Geschichten:Herdan von Jeskenau

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Ossendorf, Gräflich Silz, Ende Rahja 1045 BF:

Gemächlich ritt Herdan von Jeskenau den Grafenstieg entlang, der sich gemächlich durch die Silzer Ebene schlängelte. Wie jeden Götterlauf zu dieser Zeit, hatte er beim Landvogt in Silz zum Abschlussrapport vorgesprochen. Seit 33 Götterläufen war das nun schon so, denn so lange war Herdan schon gräflicher Vogt vom Silzstein, einem mythischen Ort, an dem die Herrscher von Silz ihren Eid ablegten und somit den Bund mit dem Land schlossen. Er, Herdan, war überdies Hüter des namensgebenden Silzsteins. Vier Landvögte hatte er schon kommen und gehen sehen, angefangen mit Roderich von Steinfels-Quellgrund, der ihm auch mit dem Amt betraute, über Larielle Sternenlauf, Isiane von Storchenhain und schließlich Vallbart von Falkenwind. Mit letzteren verbannt Herdan eine mit den Götterläufen gewachsene Freundschaft. Einmal war sogar die Elfengräfin hier, als sie vor über 20 Götterläufen hier den Bund mit dem Silzer Land einging. Ein Glücksfall für die Menschen und Elfen dieser Lande, wie Herdan empfand. Seither wuchsen beide Völker immer mehr zusammen, mit sichtbaren Folgen: Nicht wenige Halbelfen - die sich selbst mitunter selbstbewusst Feytala, was so viel wie 'Elfmensch' hieß, nannten - leben in den Silzer Landen. Der Handel erblühte und brachte bescheidenen Wohlstand nach Silz. Der überregional bekannte 'Markt der Alten Völker', der jeden Rahja in Silz stattfand, war nur ein Beispiel dafür. Handelswaren wie Bausch, Silzer Tüll oder Essebecker Kupferkessel wurden zu guten Preisen bis nach Gareth gehandelt, waren sie doch wegen ihrer hervorragenden Qualität sehr begehrt.

Herdan genoss den Ritt durch die Landschaft. Hier, an den Ufern des Silzbaches, an denen sich der Grafenstieg entlang wand, zeigte sich der Reichsforst von seiner schönen, gar lieblichen Seite. Satte Wiesen und fruchtbare Auen säumten den Flusslauf, Vögel zwitscherten vergnügt, Biber bauten ihre waghalsigen Dammkonstruktionen und erschufen so kleine, künstliche Seen entlang des Flusslaufes. Das Zusammenleben mit den Elfen im nahegelegenen Val'sala'dir war von Harmonie und gegenseitigem Verständnis geprägt. Ja, der Reichsforst zeigte sich hier den Menschen zugewandt, keine hungrigen Wolfsrudel, die im Winter Mensch und Vieh bedrohten und auch kein wuchernder Wald. Der gräfliche Vogt hatte sich schon oft gefragt, woran das wohl lag. Seiner eigenen Heimat war es da nicht so gut ergangen. Die Jeskenau, die am Oberlauf der Silzbaches gelegen hatte, war vor vielen Götterläufen zugewuchert. Der Reichsforst hatte sie sich wieder geholt. Seither war seine Familie landlos. Auch der nahe Schratentann zeigte sich schon weit abweisender, das Blutmoor weiter nördlich sowieso. Was also war hier in der Silzer Ebene anders, wo doch drum rum die Düsternis drohte? Mag es am geheimnisvollen Sitzstein liegen, den Herdan für die Elfengräfin hütete, oder gar am Tempel der Himmelsrösser? Gut sieben Meilen westlich von Silz lag das gräfliche Gestüt Ossendorf mit einem regional bedeutsamen Rahja-Tempel, in dem die Himmelsrösser Sulva und Tharvun verehrt wurden. Hielten die Himmelsrösser und die liebliche Frau Rahja den wuchernden Reichsforst zurück?

