Geschichten:Gefährliche Wahrheiten - Teil 5

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„Es ist soweit!“

Arve flüsterte feierlich ins Ohr des Schreibers und blickte sich nervös um.

Wulfen Loringer will sich mit uns treffen. Ich musste ganz schön lange auf ihn einreden, damit er sich zeigte. Ich habe ihm versprochen, dass wir ihm ein paar Silberlinge für seine Mühen geben. Das war doch in Eurem Sinne Herr Farnhelm, oder?“

Der Schreiber des Herolds seufzte. „Was soll’s. Meinethalben. Dann lass uns gleich aufbrechen, bevor der gute Mann es sich noch anders überlegt.“

Arve ging voran und Helidon ritt in gemächlichem Tempo hinter dem einfachen Mann her. Nach gut zwei Stunden querfeldein – Farnhelm hatte die Orientierung schon lange verloren - hob Arve einen Arm und bedeutete seinem Begleiter anzuhalten. Schnaubend kam das Pferd des Schreibers zum Stehen und Helidon stieg ab.

„Wo ist er denn? Ich sehe niemanden. Wenn Ihr mich an der Nase herum führen wollt, guter Arve...“ Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn der Angesprochene führte seine Hand zum Hund und bedeutete seinem Begleiter mit dem Zeigefinger auf den geschlossenen Lippen zu schweigen.

Helidon zuckte mit den Schultern und sah sich aufmerksam um. Tief grünes Farn, Büsche und hauptsächlich Tannenhölzer. Ansonsten aber weit und breit nichts. Weiter vorne entdeckte er schließlich die mit Moos bewachsenen Reste einer Grundmauer, die offenbar einmal zu einem Haus gehört haben musste.

Arve spähte in Richtung der Ruine und gab seinem Begleiter ein knappes Handzeichen. „Dort vorn ist es. Der alte Hof wurde im Orkensturm nieder gebrannt und ist seitdem völlig verwildert.“

Vorsichtig bahnten sich beide den Weg durch das Unterholz und schließlich erkannten sie einen an die Mauer gekauerten Mann, der dort im Schneidersitz saß und aufsprang als er die sich nähernden Fremden erkannte. Er war groß gewachsen und hatte dunkles Haar, sowie einen Vollbart. Sein ledernes Wams war abgewetzt und von seinem breiten Rucksack baumelten allerlei Gerätschaften, die ein reisender Schuster brauchen konnte.

„Seid ihr bewaffnet?“ Die Stimme des Schusters klang ängstlich und verunsichert. Arve und der Schreiber reckten ihre Arme; sie waren beide unbewaffnet, bis auf einen kleinen Dolch an Helidons Gürtel.

„Kommt langsam näher!“

Der Mann wirkte gehetzt und unruhig. Ständig blickte er sich nach allen Seiten um, als würde er erwarten, dass jeden Augenblick jemand mit gezücktem Messer aus dem Busch hervorspringen und sich auf ihn stürzen würde.

Arve kicherte leise und deutete großspurig auf den Schreiberling. „He Wulfen! Stell dich nicht so an. Der feine Herr hier ist ein gelehrter Mann, der wird dir bestimmt nichts tun.“

Helidon nickte bestätigend. „Recht so. Ich bin nur neugierig. Ihr braucht Euch vor mir keinesfalls zu fürchten, guter Mann.“

Der Schuster zögerte noch, doch schließlich gestattete er den beiden Neuankömmlingen, näher heran zu treten.

„Ist euch jemand gefolgt?“

Ohne zu überlegen drehte Arve sich um und kratzte sich am Ohr. „Nein, nicht dass ich wüsste.“

Diese Aussage schien Wulfen keinesfalls zu beruhigen.

Helidon räusperte sich kurz. „Dann erzählt doch mal. Der gute Arve Steinbrecher hat mir berichtet, dass Ihr Zeuge einer schrecklicher Tat gewesen sein wollt.“ Wulfen schaute betreten unter sich.

