Geschichten:Heute ist mir jeder recht

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Schloss Hohenlintzen, 18. Efferd 1037 BF

»Ja, Ihr habt vollkommen recht«, grinste Horulf von Luring mit gebleckten Zähnen zurück und prostete Branbert von Scheuerlintz zu, dem oberkorrekten Gastgeber dieses mediokren Vergnügens. ›Turnier auf Hohenlintzen‹ - wie hatte er sich nur überreden lassen, dieser öden Provinz mehr als nur eine Stunde Aufenthaltes zu gestatten? Dieses sogenannte Turnier war von lauter mittelmäßigen Teilnehmern geprägt - die meisten waren wahrscheinlich des Goldes wegen angetreten, das der blasierte Junker als Preisgeld ausgesetzt hatte. Ale Horulf mit Glaubert von Eschenrod vor seiner Abreise kurz über Hohenlintzen gesprochen hatte, wäre jener beinahe vor Lachen erstickt. Er? Bei den Scheuerlintz? Haha!

›Haha‹, dachte Horulf. ›Haha.‹

Branbert von Scheuerlintz erhob sich endlich, um einen anderen Gast zu belästigen, und der Cantzler hatte den weiß gedeckten Tisch in der Laube auf der Schlosswiese wieder für sich. Er winkte seine Scheiberin heran, die Jüngste des Obristen Marbert von Isppernberg. Fridega war jetzt 25 oder 26, aber wirkte mit ihren kleinen, blonden Locken, den Sommersprossen und dem spitzen Gesicht viel jünger. Und viel weniger streng, als sie war. Ihrem Vorgänger, dem Schroeckh-Sohn, hatte man immerhin zugutehalten müssen, dass er pragmatisch veranlagt war. Egal, er war jetzt bei seinem Vater in der Reichskanzlei, und Horulf lag das korrekte Wesen seiner neuen Schreiberin sowieso viel mehr. Außerdem hatte sie bei aller Knochigkeit das viel ansehnlichere Hinterteil.

Fridega kam zum Tisch. »Exzellenz?«

»Wann kann ich hier weg?«

»Exzellenz haben noch ein Gespräch mit Wohlgeboren Korppenstamm …«

»Der lebt noch?«

»… und mit drei weiteren Gästen seiner Wohlgeboren«, setzte die Schreiberin mit hinter dem Rücken verschränkten Armen ungerührt fort.

»Gut, dann schickt mir den Korppenstamm, wenn’s geht«, versetzte Horulf missmutig und fügte hastig hinzu: »Aber schnell! Da kommt dieser Zeryenburg. Oh Ihr Götter, dem läuft ja der Geifer aus dem Maul!«

In der Tat näherte sich Jadebar von Zeryenburg, der sauertöpfische Meisterschütze, der bei dem sowieso schlecht beleumundeten Schützenfest natürlich wieder angeräumt hatte, mit einem vollen Humpen und leichter Schlagseite dem garetischen Cantzler.

»El-ßellenz!«, lallte er geruchsreich und ließ sich neben Horulf fallen, um sich so gleich gefährlich hahe zum schmächtigen Cantzler herüber zu lehnen. »Ek-ßellenz!«

Horulf wedelte leicht mit der Hand, um den Dunst des Fusels zu verwehen. »Dom Jadebar?«

»Wiss Ihr, wer jrade jestorb’n iss?«

»Nein, Dom Jadebar. Aber seit ich gestern erfahren habe, dass Haugmine von Ruchin von uns gegangen ist, kann ich behaupten: Heute ist mir jeder recht.«

»Wat? Die alte Bratze hat’s zerrissen? Mann, Mann, Mann. Det war’n Kotzbrocken. Mensch, Mensch, Mensch. Ick habe ihr mal erlebt, det war beim Turnier von Jareth, anno Ick-weeß-nich-wann, det war, nachdem se die Jreifenfurter so anjepuckert hatte. Mann, Mann, Mann.«

»Dom Jadebar, ich sehe dort den Herrn von Korppenstamm schon nahen. Wer ist es denn nun?«

»Det wird Euch freuen, Ex-ßellenz. Ick kann mir selbst vor Kichern kaum den Bauch halten. Eben jrade iss der alte Karseitzer verreckt!«

»Oh? Waren seien Verletzungen doch so schlimm?« Horulf hatte den Sturz des alten Ritters in der Tjoste nicht besonders beachtet. Er wusste aber, dass die Familie Karseitz besonders schlecht gelitten war. Der Sieger in dem Lanzenstechen, irgendeine Ritterin von Spillingen, hatte sich auch gar nicht um den Verwudneten geschert, der mit der Lanze im Leib noch in der Bahn gelegen hatte. Schlechter Stil.