Während Herdan seinen Gedanken nachhing, erreichte er die steinerne Brücke, die sich über den Silzbach spannte. Am gegenüberliegenden Ufer lag das besagte Gestüt Ossendorf. Die Brücke war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: Sie war die einzige Steinbrücke über den Silzbach, auch zeigte sie allerlei Rahja gefällige Reliefs, so bildeten die jeweiligen Brückenenden auf beiden Seiten einen Pferdekopf. Ossendorf war kein gewöhnliches Dorf, denn eigentlich war der ganze Ort Teil des Gestüts. Keiner, der hier lebte, hatte nicht irgendwie mit dem Gestüt zu tun. So gab es einen Hufschmied, eine Sattlerin, einen Lederer, den besagten 'Tempel der Himmelsrösser', sowie das Gasthaus 'Zum Goldenen Hufeisen'. Es konnte mit Fug und Recht behauptet werden, die hiesige Pferdezucht stände unter dem Schutz der lieblichen Rahja. Legenden besagten gar, dass der göttliche Hengst Tarvun einst eine Stute deckte, mit der die Zucht hier begann. Wie es auch gewesen sein mochte, die Pferde von Ossendorf waren der Herrin Rahja zum Wohlgefallen.

So wie jedes Jahr, kehrte Herdan im Goldenen Hufeisen ein, um sich mit seinen Nachbarn zu treffen. Mit großer Vorfreude betrat er die kleine Schankstube, die für ihr deftiges Essen, wohlschmeckenden Apfelmost und die besonders schönen Pferdeschnitzereien bekannt war. Wirtin Ebba Rosenbusch verstand es aus jedem noch so kleinen Gebrauchsgegenstand ein der schönen Göttin wohlgefälliges Objekt zu zaubern.

Herdan trat an einen Tisch, an dem eine junge Frau mit langen, braunen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, saß. Es handelte sich um Maira von Ossen, die noch junge gräfliche Rossvögtin und Leiterin des Gestüts. An ihrer rechten Seite saß, mit langer Mähne und ausladenden Rauschebart, ihr Vater Rorliff. Herdan schätzte den großgewachsenen Mann mit den breiten Schultern sehr, war er doch der Inbegriff eines aufrechten, Waldsteiner Ritters. Maira gegenüber saß der grantige, alternde Ritter Zordan von Essebeck, der eigentlich irgendwas zu meckern hatte. An seiner Seite hing, schon mit glasigen Augen, Vogt Jerodan von Schratentann, der wie immer sehr dem Alkohol zugetan war.

„Rahja zum Grüße“, sprach Herdan und klopfte auf den Holztisch. Die anderen erwiderten den Gruß und erhoben ihre Humpen mit Apfelmost. Einzig Zordan hatte auf Uslenrieder Rotbier bestanden. „Und wieder ist ein Götterlauf nahezu vollendet.“

„Wie wars in Silz?“, wollte Maira wissen.

„Unsere Grafenstadt erblüht, das ist schön zu sehen. Der 'Markt der Alten Völker' bringt gutes Silber und Menschen und Elfen leben einträchtig miteinander.“

„Ja, in Silz mag die regenbogenbunte Welt noch in Ordnung sein“, schimpfte Zordan, „doch was ist mit uns? Meine Untertanen trauen sich nicht mehr in den Forst, die Köhler sind alle abgehauen, da der Wald leben und nach ihrem Leben trachten würde. Ich verdiene nun keinen Heller mehr mit Holzkohle, einfach weil ich keine mehr habe.“

„Du hast doch leicht reden“, antwortete Maira mit einem Augenzwingern, „du hast doch noch deine Kupfermine, oder etwa nicht? Mit der verdienst du doch viel mehr, sind doch die Essebecker Kupferkessel beliebt wie sonst keine hier in Waldstein.“

„Schon“, brummte der alternde Ritter, „doch wie lange noch? Wie lange wird es dauern, bis mir die Minenarbeiter auch weglaufen?“

„Du siehst alles so Schwarz wie Zweiflinger Schwarzbier“, witzelte Maira. „Sieh dich doch um, Silz ist ein blühendes Land … auch dein Essebeck, denn die paar Köhler kannst du verschmerzen!“

„Vielleicht ist das der Preis für den Schutz unserer Elfengräfin … wir müssen den Wald achten“, erwiderte Herdan achselzuckend.

