Geschichten:Hartsteener Banner - Anselms Gabe

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Reichsstadt Hartsteen, Travia 1035 BF

Ein Mann stand, auf einen Gehstock mit vergoldetem Knauf gestützt und umringt von einer in respektvollem Abstand verharrenden Bewaffneten, mitten auf der Straße und ganz in das Bildnis vor sich an der Innenseite der Hartsteener Stadtmauer vertieft, das Rondrasil, den letzten Grafen aus dem Hause Hartsteen zeigte. Die Künstler hatten einen pockennarbigen Ritter dargestellt, dessen Rüstung für den hageren Leib zu groß schien und zu dessen Füßen ein Schwert und ein zerbrochener Marschallsstab lagen. Jedem Vorübergehenden musste die Ähnlichkeit in der Physiognomie zwischen Bild und Betrachter auffallen. Zwischen den Wachen hindurch schlängelte sich eine kleine Bürgerstochter, weckte den Stillstehenden durch ein ebenso keckes wie alle Etikette spottendes Zupfen am Ärmel und deutete in Richtung der kleinen Gasse, in der Anselm von Quintian-Quandt gewartet hatte. Jetzt galt es! Er trat hervor und ging auf Luidor von Hartsteen zu. Auf den Wink des Hartsteeners ließen die Wachen Anselm passieren, der die teils neugierigen, teils feindseligen Blicke der Bürgersleute in seinem Rücken förmlich spüren konnte. Aber das war jetzt unwichtig. Viel wichtiger war die Reaktion desjenigen, vor dem er nun stand und den er mit einer Verbeugung und den Worten „Die Zwölfe mit Euch, Hochwohlgeboren“ begrüßte.

Luidor quittierte beides, Verbeugung und Anrede, mit einem kurzen Nicken: „Anselm von Quintian-Quandt also. Habt Ihr keine Angst vor einem weiteren Anschlag auf Eure Person? Immerhin beschuldigt man mich, der Auftraggeber dazu gewesen zu sein.“

Anselm schüttelte den Kopf: „Angst? Nein, eigentlich nicht. Zumal ich mir mittlerweile ziemlich sicher bin, dass Euch an diesem Attentat keine Schuld trifft“, die hochgezogene Augenbraue des Hartsteeners ließ ihn kurz innehalten, „Aber darum bin ich nicht hergekommen. Ich hörte, dass die Grafenkrone gefunden wurde. In Hartsteen wird sich nun vieles ändern.“

„In der Tat. Die Dinge sind ins Rollen gekommen“, Luidor gab Anselm einen Wink und gemeinsam schritten sie an der illustren Darstellung der Hartsteener Grafen aus dem Hause Quintian-Quandt in Richtung Rommilyser Tor, „Warum seid Ihr dann hier?“

„Ich bin hier, um mit Euch zu verhandeln?“

„Was gäbe es denn zu verhandeln, Wohlgeboren?“

Anselm holte tief Luft: „Eure Anerkennung als Graf durch das Haus Quintian-Quandt und die Übergabe der Festung Feidewald.“

„Das alles ist nicht verhandel- sondern unabdingbar!“, stellte Luidor fest und ein harter Zug legte sich um seine Mundwinkel, „Die Frage nach der Rechtmäßigkeit meines Anspruchs ist mit dem erwiesenen Reichsverrat Geismars endgültig entschieden. Euch bleibt nichts anderes übrig, als euch zu unterwerfen, oder ebenfalls der Reichsacht zu verfallen. In beiden Fällen wird ein gerechtes Urteil über Euch gefällt werden.“

„Noch verfügt mein Vetter über einen gewissen Rückhalt und hat Leute um sich versammelt, die ihm selbst im Unglück treu ergeben sind. Auch wenn ihr sie schließlich bezwingen solltet: Derjenige, der nichts mehr zu verlieren hat, kämpft mit dem Mut der Verzweiflung bis zum Letzten. Eine Belagerung Geismars in Feidewald kann darum eine sehr teure Angelegenheit werden, Hochwohlgeboren, sowohl an Geld, als auch an Menschenleben und nicht zuletzt an Zeit. Ihr wisst so gut wie ich, dass die Grafschaft darnieder liegt. Weitere Verluste kann sich Hartsteen schlicht nicht leisten, zumal angesichts der Nachrichten, die aus der Wildermark hierher dringen. Ich könnte dafür sorgen, dass die Festung in Eure Hand übergeht.“

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Unter dem Bildnis der Thuronia von Quintian-Quandt blieb Luidor schließlich stehen und sagte: „Ihr seid ein Krämer, Quintian-Quandt, und ein Krämer verlangt immer einen Preis für seine Ware. Was also wollt Ihr?“

„Ich verlange keinen Preis, Hochwohlgeboren. Ich empfehle mich lediglich Eurer Gnade und Eurem Großmut, im Vertrauen darauf, dass eine Gabe mit einer angemessenen Gegengabe bedacht werde. “

Mit leicht zusammengekniffenen Augen lauschte der Graf den Worten Anselms, und meinte dann knapp: „Ich werde darüber nachdenken.“