»Det kann man wohl sagen!«, grunzte Zeryenburg und stand auf, am ganzen Körper von gehässigem Lachen geschüttelt. »Ha! Det kann man sagen!«

Während er wegtorkelte, kam Korppenstamm heran, verbeugte sich förmlich, dass die Glatze spiegelte und die Narbe auf dem Scheitel wirkte wie eine frische Wunde. »Exzellenz, halten zu Gnaden, ist es gestattet?«

»Bitte, Dam Baduar, nehmt Platz«, erwiderte Horulf höflich und lüpfte sogar leicht den Hintern, um dem alten KGIA-Obristen die Ehre zu erweisen. Was der alles aus seiner aktiven Zeit – und angeblich auch heute noch – wusste, hätte Horulf auch gern gewusst …

Korppenstamm kam nach kurzem Geplänkel zur Sache: »Es geht um den Marschallsposten, Exzellenz.«

»Ja? Der ist vergeben, Dom Baduar«, erwiderte Horulf und spürte, wie ihm die Gereiztheit unvermittelt in die Glieder sprang. Das Marschallsamt war ein schwieriges Thema; erst jüngst hatte er sich mit dem alten Mühlingen darüber gestritten.

»Ja, ja, der groß-garetische Marschall. Aber warum hat Garetien keinen eigenen? Unser Aufgebot ist bei weitem das größte.«

»Weil es nur einen geben kann, Dom Baduar. Die Folgepflicht versammelt die Adligen nun einmal unter Bodars Banner. Und da ist nur eins. Und darum auch nur ein Marschall. Mit Urion von Reiffenberg haben wir auch einen guten Heerführer, der auch das Vertrauen der Königin genießt.« Horulf signalisierte seiner Schreiberin mit der linken Hand hinter dem Rücken, dass er erneut gerettet zu werden wünschte.

»Mag sein, aber ich finde, dass man den garetischen Anführer mindestens auch Marschall nennen sollte. Meinethalben stellvertretenden Marschall oder zweiten Marschall!«

»Dom Baduar, so etwas gibt es nicht. Das Marschallsamt ist sowieso an den Heerzug gegen Haffax gebunden, und der beginnt frühestens im kommenden Jahr. Und zum zweiten ist eine lächerliche Nomenklatur, die mehr als einen Marschall produziert, völlig unnötig. Gemäß Kaiser Bodars II. klugen Befehls kann der Souverän für seine hauseigenen Truppen einen Kronobristen bestellen. Und genau das beliebte Ihre Majestät zu tun: Wulf von Streitzig ist einziger berufener Kronobrist für die garetischen Vasallen, also die Kerntruppen ihres Heerbannes. Das ist gut. Und basta. Sonst noch etwas?«

Baduar von Korppenstamm wollte noch zu einem weitern Widerspruch ansetzen, aber das unvermittelte Erscheinen der aufdringlichen Schreiberin setzte seiner Audienz ein Ende. Kaum war Korppenstamm in Richtung des Turnierplatzes aufgebrochen, wo man den Turnierunfall des ungeliebten Voltan von Karseitz die Länge rauf und runter tratschte, plapperte Fridega los: »Wisst Ihr, wer gestorben ist?«

»Kind, Voltan von Karseitz, das weiß ich bereits, Und außerdem ist mir heute sowieso jeder recht.«

»Den meinte ich nicht. Hab es gerade erst erfahren: Kordian von Cronenfurt ist gestorben, einfach so. Im Schlaf!«

Horulf hätte sich beinahe verschluckt: »Was? Cronenfurt? Das ist stark! Das wird Vetter Danos schwer ankommen - bald sind alle seine alten Gefährten tot. Der ist mir heute nicht recht, Fridega, Der nicht.«