Geschichten:Ibelsteiner Irrungen - Ganz sicher

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Dorf Eisingen, 14. Firun 1035 BF

Der Gott des Winters hatte die Ibelsteine fest im Griff und sein Atem fauchte eisig über die weiß gepuderten Höhen, rüttelte an den fest verschlossenen Fensterläden und Toren des ritterlichen Anwesens. Hoch aufwirbelnd tanzten die Flocken um die Hausecken und den Schneemann, den die Kinder der Meierin hier am Vormittag mit großem Geschrei aufgestellt hatten und anschließend unter noch größerem Tumult gegen die Zerstörungsversuche der Försterskinder in einer hitzigen Schneeballschlacht verteidigt hatten, bis sie wegen des Lärms vom Hausdiener verjagt worden waren. Einen Arm und den halben Kopf hatte die Figur bei dem Kampf eingebüßt und starrte aus ihrem verbliebenen steinernen Kieselauge in die Abenddämmerung, dorthin, wo vor kurzem die Reiter gekommen waren. Hoch zu Pferde und gehüllt in dicke Pelzmäntel und schwere Stiefel hatten die Herrschaften den Beschwerden der Reise über das verschneite Land getrotzt und waren bei ihrer Ankunft sofort in die gut geheizte Kemenate geführt worden, um bei heißem Punsch am Feuer die Kälte aus den Gliedern zu vertreiben. Praioswin von Steinfelde hatte seinen Schwiegervater, seinen Schwager und seine Schwippschwägerin förmlich begrüßt. Danach hatte eine Zeitlang Schweigen geherrscht.

„Und? Ist das Kind schon da?“ erkundigte sich schließlich der alte Ibel.

„Noch nicht“, antwortete Praioswin reserviert, „Aber die Hebamme sagt, dass ist nicht ungewöhnlich für eine erste Geburt.“

„Ziert sich wohl ein bisschen, das Kleine. Wird wohl ein Junge sein. Die brauchen immer ein bisschen länger“, nahm Ismene das Thema auf und Gerwulf stimmte ein: „Oh ja. Bei Wolfhelm hat die Geburt auch fast einen ganzen Tag gedauert.“ Er lächelte seine Frau an. „Aber du hast dich nicht unterkriegen lassen.“

„Zum Glück weiß ich das gar nicht mehr so genau. Ich war nur froh, als es endlich vorbei war“, entgegnete diese. Wie zur Bestätigung drang ein Schmerzensschrei, begleitet vom Schimpfen der Hebamme ‚Pressen! Pressen habe ich gesagt!‘ aus dem Nebenraum herüber. „Ich bete, dass Alyssea und das Kind die Strapazen gut überstehen mögen.“

„Hoffen wir das Beste“, warf Gerwulf ein und die anderen nickten zustimmend.

„Habt Ihr die Bestallungsurkunde?“ wagte Praioswin schließlich zu fragen.

Balian kniff die Augen zusammen: „Natürlich. Es fehlt lediglich das Siegel. Doch das kommt erst darunter, wenn Ihr das Kind in Augenschein genommen, im Arm gehalten und als das Eure anerkannt habt.“

„Ich dachte nur, wir klären das Rechtliche gleich, damit wir uns später nicht damit abplagen müssen...“

„Ihr werdet es sehen und in den Händen halten. So war es seit jeher Brauch, und so soll es auch bleiben. Ihr solltet schließlich… ganz sicher sein“, beharrte der Alte.

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Alyssea lag völlig entkräftet in ihrem Bett, als die Ibelsteiner und Praioswin die bullig warme Schlafkammer betraten, doch sie öffnete ihre Augen und murmelte: „Vater.“

„Und? Kann ich mein neues Enkelkind sehen?“ brummte der.

Die Hebamme brachte ihm ein dickes Bündel aus dem allein der Kopf des neuen Derenbürgers ein wenig hervor lugte: „Eine Maid, Euer Wohlgeboren. Sie ist etwas klein, aber gesund und, so weit ich feststellen kann, ohne körperliche Gebrechen“, ergänzte sie.

„Wie soll sie heißen?“ erkundigte sich Balian.

„Nenn sie, wie du willst“, nuschelte Praioswin in Richtung seiner Frau.

Diemut. Diemut Ingrimiane soll sie heißen“, kamen die Worte schwach über ihre Lippen.

„Wie du meinst.“

Der Ibelsteiner hielt Praioswin das schreiende Bündel hin, der es unsicher umfasste. Er erspähte ein kleines runzliges Gesicht, mit einem ständig suchenden Mund unter einer winzigen Nase, ein geknicktes Ohr und dünne braune Härchen. Dann bemerkte der Steinfelder die auffordernden Blicke seines Schwiegervaters und seiner Schwäger und sprach die gewünschten Worte, die ihm zugleich die Herrschaft Eisingen auf Dauer sichern sollten: „Ich, Praioswin von Steinfelde, bekenne hiermit vor den Zwölfgöttern und den Menschen, dass ich Diemut Ingrimiane als... meine Tochter anerkenne.“

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Später, als die Glückwünsche der Dienerschaft entgegengenommen, das Siegelwachs auf der Bestallungsurkunde getrocknet und die Gäste zur Ruhe gegangen waren, betrat Praioswin erneut die von einer einzelnen Kerze erhellte Kammer. Seine Angetraute schlief den Schlaf der Erschöpften mit wirrem Haar und aufgeplatzten Lippen. In der Wiege zu ihrer Seite lag das Kind. Erneut betrachtete er das kleine hilflose Leben. Es hatte einen Daumen in den Mund geschoben und nuckelte immer wieder im Schlaf daran. Zwar hatte er es offiziell anerkannt, aber dennoch blieb es das Balg eines anderen. Lieben musste er es darum nicht. Leicht wäre es, dem Ganzen ein schnelles Ende zu bereiten: Kleine Kinder starben – vor allem im Winter. Zum Greifen nah lag das Kissen. Er streckte eine Hand aus. Und ließ sie wieder sinken.

Nur wegen diesem kleinen in der Wiege schlummernden Ding war er hier. Ein richtiger Herr war er geworden, ein Ritter mit Land und Hörigen. Das letzte Jahr, seit sein Onkel ihn und Praioswald aus Steinfelde weggeschickt hatte, war hart gewesen und er hätte sich das alles nie zu träumen gewagt, wenn sie für ein paar armselige Heller Geleitschutz für die Fuhrleute und reisenden Kaufleute anboten. Oder ebensolchen Fuhrleuten und Kaufleuten auf einsamen Wegstrecken auflauerten, dabei in ständiger Gefahr, von des Blautanns Leuten oder den Bütteln eines anderen hohen Herrn erwischt und ohne Federlesens aufgeknüpft zu werden, ganz zu schweigen von der Konkurrenz der Katterquells und anderen Raubbanden. Ja, Praios oder Phex, oder wem auch immer, gebührte Dank für die geöffnete Tür in das Haus des alten Ibel. Das Kind würde leben.

Ein leises Rascheln ließ Praioswin den Kopf zum Bett hin wenden. Alyssea hatte sich umgedreht und bewegte ihre Lippen. Er horchte auf. Seine Frau redete im Schlaf!

„Thimorn...“



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14. Fir 1035 BF zur abendlichen Firunstunde
Ganz sicher
Tinte in der Nacht


Kapitel 8

Todesbote
Autor: Steinfelde