„Der Preis?“, schrie Jerodan schon leicht lallend. „Die Kreaturen aus dem Schratentann werden immer aggressiver … die Schrate voran. Wo soll das hinführen? Darf ich im Tann bald kein Holz mehr schlagen? Wie will mir unsere Elfengräfin dann helfen? Oder habt ihr schon die neusten Berichte aus dem Blutmoor gehört? Immer mehr Sichtungen von Moorleichen … und was macht die gräfliche Vögtin dort dagegen? Nichts!“ Mit Schwung drehte sich der Vogt vom Schratentann zum Schanktresen. „Noch ein Krug Most!“

„Lieber Neffe, du übertreibst mal wieder maßlos... in allem!“ Der väterliche Blick Herdans verfehlte sein Ziel bei Jerodan nicht, denn dieser hielt inne.

„Zumal, wir sind Waldsteiner Ritter“, warf Rorliff ein, „wir warten nicht darauf, bis 'die da oben' unsere Probleme lösen. Wir lösen sie selber!“ Zustimmend pochte Herdan und Maira mit ihrem Humpen auf die hölzerne Tischplatte.

„Aber auch wunderschöne Dinge passieren. Erst kürzlich, zum Jahrestag von Korgonds Verhüllung, habe ich mit eigenen Augen ein Einhorn an den Auen des Silzbachs gesehen.“ Mairas Augen begannen zu leuchten vor Begeisterung. „Nicht alles was der Wald gebiert, ist schlecht und böse!“

„Da gebe ich dir vollkommen recht“, Herdan nickte zustimmend, „ob das wohl das Einhorn Taorlin gewesen ist?“

„Gute Frage, aber es war einfach wunderschön.“

„Nicht alles was der Wald gebiert ist böse?“ Jerodan versuchte die Stimme von Maira nachzuäffen. „Bei mir auf dem Hof hat sich ein Wurzelbold eingenistet … den kannst du ja gerne mal fragen!“

„Du ziehst das Unglück aber einfach auch an, lieber Neffe … Prost darauf!“ Herdan erhob sein Humpen und grinste Jerodan an. Der väterlichen Gutmütigkeit des Jeskenauers konnte er nichts entgegensetzen und so lächelte er auch breit.

„Wir sind nur kleine Figürchen im Wimmelbild des Großen und Ganzen. Helden, das sind die anderen, wir sind einfach hier und tun unsere Pflicht!“ Herdan erhob erneut seinen Humpen und alle am Tisch prosteten mit ein.


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Es war schon spät, viele Humpen Apfelmost und Uslenrieder Rotbier waren noch über den Tresen gewandert und selbst der alte Essebeck konnte sich ab uns an ein donnerndes Lachen nicht verkneifen – meistens dann, wenn es um das Leid des Schratentanner Vogtes ging. Dieser ist dann irgendwann einfach auf dem Tisch eingeschlafen. Es war für die anderen ein sicheres Zeichen nun ihre Schlafstadt aufzusuchen. Doch Herdan wollte noch etwas an die frische Luft. So lief er, fröhlich beseelt vom vielen Most, durch das weitläufige Gestüt. Das Mondlicht spiegelte sich im Silzbach und Herdan musste schon mehrmals hinsehen bis er glauben konnte was er da sah. An der Aue stand ein Einhorn mit schneeweißem Feel und silbrig glänzenden Horn. Es war Herdan, als würde ihm das geheimnisvolle Wesen zunicken, hörte er gar eine Stimme die ihn rief? Wie in einem Traum wankte er in Richtung der Au, dem Ruf nach. Glücklich, ob dieses prachtvollen Anblicks, sackte er zusammen. „Taorlin, du bist es wirklich“, sollten seine letzten Worte auf Dere gewesen sein.