Geschichten:In Ihrem Schatten – Im Netz der Intrige

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Grafenpalas zu Hirschfurt, Anfang Rahja 1037 BF:

Die Luft in der Amtsstube des waldsteiner Seneschalls roch abgestanden und verbraucht, also öffnete Coswin von Streitzig seufzend das Fenster und blickte hinaus auf die Straßen der Reichsstadt. Besuch hatte sich angekündigt, und zwar von jener Sorte, die er nicht sonderlich schätze: aus der Familie, genaugenommen das Familienoberhaupt. Wann immer der Landobrist, nein, Kronobrist, korrigierte er sich, ihn hier aufsuchte fürchtete er um seinen Status, denn letztlich verdankte er seinen Posten seinem missliebigen Vetter, dem Baron von Uslenried.

Die Tür öffnete sich, ohne das vorher angeklopft wurde; ein Windstoß ließ die Pergamente auf dem Schreibtisch rascheln. Coswin drehte sich um, wollte schon zu einer spitzen Bemerkung ansetzten, vergaß jene jedoch, als er den Ankömmling erblickte, der mitnichten der erwartete Besuch war.

»Ah, Leomar. Komm herein, mein Sohn«, sagte er überflüssigerweise, denn sein Ältester hatte die Tür bereits wieder hinter sich geschlossen, nachdem er eingetreten war.

»Die heutige Korrespondenz.« Leomar wedelte mit einer ledernen Dokumententasche, ging gemächlichen Schrittes zum Schreibtisch herüber und ließ die Mappe geräuschvoll auf die Tischplatte fallen. »Und, was machen die Gäste?«

»Meine verehrten Gäste sind noch nicht eingetroffen, wie man unschwer erkennen kann; wahrscheinlich macht sich der Herr Obrist einen Spaß daraus, mich warten zu lassen«, grummelte Coswin. »Allerdings sollten sie alsbald hier auftauchen, sonst ziehe ich in Erwägung, sie bis morgen warten zu lassen. Aber nimm ruhig schon einmal Platz; ich möchte, dass Du hier bleibst.«

»Ich soll dabei bleiben?« Leomar klang sichtlich erstaunt; bisher hatte sein Vater ich eher aus gewissen Dingen herauszuhalten versucht.

»Wie ich es sagte. Ansonsten hätte ich Dich ohnehin rufen lassen. Vier Ohren hören mehr als zwei, und vielleicht kannst Du dabei noch etwas lernen.« Coswin wies auf den runden Tisch mit den Lehnstühlen. Es mochte nicht schaden, wenn der Bengel allmählich auch in die Familienangelegenheiten eingeweiht wurde.

Wenig später öffnete sich die Tür erneut ohne klopfen; Wulf nahm es nur allzu gern für sich in Anspruch, ungefragt einzutreten, um den Seneschall zu verärgern. Der Baron von Uslenried kam nicht allein, dass hatte er bereits durch eine am Morgen überbrachte Nachricht ankündigen lassen. Hinter ihm trat Giselbert von Streitzig in den Raum; es machte das Gerücht die Runde, das eben jener unlängst seines Amtes als Pfalzgraf auf dem Gerbaldsberg verlustig gegangen war. Der Gesichtsausdruck, so fand Coswin, sprach jedenfalls dafür.

Die dritte Person, die schließlich hinter den Männern in die Amtsstube trat, hatte Coswin nicht erwartet; allerdings trieb ihr Anblick seine schlechte Laune in den Hintergrund. »Larena

Auch Leomar war aufgesprungen, eilte der jungen Frau entgegen und schloss sie in die Arme. »Hallo, Schwesterherz!«

Nach der Begrüßung ließen sie sich sodann am Tisch nieder; Wulf nahm gegenüber Coswin Platz, der sich von seinen Kindern einrahmen ließ. Eigentlich passte es Wulf nicht, dass des Seneschalls Sohn der Versammlung beiwohnte, doch auf der anderen Seite gehörte er zur Familie und hatte in den vergangenen Monden noch den Schliff des Vaters genossen. Insofern war der junge Leomar jemand, den es im Auge zu behalten galt; entweder für besondere zukünftige Aufgaben, oder als jemand, der ihm in die Quere kommen konnte. Welches auf Coswins Sproß zutraf würde sich zeigen müssen; doch vermutlich fiel der Apfel nicht weit vom Stamm. Anders herum war Larena und damit Coswins Jüngste in seinem direkten Umfeld zugange, und ihr scharfer Verstand hatte ihn durchaus schon manches Mal zu beeindrucken gewusst.

