie ein intuitives Verständnis für den Untergrund zu besitzen, auf dem sie sich aufwärts bewegten. Etwas, dass Thorin Respekt für den Geweihten abzutrotzen vermochte.
Immer steiler stieg nun der Grund an, entlang eines leicht erhöhten Pfades oberhalb eines wilden und sprudelnden Gebirgsbach, dem die Menschen der Umgebung den Namen „Niffel“ gegeben hatten. Die Kraft des Wassers hatte tief in den Fels geschnitten, die steilen Felswände über ihnen ragten etwa fünf Schritt nach oben, so dass nur wenig Licht hinein fiel.
Es war der Geweihte der plötzlich stehen blieb und mit einer Bewegung seiner Hand die Gruppe zum Anhalten brachte. Zuerst verwundert blieb Thorin stehen, dann bemerkte er es. Er hatte es für den Wind gehalten oder das Gurgeln des Wassers oder Geräusche von unsichtbaren kleinen Tieren. Aber dann hörte er inmitten des Rauschens einzelne Wortfetzen, unverständliches Gemurmel zum größten Teil, aber immer wieder tauchte ein deutlich gesprochenes Wort darin auf, wie eine Golderzader in grauem Basaltgestein.
„Die sprechende Klamm“, sagte der Adlige neben Thorin leise zur älteren Dame, die leise zustimmend nickte.
Sie standen eine Weile und versuchten zu erlauschen, was die Klamm ihnen mitteilen wollte. Aber niemand von ihnen konnte einen Sinn erkennen. Sie erkannten den Klang einzelner Stimmen und es schien. als ob sie vom Gipfel her den Bach hinabgespült wurden – durcheinander, gemischt, chaotisch.
Langsam setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung und folgte dem steinigen und unwegsamen Pfad entlang dem gurgelnden und flüsternden Wasser. Sie kletterten über einen Steinschlag, der offensichtlich erst vor wenigen Monaten abgegangen war. Mit Sicherheit war er zeitgleich zum Höllensturz geschehen, vielleicht sogar eine direkte Folge des Abrisses des Felsmassiv wenige hundert Meter entfernt über ihnen.
Vorsichtig setzten sie einen Fuß vor den nächsten. Immer wieder strauchelte die Perricumerin, ohne jedoch ernsthaft in Gefahr zu geraten. Thorins Beine fanden ihren sicheren Tritt, er spürte jeden lockeren Stein und hielt seine Balance wie ein Seiltänzer. Er spürte den Höhleneingang bevor er ihn wirklich sah. Eine gähnende Leere tauchte unter ihnen auf, vom Steinschlag aufgebrochen wie eine klaffende Wunde im Fels des Giganten. Und aus seinem Inneren sprudelte die Niffel hervor. Sie hatten den alten Quell der Niffel erreicht – nun ging es dort tief hinein in den Berg.

Thorin ging an der Spitze, als sie die Höhle betraten. Seine Augen waren mit Abstand die besten, waren sie doch an den Lebensraum unter Tage gewöhnt. Aber nicht nur deswegen setzte sich der Zwerg an die Spitze. Er ahnte nicht, was sie erwartete, er wusste es. Die in seinem Unterbewusstsein verborgen gelegenen Fragmente seines Traumes bestätigten alles, was er sah, auch wenn er den Verlauf der Höhle nur während der rasanten Flucht vor dem Odem des Drachen hatte wahrnehmen können.
Dann, exakt so wie es sich Thorin daran erinnerte, öffnete sich der natürliche Tunnel im Stein zu einer Kaverne. Ein fauliger Geruch schlug ihnen entgegen, Wärme, die nicht passen wollte und das Plätschern war zu hören. Dies war jener Ort aus seinem Traum.
“Haltet euch bereit”, raunte der Angroscho zu den Gefährten ihres Zweckbündnisses.
Er schlich vorwärts, behutsam einen Fuß vor den anderen setzend. Sie kamen um eine kleine Biegung, flackerndes Licht erhellte die Kaverne und dort, inmitten von kleinen dunklen Lachen einer undefinierbaren am Boden brennenden Flüssigkeit, lag der riesige Leib des Purpurwurms.