„Nun sagt mir doch erst mal Euren Namen.“ Der Schreiber zückte ein aufgerolltes Papier und einen Kohlestift, um sogleich einige Notizen zu machen.

„Nun, gelehrter Herr. Wulfen Loringer bin ich und ich stamme aus dem Greifener Land. Als wandernder Schuster ziehe ich umher und verdiene so, was ich zum Leben brauche.“

„Sehr schön, sehr schön. Dann berichte bitte.“

Der Schuhmacher faltete die Hände und schien einen Moment nicht zu wissen, wo er beginnen wollte. „Es war so: Vor einiger Zeit traf ich meinen alten Freund Dernbert wieder. Ich hatte gerade ein paar Stiefel eines Händlerssohnes geflickt, als mir der alte Haudegen über den Weg lief. Das Wiedersehen musste natürlich ein wenig begossen werden und...“

„Herr Wulfen. Erspart mir doch bitte diese eher unrelevanten Details und kommt doch zum Kern der Geschichte.“

„Naja gut. Also ich traf meinen Freund Dernbert. Ihr müsst wissen, dass er nie ein aufrechter Mann war, so wie der Herr Praios es sich wünscht. Er war ein rechter Gauner, will ich meinen. Nun, also jener Dernbert meinte, nachdem wir unser Treffen ein wenig gefeiert hätten, dass er bald steinreich sein würde. Er müsste bald zu einem geheimen Ort, wo man ihm und seinen Freunden; ja Freunde nannte er sie, Arbeit geben wollte, bei der man eine Menge verdienen konnte.“

Helidon schrieb schnell und erfasste so viele Einzelheiten wie möglich. „Was für eine Art von Tagwerk sollte das denn sein?“

„Kein richtiges Tagwerk, vielmehr eine einmalige Arbeit. Dernbert wollte nicht verraten, worum es gehen sollte und da dachte ich mir, es kann nichts schaden, wenn man sich den einen oder anderen Heller dazu verdient. Wir gingen also in den Wald und trafen dort auf eine Menge raubeinige Gesellen. Ich tät ja sagen, das waren recht üble Gestalten, mein Herr. Wahre Halsabschneider und Diebsgesindel. Da wurde mir schon Angst und Bang, aber ich hab noch nichts gesagt und brav geschwiegen. Bald schon erschien ein Reiter mit edlem Ross in Harnisch. Und ein großes Schwert hatte er dabei. Wappen konnte ich keines erkennen. Und selbst wenn: hätte ja sowieso nicht gewusst, was es bedeutet. Bin ja nur ein einfacher Mann.“

Wulfen kicherte gequält und fuhr dann fort. „Naja, er hatte aber so eine komische blaue Armbinde um.“

Nun wurde Helidon hellhörig. „Was für eine Binde? Ein Abzeichen?“

„Weiß nicht, so ein blaues Stück Stoff. Ich konnte es nicht so genau sehen, Dernbert wollte ganz vorne sein, aber ich blieb lieber hinten. Dann sprach der Edelmann. Er wollte ein paar tapfere und harte Männer in seine Dienste nehmen und er würde mit gutem Gold zahlen. Ich sah mit eigenen Augen, wie er dem Anführer der üblen Bande fünf goldene Dukaten gab und versprach, dass dies erst der Anfang war. Außerdem erhielt jeder von uns einen Silberling im voraus. Stellt euch das mal vor!“

Der Schreiber zog eine Braue fragend hoch. „Und weiter? Was geschah dann?“

„Dann wurde es unangenehm. Der Edle sagte wir müssten eine Gruppe Reiter in einem nahegelegenen Forst in Greifenhorst überfallen. Nicht mehr als ein halbes Dutzend. Wir sollten sie aus dem Hinterhalt angreifen und blutig nieder machen. Ich sag Euch, Herr Schreiber. Da wurde mir ganz anders!“

„Mehr hat der Edle nicht gesprochen? Woran solltet ihr denn die Opfer überhaupt erkennen? Im Wald sind manchmal viele Jäger unterwegs.“

„Wir sollten nur nach Männern Ausschau halten. Manche von ihnen würden güldene Schärpen über ihrem Wams tragen.“

Der Schreiber seufzte überrascht. Die Pulethaner. Unmissverständlich. Helidon machte eine kleine Notiz und schaute dann wieder auf.