»Kommen wir also zum Grund Eures Besuches«, eröffnete der Seneschall das Gespräch und griff nach dem bereitstehenden Weinpokal.

Wulf blickte zu Giselbert, doch jener schüttelte den Kopf. Also ergriff der Baron das Wort. »Es wird sich wohl noch nicht allzuweit herumgesprochen habe, aber wir«, und damit ließ er seinen Blick einmal rundum wandern, »sind des Gerbaldsbergs verlustig gegangen. Auf Geheiß der Kaiserin wurde eine neue pfalzgräfliche Herrschaft bestallt, und die ganze Angelegenheit hat einen gewissen üblen Beigeschmack.«

Coswin nickte. »Dann ist es also wahr. Jenes Gerücht war bereits bis zu meinen Ohren vorgedrungen.«

»Es scheint also unbegründet?« Leomars Frage schoss ins Blaue, doch letztlich ließ der heutige Besuch kaum einen anderen Schluss zu.

Es war der ehemalige Pfalzgraf, der nun antwortete. »Sicher war es das. Fadenscheinigste Gründe wurden dort herangezogen, wenn ihr mich fragt; zumal habe ich mir nichts zuschulden kommen lassen. Die vielzitierte Unzuverlässigkeit und eine gewisse Untreue zur Kaiserkrone lasse ich mir nicht vorwerfen, dafür gibt es keinerlei Gründe. Und dennoch war genau selbiges der Vorwurf, der mich das Amt gekostet hat. Wissen die Zwölfe, woher solche Dinge rühren.« Unter der oberflächlich ruhigen Miene Giselberts bebte die Stimme vor unterschwelligem Zorn.

»Eine Intrige also?« Coswins Ausspruch war Frage und Antwort zugleich.

»So steht es zu befürchten. Leider wissen wir nichts genaues, sondern können nur mutmaßen.« Wulf sah Coswin an und holte hörbar Luft. »Ich vermute einen Racheakt.«

Coswin zog fragende eine Augenbraue hoch. Leomars Haltung straffe sich; die Sache schien interessant zu werden.

»Wem könnte daran gelegen sein?« Coswin stellte die Frage in den Raum, die wohl alle Anwesenden in diesem Moment beschäftigte.

»Das ist die eine Frage«, erwiderte Wulf. »Die andere ist, wie wir der ganzen Situation begegnen – und welche Schritte wir gegebenenfalls einleiten.«

»Also gilt es zunächst, mögliche Gegner ausfindig zu machen.« Leomar sprach aus, was er dachte.

»Korrekt. Welche wären das also?« Die Frage des Familienoberhauptes war eher rhetorischer Natur.

»Zweifelfels«, warf Leomar den ersten Namen in den Raum.

»Möglich, aber eher unwahrscheinlich.« Wulf schüttelte den Kopf.

»Luring oder das Zedernkabinett?« Coswins Einwand klang jedoch bereits so, als ob er dies bereits ausschlösse.

»Luring vielleicht, doch hätte er nichts davon. Wenn es eine Kronpfalz wie Puleth wäre, vielleicht ja. Eine Kaiserliche Pfalz hingegen? Nein.« Wulf blickte Giselbert an.

»Es muss jemand sein, der einen gewissen Einfluss am Kaiserhof hat und dem es noch dazu wichtig ist, uns zu schaden. Jemand also, dem die Belehnung unseres Hauses mit Gerbaldsberg zuwider war, sich benachteiligt fühlte oder uns generell schaden will, sei es aus Rache oder auch einfach um der Sache willen. Die Zweifelfelser bestellen andere Äcker, von Natzungen droht derzeit auch keine Gefahr, und weder der Kanzler noch das Kabinett in seiner Gesamtheit hätte etwas davon. Einzelne aus dem Kabinett hingegen mag man durchaus in Betracht ziehen; den Markvogt oder den Pfalzgrafen zu Goldenstein. Kaiserliche Vasallen eben«, beendete Giselbert seine Ausführungen

»Rabenmund - und Hirschfurten«, murmelte der Seneschall.

