Geschichten:Im Tal der Pferde - Die Prozession I

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Baronie Herdentor, Kloster Praiseneck (Praos'Necho), 29. Travia 1041 BF (St. Gilbornstag)

Helle Flecken tanzten vor seinen Augen als er den Blick wieder vom gleißenden Mal seines Herren abwandte. Andächtig sinnierte er über das Farbenspiel, das die hellen Lichter ihm boten. Seine Augen hatten zuletzt gebrannt, doch er hatte es nicht gewagt die Lider zu schließen. Er hatte das Geschenk Praios' annehmen wollen, auch wenn sein schwacher Körper dieser Erhabenheit nicht Stand halten konnte, doch irgendwann hatte er über seiner sterblichen Hülle gestanden, diesem Tag würdig. Dem Tag des Heiligen Gilborn, der doch gar der Folter durch den Schändlichen getrotzt hatte, welche ihm gar Verdammnis verheißen wollte und nicht Erleuchtung. Wer wäre er dann gewesen sich diesem Geschenk zu verweigern?

Sulman von Greifenwacht stand in dem kleinen privaten Sonnenhof, nahe seiner Gemächer. Er war dem großen Hof des Klosters beinahe gleich, nur kleiner. Diese Höfe waren eine Besonderheit des Praios-Glaubens der Perricumer Kulturlande, wo man dem Götterfürsten am liebsten im Freien huldigte, direkt unter seinem strahlenden Antlitz. Ein Einfluss aus der Geschichte und dem Wetter der Region.

Hier hatte er sich auf den Tag vorbereitet und zuletzt die Zwiesprache mit dem Lichte Praios' gesucht. Denn anlässlich dem heutigen Tag des Märtyrers war etwas ganz Besonderes geplant und das sonst so andächtig-ruhige Kloster, das für seine asketischen Mystiker und redegewandten Philosophen bekannt war, zeigte sich äußerst betriebsam. Die letzten Tage war keiner der Schlichter ausgezogen um den Herdentorern mit ihrem Rat beiseite zu stehen, die Ahnengelehrten hatten die Arbeit an der Dokumentation der Herrschaftslinien und den Mythen welche diese legitimierten ruhen gelassen. Diese und die vielen weiteren Diener des Gleißenden waren heute in sich gegangen um in der Meditation und der Askese dem Band zwischen ihnen um dem göttlichen Licht, das Ordnung und Leben nährte, nach zu spüren. Einige neigten dabei an diesem besonderen Tage gar zu asketischen Selbstzüchtigungen, welchen man sich selten aber bisweilen, an solch besonderen Tagen, hingab.

Im Gegensatz zur Kirche im Zentrum des Reichs pflegte man sich hier aus den großen weltlichen Angelegenheiten herauszuhalten und stand erhaben über politischen Zwistigkeiten. Und so war besonders Sulman verwundert über das Vorhaben des Barons, den heutigen Feierlichkeiten so intensiv wie sonst nur Diener der Sonne beizuwohnen, wenn er sich auch mit der Sonne in seinem Wappen brüstete. Doch der ehemalige kraft- und eitelkeitstrotzende Krieger hatte sich gewandelt. Mit seiner Machtübernahme im Norden Brendiltals hatte ihn nach und nach eine neue Besonnenheit, aber vor allem Frömmigkeit überkommen. Welche er zuletzt, nach seinem unerwarteten Besuchs des Kaiserturniers in Gareth, mit häufigen Besuchen des Klosters unterstrichen hatte, ganz zu schweigen von den etlichen Zwiegesprächen mit seinem Hofkaplan, Sulmans Sohn.
Martok von Brendiltal schien sich immer weiter von seiner weltlichen Macht zu entfernen, das politische Tagesgeschäft überließ den Verwandten seiner Mutter. Das Kriegerdasein, ab von seinem optischen Auftreten, hatte er anscheinend in der Capitale zurückgelassen. Zurück blieb Martok der Demütige, der Sonnenbaron von Herdentor, der seine Herrschaft gänzlich in den Dienst des Götterfürsten stellen wollte. Eine Prozession der Läuterung und Hingabe sollte heute am Tage des Märtyrers Gilborn Zeugnis vor allen Vasallen und Untertanen davon ablegen. Sulman hatte dies zuerst als beinahe Selbstgefällig kritisiert, doch dann hatte er den wahrhaften Willen des orientierungslosen Martoks gespürt. Der Baron hatte den Bedingungen - welche sie in Gebeten und Gesprächen erörtert hatten - ohne Umschweife zugestimmt.

Der Abt des Klosters Praiseneck schritt also nun gemächlich auf den großen Lichthof zu, das Flimmern noch vor Augen, den Gedanken noch nachhängend und das Herz erfüllt mit der Wärme des Lichte Praios', an diesem finsteren Tage des Märtyrers. Kurz bevor er den Sonnenhof betrat um die erste Andacht der Prozession - die von Praiseneck, über Brendiltal-Stadt bis nach Beschelshall führen sollte - zu halten, betrachtete er das Bild das sich ihm bot.
In mitten des lichtdurchfluteten Hofes standen die Diener des Klosters und einige ausgewählte Gäste des Barons. Dieser kniete selbst, ein Kranz aus Gilbornskraut statt seines Baronsreifes auf dem Haupt, in der Mitte des Hofs und blickte schweigend gen Sonne, nur angetan in den Farben des Herrn und der Baronie. Der Sonnenbaron hatte hier so den ganzen Morgen verharrt. Sulman beschaute sich wohlwollend die Szenerie, ein Herrscher der über den Dingen stand, nur dem Licht und der Erleuchtung verpflichtet, das war ein wirklich erhabener Anblick. Praios sollte geben, dass dies die Seelen der Sterblichen erhellen würde, auf dass sie sein Wesen verstünden. Die Herrlichkeit der wahren Größe bedurfte keiner Winkelzüge - sie war Macht und Herrschaft in ihrer Reinform. Am letzten Tage würde sich diese Wahrheit offenbaren, der Sonnenbaron hatte dies jetzt bereits verstanden, ihm war ein Platz in des Fürsten Lichtpalast gewiss, alles andere war zweitrangig. Der Geist dieses gedenkwürdigen, düsteren Tages, an dem letztlich das Licht obsiegt hatte, umfing Sulman nun völlig und er schritt gesenkten Hauptes und mit erhobenen Armen, ein Choral auf den Lippen, auf den Hof. Die Umstehenden stimmten ein, ein tiefer, ehrfürchtiger Gesang mischte sich mit der Helligkeit des Tages. Die Prozession sollte beginnen.