„Gut. Und dann?“

„Dann ritt der Edelmann davon und sagte, er wolle uns am gleichen Ort in einer Woche wiedertreffen. Der Anführer der Räuber sagte, wir würden uns am nächsten Morgen auf den Weg machen. Ich hatte solche Angst! Ich hätte mich nie an solch einer Schandtat beteiligt. Das müsste Ihr mir glauben, Herr!“

„Schon gut, Herr Wulfen. Darum geht es nun im Moment auch gar nicht.“

Dernbert erzählte mir später stolz, dass er den Adeligen genau gesehen hat und sein Ross auch. Er habe sogar das Brandzeichen erkannt.“

Der Schriftgelehrte lachte leise auf. „Was für ein Unsinn!“

„Nicht doch Herr! Dernberts Großvater, der alte Brin hat früher selbst bei einem hohen Handelsherrn und Pferdezüchter gearbeitet. Ich erinnere mich noch, wie Dernbert immer als Kind davon erzählt hat. Er hat sogar eine ziemlich genaue Zeichnung angefertigt. Ich kann mich noch gut erinnern.“ Er zeichnete mit einem Stock ein paar konfuse Linien, die Helidon kopierte. Ihm sagten die Zeichen nichts und sie sahen auch nicht wie ein Brandzeichen aus.

„Ich habe Dernberts Zeichnung unter den Überresten einer verbrannten Eiche versteckt. Wenn Ihr wollt zeige ich sie Euch!“

Helidon war nun deutlich überrascht. „Nun gut, dann bitte.“

„Ich habe sie nicht hier.“ In diesem Moment raschelte etwas im Gebüsch in der Nähe und Wulfen erstarrte vor Furcht. Nach wenigen Augenblicken eisigen Schweigens entließ er den Atem in einem langen Seufzer aus seinen Lungen.

„Ich habe gehört, dass Fremde in der Gegend sind, die sich nach einem Schuster erkundigt hätten. Jetzt lebe ich in Angst, dass man vielleicht einen unliebsamen Zeugen aus dem Weg räumen will! Vielleicht wurde einer der Räuber gefangen und hat geplaudert, dass einer der ihren entkommen ist. Aber ich habe mit dem Gemetzel nichts zu tun! Glaubt mir bitte! Ich habe mich versteckt und die anderen sind allein losgezogen, um den feigen Angriff durchzuführen.“

„Ich verstehe. Kommt doch mit in die Stadt Herr Wulfen. Dann werden wir bei einer warmen Mahlzeit alles besprechen. Könnt Ihr denn Mann, der offenbar der Urheber dieses schändlichen Anschlags vielleicht beschreiben?“

„Nun, ich stand weit hinten, habe aber ganz gute Augen, ich...“

In jenem Augenblick raschelte es wieder im Unterholz und der Schuster zuckte zusammen.

„Genug jetzt, ich werde mich wieder verstecken.“ Er drehte sich ab und wollte schon davon eilen, als der Schreiber ihn am Arm packte. „Wartet doch. Ich muss die Zeichnung sehen und ich will Eure Beschreibung des Mannes hören.“

Gequält wand sich Wulfen im nicht allzu harten Griff Helidons. „Später. Kommt morgen kurz vor Sonnenuntergang wieder her, dann zeige ich Euch alles und erzähle den Rest.“

Er riss sich los und lief davon.

Arve stutzte und blickte dem Fliehenden noch einen Moment nach. „Bei den Göttern, der hatte die Hosen gestrichen voll.“ Ihm entfuhr ein leises Kichern. „Kommt, wir kehren in die Stadt zurück. Vor morgen Abend werden wir diesen Burschen hier ohnehin nicht wiedersehen.“