Wulf blickte auf und sah Coswin an. »Hirschfurten, richtig. Dort gab es einige Reibereien in der Vergangenheit. Die Entlehnung Nimmgalfs, das Ringen um Goldenstein; selbst der Traviabund Eures Sohnes Lares, für den die Familie ein Lehen in Leihenbutt erhalten wird; all dies sind Dinge, die gewissen Personen nicht allzu gut geschmeckt haben dürften. Und von manchen Hirschen ist der Weg zum Raben nicht weit.«

»Der olle Ungolf?« Coswin zupfte sich am Bart. »Der war schon immer ein intriganter Stinkstiefel und hat Goldenstein geschickt seinem Sprößling zugeschachert. Aber den hat es ja nun auch dahingerafft, wie man hört.«

»Und uns damit einen Sitz im Zedernkabinett verbaut, ganz recht. Gerbaldsberg verdanken wir letztlich auch der Einflussnahme von Danos von Luring sowie der Hartsteens.« Wulf lehnte sich zurück und griff nun auch nach einem Weinpokal. »In eingeweihten Kreisen weiß man, wo die Ereignisse um die Leihenbutter Neubelehnung ihren Anfang nahmen: nämlich hier. Und wie wir soeben schon erörtert haben, scheißt der Hirsch nicht weit vom Raben entfernt.«

Die Wortwahl des Baron brachte Larena, die bislang untypischerweise geschwiegen hatte, zu Ausbruch eines Lachens; erschrocken über den Blick ihres Vaters schlug sie jedoch schnell die Hand vor den Mund. Wulf hingegen grinste ob dieses Vorfalls in sich hinein.

»Fassen wir also zusammen: Unser Haus hat sich in gewissen Kreisen unbeliebt gemacht, mit der Entmachtung des früheren Grafschaftsrates, mit dem Entlehnungsvorfall Leihenbutt, mit dem Versuch Goldensteins und dem Gewinn Gerbaldsbergs. Das wissen nicht nur wir, sondern auch andere. Es ist ebenso bekannt, dass gewisse Waldsteiner Kreise von der neuen Herrschaft zu Leihenbutt alles andere als angetan sind, nämlich unter anderem auch wir. Glücklicherweise ziehen wir in dieser mit unseren hiesigen Konkurrenten an einem Strang.« Der Baron blickte bedeutungsschwer in die Runde. »Wenn uns also jemand schaden wollte, der auf Rache aus ist, so hätten lediglich die Hirschfurtens allen erdenklichen Grund dafür. Und Nimmgalf ist es mit Sicherheit nicht.«

»Also Geht das noch auf Ungolfs Rechnung oder Junkobalds?« fragte Leomar.

»Oder beide zusammen«, mischte sich Larena ein. »Sie können es ja zusammen ausgeheckt haben.«

»Das wäre ebenso denkbar, und nach meinem Dafürhalten sogar das wahrscheinlichste. Junkobalds Sohn ist Hausritter am Markgrafenhof, wenn ich nicht irre.« Giselbert sprach leise und bedächtig, aber gerade dies verlieh seinen Worten besondere Aufmerksamkeit.

»Es gilt also, auf beide zukünftig besonders acht zu geben. In Leihenbutt haben wir ab dem neuen Jahr ein Lehen; entsprechend des Ehevertrages mit dem Haus Hirschfurten habe ich bereits bestimmt, wer damit belehnt werden soll.«

Der Seneschall blickte Wulf fragend an; es war ihm anzusehen, dass er sich übergangen fühlte. Immerhin war er der Vater des Bräutigams und hatte sich gewisse Hoffnungen gemacht. »Und mit wem?«

»Mit meiner Schwester. Yalinda ist erfahren genug, und mit Eurem Gut seid Ihr ja bereits hinreichend versorgt, nicht wahr?«

Coswin wollte zu einer Erwiderung ansetzen, schwieg dann aber zu Wulfs Genugtuung doch.

Wulf trank einen weiteren Schluck aus dem Weinpokal. »Fein, dann hätten wir dies geklärt. Dann sollten wir nun weiterschauen, an welchen Rädchen es noch zu drehen gilt, um unseren Einfluss weiter auszubauen…«